Die Schweizer Nationalmannschaft war vielleicht nie besser als heute. Trotzdem wird sie kritisch gesehen. Trainer und Spieler sind vielen Fans fremd. Ein Nachwuchsstar aber wird bereits besungen.
Die Schweizer Nationalmannschaft schreibt dieser Tage zwei Geschichten. Die eine ist die eines Teams, von dem man bei der WM in Russland einiges erwarten darf. Die andere erzählt von einer Mannschaft, mit der die Schweizer Bevölkerung mitunter fremdelt.
Was beide Geschichten eint, sind die Darsteller. Charaktere wie Trainer Vladimir Petkovic: Sportlich sehr erfolgreich und doch einer, mit dem ein Teil der Schweizer auch nach vier Jahren nicht warm wird.
Nicht volkstümlich wie Kuhn, nicht erfolgreich wie Hitzfeld
Im Schnitt holte die Schweiz in den 40 Länderspielen unter Petkovic 2,03 Punkte pro Spiel. Eine Quote, die nicht mal seine beliebten Vorgänger Ottmar Hitzfeld und Jakob "Köbi" Kuhn aufweisen können. Doch während nach Kuhn sogar eine WM-Bar benannt ist - sie heißt "Zum glatten Köbi" - ringt Petkovic, der in Sarajevo geboren wurde und in den Achtzigerjahren in die Schweiz kam, noch immer um Anerkennung.
Warum ist das so? Vielleicht fehlt dem 54-Jährigen die Vita eines Trainers wie Hitzfeld. Womöglich vermissen einige bei ihm das Volkstümliche von Kuhn. Petkovic gilt als wortkarg und verschlossen, Interviews gab er lange nur ungern, die Schweizer Boulevardzeitung "Blick" schrieb einst gar: "Vlado, mach das Fenster auf!" Heute nimmt sich Petkovic mehr Zeit für Medien und Fans. Ein Anfang, vielleicht.
Die Mannschaft scheint sich indes weit weniger von der Diskussion um ihren Trainer als vielmehr direkt von ihm beeinflussen zu lassen. Als 2015 viel über einen "Balkangraben" geschrieben wurde, der das Team in zwei Lager spalte, war es Petkovic, der solche Differenzen öffentlich verneinte. Intern aber sprach er sehr wohl Probleme an. Einmal verteilte er Puzzlestücke an alle Spieler, um ihnen zu zeigen, dass sie nur gemeinsam etwas erreichen konnten.
Heute ist die Mannschaft eine Einheit, wie Xherdan Shaqiri im vergangenen Jahr sagte. Eine erfolgreiche noch dazu. In einer WM-Qualifikationsgruppe mit Europameister Portugal wurde die Schweiz Zweiter, schlug in den Playoffs die Nordiren. Schon bei der EM 2016 hatte die Schweiz überzeugt, schied erst im Achtelfinale im Elfmeterschießen gegen Polen aus. Nicht wenige Schweizer glauben, dass ihre Mannschaft in Russland erstmals überhaupt ein WM-Viertelfinale erreichen kann.
Dort wird die vielleicht beste Mannschaft antreten, die die Schweiz bisher hatte. Granit Xhaka, der im Nationalteam ähnlich wie der Deutsche Toni Kroos als Spielmacher aus der Tiefe agiert, hat seine internationale Klasse längst unter Beweis gestellt. Ricardo Rodríguez und an guten Tagen Shaqiri gehören ebenfalls zu dieser Kategorie, mit Abstrichen der Gladbacher Yann Sommer und Routinier Stephan Lichtsteiner.
Doch wie auf den Trainer treffen die zwei Geschichten, die die Schweizer Nationalmannschaft dieser Tage schreibt, auch auf die Spieler zu. Die "Neue Zürcher Zeitung" etwa beschrieb kürzlich, dass einem Teil der Fans die Identifikation mit dem Team schwerfalle. Weil sich das Leben der Spieler so fundamental von ihrem eigenen unterscheide. Weil viele Spieler so unnahbar wirkten, mit den Kopfhörern auf den Ohren und dem Blick starr aufs Handy gerichtet.
Doch da ist ja noch Breel Embolo, der Zurückhaltende, der nette Junge von nebenan, der nach dem Training auch mal bei den Fans stehen bleibt, während die Kollegen vorbeihasten. Und weil das so ist, haben die Fans für den 21-Jährigen gedichtet. Zur Melodie von "The Lion Sleeps Tonight" singen sie: "I de Nati, de Schwiizer Nati, da isch de Breel dihei." Frei übersetzt: Der Breel, das ist einer von uns.
Die Unnahbaren müssen zunächst einmal sportlich überzeugen: Gleich zu WM-Beginn bekommt es das Team in der Vorrunde mit Brasilien zu tun (17. Juni, 20 Uhr; TV: ZDF; Liveticker SPIEGEL ONLINE).