Der Libanon steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise. Erspartes verliert von Tag zu Tag an Wert. Deshalb investieren viele in Kryptowährungen - und damit in ein System, das nur wenige wirklich verstehen.
Bitcoin ist geräuschlos. Die Kryptowährung steht damit im Gegensatz zur Situation im Libanon. Die war in den vergangenen Jahren vor allem durch eines bestimmt: Lärm. Die Explosion im Beiruter Hafen; wiederkehrende Proteste; endlose politische Diskussionen. Der Bitcoin hingegen bahnt sich im Stillen seinen Weg in die libanesische Gesellschaft.
Mario Awad ist Trader, also Händler. Er verschafft den Leuten Zugang zu Bitcoin und anderen Kryptowährungen. "Eigentlich kauft jeder bei mir: Studenten, Leute mit mittlerem Einkommen, die Reichen. Jeder will in Krypto investieren", erzählt Awad.
Der Grund dafür ist simpel: Das libanesische Pfund hat innerhalb eines Jahres einen enormen Wertverlust hingelegt. Mittlerweile muss man für ein Produkt im Schnitt mehr als drei Mal so viel Geld auf den Tisch legen wie noch vor einem Jahr. Und so hat ein großer Teil der Bevölkerung Mühe, selbst die notwendigsten Produkte fürs tägliche Leben aufzutreiben.
Festgeschriebener Wechselkurs brachte den ZusammenbruchHenri Chaoul ist Finanzexperte und spezialisiert auf das Bankensystem im Libanon. Er ist davon überzeugt, dass das Hauptproblem vor allem darin besteht, dass der Wechselkurs von libanesischen Pfund und dem US-Dollar seit langem festgeschrieben war. "So haben die Menschen einen Lebensstil gepflegt, den sie sich sonst gar nicht hätten leisten können. Als während der Krise auf einmal keine Zahlungen mehr von außen ins Land kamen, hat das System einfach aufgehört zu funktionieren", erklärt Chaoul. "Die Banken haben geschlossen, die Menschen wollten ihre Ersparnisse abheben - doch weil die Banken keine existierenden Rücklagen hatten, brach das System zusammen."
Für Bitcoin braucht es keine Banken oder Regierungen. Auch deshalb ist bei einigen Libanesen im Hinblick auf die Kryptowährung so etwas wie Goldgräberstimmung ausgebrochen. So wie bei Bassam Saadeh. Er investiert schon lange in Kryptowährungen und versteht, warum viele seiner Landsleute es ihm gleichtun: "Seit der Krise riskieren die Menschen hier mehr. Und so treffen sie manchmal schlechte Entscheidungen oder nehmen zu viel Risiko auf sich. Oder sie machen sich mit Bitcoin völlig überzogene Hoffnungen, ohne die Gefahren wirklich zu verstehen."
Saadeh hat selbst schon Geld verloren. Der 36-Jährige hat 2015 das erste Mal Bitcoin gekauft. Er wollte damals einfach etwas ausprobieren - nicht wegen der Krise, sondern weil er immer an neuen Sachen interessiert ist. "Damals hab ich noch mit irgendwelchen 17-Jährigen gehandelt, die mit ihren Motorrädern angefahren kamen. Ich hatte einen großen Batzen Geld dabei. Es hat sich irgendwie illegal angefühlt."
US-Dollar in bar sind alles, was noch zähltFür Saadeh ist Bitcoin eine wirkliche Alternative zum libanesischen Pfund, nicht nur ein Hirngespinst. Nach Protesten 2019 führten die Banken Kapitalkontrollen ein und machten damit das Abheben und Überweisen von Dollar unmöglich. Heute kann man sich seine Ersparnisse im Libanon lediglich in Lira auszahlen lassen - mit strikten, monatlichen Obergrenzen und zu einem festen Kurs.
"Wenn du vor der Krise US-Dollar auf dem Konto hattest, dann ist das Geld jetzt geblockt. Wir sagen dazu 'Lollar': Libanesischer Dollar", erklärt Saadeh. Der "Lollar" habe keinen Wert mehr. Aber wenn es gelinge, an US-Dollar in bar zu gelangen, dann sei man wieder liquide, weil man damit im Alltag noch einigermaßen günstig an Ware komme. Und der Punkt ist laut Saadeh: "Krypto bedeutet frische Dollar. Das Geld ist nicht im libanesischen Finanzsystem. Es ist draußen in der Welt." Man könne damit handeln, elektronische Geräte damit kaufen. "Selbst der Goldhändler hier nimmt das Geld an. Und man kann es auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Krypto ist also frisch - liquide sozusagen."
Krypto-"Mining" verschärft Krise im LibanonIronischerweise verschärft der Boom von Bitcoin und anderen Kryptowährungen die Krise im Libanon noch. Denn - vereinfacht gesagt - kann man Kryptowährungen selbst produzieren. Beim sogenannten "Mining" löst ein Computer komplizierte Rechenaufgaben und beteiligt sich so an der Geldschöpfung. Doch extrem leistungsfähige Rechner und deren Kühlung verbrauchen eben auch extrem viel Strom. Der Libanon hat einen der niedrigsten Strompreise der Welt - weil der Staat einen großen Teil der Rechnung übernimmt. Und so schröpfen viele libanesische Bitcoin-Miner das sowieso schon überlastete Energienetz des Landes - und die Staatsfinanzen.
Für viele Libanesen ist der Alltag schwierig und die Zukunft mehr als ungewiss. Sie versuchen zu retten, was zu retten ist. "Die Menschen glauben, dass noch schlechtere Zeiten kommen in der Zukunft. Man kann sein Geld entweder unter die Matratze stopfen, in Krypto investieren oder Gold kaufen", sagt Saadeh. Ob Kryptowährungen wirklich die Lösung sind, das bezweifelt er ebenso wie Kryptohändler Awad. Doch zumindest bieten sie ihnen ein wenig Hoffnung. Und danach suchen viele Menschen im Libanon verzweifelt - auch in der digitalen Welt.