Tim Beyer

Freier Journalist, Köln

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U21-Nationaltrainer Kuntz: Der Spielerflüsterer

U21-Nationalcoach Stefan Kuntz ist ein gefeierter Trainer, dabei wollte er einst gar keiner mehr sein. Auf dem zweiten Bildungsweg überzeugt er vor allem im Umgang mit seinen Spielern.


Als die deutsche U21-Nationalmannschaft durch das 1:1 gegen Österreich das Halbfinale bei der EM erreicht hatte, zog Stefan Kuntz einen Arm quer durch die Luft, als zersäge er Widerstände, die in diesem Moment nur für ihn sichtbar waren. Schon als Spieler war dieser Jubel sein Markenzeichen gewesen. Kuntz umarmte jeden, der in seiner Nähe stand, und dann lief er auf den Platz.


Sein Ziel war Torhüter Alexander Nübel, der erst einen Elfmeter verschuldet, dann aber das Remis gerettet hatte und nun doch verärgert seine Handschuhe von sich schleuderte. Kuntz legte Nübel einen Arm auf die Schulter, zog ihn zu sich und flüsterte in sein Ohr. Am Ende lachte Kuntz, und auch Nübel sah nicht mehr ganz so unzufrieden aus.


Wer Kuntz, 56, bei dieser EM-Endrunde beobachtet hat, sah viele solcher Szenen. Solche Bilder gehören zum Trainer Kuntz, trotzdem muss man sich noch an sie gewöhnen. Immer noch.


Eigentlich hatte der Trainer Kuntz nach Stationen beim Karlsruher SC, Waldhof Mannheim oder LR Ahlen beschlossen, dass er gar kein Trainer mehr sein wolle, das ist mittlerweile über 15 Jahre her. Fortan war Kuntz lieber Funktionär, lange beim 1. FC Kaiserslautern. Dort steht der ehemalige Vorstandsvorsitzende stark in der Kritik, es geht um eine mögliche Insolvenzverschleppung.


Nun ist Kuntz doch wieder Trainer, ein sehr erfolgreicher noch dazu. Vor drei Jahren hat ihn der DFB als Nachfolger von Horst Hrubesch für die älteste U-Nationalmannschaft vorgestellt, vor zwei Jahren hat Kuntz mit der U21 die EM gewonnen, jetzt steht Deutschland wieder im Halbfinale. Noch zwei Siege trennen Kuntz davon, Historisches zu erreichen: Noch nie ist es einem U21-Trainer gelungen, zweimal in Folge die EM zu gewinnen.


Stärken in der Menschenführung

Die zweite Trainerwerdung von Stefan Kuntz ist also die Geschichte einer Entwicklung, die heute so eigentlich gar nicht mehr vorgesehen ist. Trainer in Deutschland werden immer jünger, die Verwissenschaftlichung des Fußballs schreitet voran und wer einmal raus ist aus diesem Geschäft, hat es anschließend sehr schwer, wieder hineinzukommen.


Kuntz ist keiner, der ständig wissenschaftliche Vorträge über den Gegner oder die richtige Taktik hält. Zumindest öffentlich tut er das sehr selten. "Ah, das geht jetzt sehr ins Fußballfachsimpeln hinein", sagte Kuntz, als er gebeten wurde, die Gründe für das 6:1 gegen Serbien zu erläutern.


Man könnte auch sagen: Die Stärken von Kuntz liegen in der Menschenführung, im Umgang mit jungen Spielern. Kuntz rede sehr viel mit ihnen, sagte der dritte Torhüter Markus Schubert: "Er gibt auch mir das Gefühl: Du bist wichtig."


Als Kuntz sich selbst vergaß

Wer mehr darüber erfahren möchte, wie das so läuft im Trainerteam der U21, ist bei Meikel Schönweitz richtig, dem Leiter aller U-Nationalmannschaften beim DFB. Schönweitz hat Schwächen ausgemacht im deutschen Fußball, auch in der Trainerausbildung. Als Konsequenz hat er ein Modell etabliert, das drei unterschiedliche Trainertypen in einem Trio vereint.


"Ich brauche den Typ Ex-Profi, der die Erfahrung hat", sagt Schönweitz. "Ich brauche auch den Typ Innovation, der Ideen hat und Fußball auf eine andere Art und Weise begreift, vielleicht auch über die wissenschaftliche Schiene. Und ich brauche den Altersspezialisten." Jede U-Nationalmannschaft soll jetzt so ein Trio bekommen, die U21 hat dabei eine Vorbildfunktion - und Kuntz, einst zugleich Profi und Polizist, später nur noch Spieler und immerhin Europameister 1996, ist, na klar: der Ex-Profi. Die Aufgaben sind klar verteilt.


Kuntz hat das kürzlich einmal recht detailliert erklärt. Daniel Niedzkowski, Leiter der DFB-Fußballlehrerausbildung und Typ Innovation, kümmere sich um die Standardsituationen. Antonio di Salvo, auch er Ex-Profi, aber hier der Altersspezialist für die Junioren, sei für die Gegnervorbereitung verantwortlich. Sie hätten auch einen wirklich hervorragenden Videoanalysten, sagte Kuntz, und einen tollen Torwarttrainer. Nur sich selbst vergaß er in dieser Aufzählung.


Als ihn ein Journalist darauf aufmerksam machte, lachte Kuntz und dann sagte er: So sei das nun einmal, es müsse ja immer einen geben, der den Kopf hinhalte.


Aktuell sieht es nicht danach aus, als würde man in Deutschland seinen Kopf fordern. Stattdessen wurde der Verteidiger Benjamin Henrichs gerade gefragt, ob der Trainer Kuntz nicht auch vielleicht einer für die A-Nationalmannschaft sei, falls Bundestrainer Joachim Löw tatsächlich eines Tages aufhöre. Henrichs sagte: "Ich denke, ein Trainer, der die Mannschaft zum Titel bei der U21-EM und zwei Jahre später wieder mindestens in Halbfinale geführt hat, hat auf jeden Fall das Zeug für mehr. Ich kann mir bei ihm vieles vorstellen."


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