Thomas Hürner

Journalist und Autor, München

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Nur der Trainer spricht übers Spiel

Christian Gentner muss den Tod seines Vaters verkraften. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Das 2:1 des VfB Stuttgart wird vom Tod des Vaters von Christian Gentner überschattet. Im Stadion herrscht tiefe Trauer - die Beteiligten ringen um Worte.

Es lief die 76. Minute in Stuttgart, Mario Gomez passte auf die rechte Seite zu Christian Gentner, der legte sich den Ball kurz zurecht, flankte dann zurück auf den Kopf des Mittelstürmers, der inzwischen in den Strafraum gelaufen war. Tor für den VfB Stuttgart, es war der zweite Treffer von Gomez beim 2:1-Sieg gegen Hertha BSC. Gomez ließ sich feiern, und er hatte auch allen Grund, sich feiern zu lassen, immerhin hatten er und seine Mannschaft zähe Wochen und eine genauso zähe erste Hälfte hinter sich. Kapitän Gentner feierte natürlich mit, nach dem Schlusspfiff wurde vor der Cannstatter Kurve gesungen und gesprungen.

Das war die eine Geschichte dieses Spiels: Mit gesenkten Köpfen und begleitet von Pfiffen waren die Stuttgarter Spieler zur Halbzeit in die Kabine geschlichen, die Berliner führten da noch verdient mit 1:0 durch ein Tor von Maximilian Mittelstädt. Dann aber spielten die Schwaben so mutig und wuchtig nach vorne, wie sie es vielleicht in der gesamten Saison noch nicht getan hatten, sie drehten - angeführt von Gomez und Gentner - die Partie und versöhnten sich mit den Anhängern.

Die andere Geschichte dieses Spiels war aber so bedrückend, dass all das später nur noch eine Randnotiz war. Während die Stuttgarter Spieler noch feierten, machte sich im Stadion allmählich eine Nachricht breit. Eine Person sei auf der Tribüne zusammengebrochen, hieß es, und etwas später konkretisierte sich diese Meldung: Die Person war der Vater von Christian Gentner.

Der VfB-Kapitän eilte aus dem Kabinentrakt, rannte vorbei an den anwesenden Medienvertretern in Richtung des Business-Bereichs im Stadion. Zu diesem Zeitpunkt wurde sein Vater, 65, dort noch von einem Notarzt behandelt, während die Stadionbesucher aufgefordert wurden, wegen eines medizinischen Notfalls das Stadion schnellstmöglich zu verlassen. Kurz darauf musste der Verein aber mitteilen: Herbert Gentner sei "unmittelbar nach dem Heimspiel im Stadion verstorben", der Verein stehe "in diesen schweren Stunden mit seinen Gedanken ganz bei der Familie".

Über das Spiel sprechen wollte dann selbstverständlich keiner mehr. Alle Stuttgarter Spieler blieben in der Kabine, auch Sportvorstand Michael Reschke stand für Gespräche über sportliche Banalitäten nicht zur Verfügung. Nur VfB-Trainer Markus Weinzierl hatte noch die obligatorische Pressekonferenz zu absolvieren. Nun ist Weinzierl ja ohnehin nicht gerade bekannt dafür, dass sich in seinem Gesicht überschwängliche Emotionen abzeichnen, wenn sein Team gewonnen hat, so wichtig der Sieg auch gewesen sein mag. Ihm war aber anzusehen: Auch er hatte etwas mitbekommen von einem Zwischenfall im Stadion. Vom Tod des Vaters seines Kapitäns konnte der Trainer noch nichts wissen, dafür war es noch zu früh an diesem Abend.

Weinzierl stellte sich souverän dem Pflichtprogramm eines Bundesligatrainers nach einem Bundesligaspiel. Für ihn war dieser Sieg "keine Selbstverständlichkeit", die Reaktion seiner Elf in der zweiten Hälfte könne man "gar nicht hoch genug bewerten". Damit hatte er auch die personellen Probleme angedeutet, die sein Trainerleben in Stuttgart derzeit erheblich erschweren.

Weinzierl schmaler Kader

Auf sieben Spieler musste Weinzierl verzichten, darunter auf wichtige Stützen wie Abwehrchef Benjamin Pavard oder Spielmacher Daniel Didavi. Für Weinzierl hatte vor der Partie aber auch festgestanden: "Ich kann die Situation nicht ändern und werde nicht rumjammern." Auch Jammern ist nicht die Art des Niederbayern, aber es war ihm schon wichtig, seine Rahmenbedingungen abzustecken: ein schmaler Kader, von dem auch noch rund die Hälfte der Spieler aufgrund von Verletzungen oder Sperren fehlen.

Und dann war da mit Mario Gomez ja noch ein Stürmer, der sieben Spiele in Serie nicht getroffen hatte, die personifizierte Torflaute der ungefährlichsten Bundesliga-Mannschaft sozusagen. Weinzierl habe aber "immer an ihn geglaubt", denn gerade Gomez war ja einer der Hauptbetroffenen der zuletzt so harmlosen Offensive: "Wenn wir die Zahl der Chancen hochschrauben, trifft einer mit seinen Qualitäten auch", sagte Weinzierl, "das war mir immer klar." Und das machte Gomez dann auch, seine Treffer Nummer 99 und 100 im VfB-Trikot erzielte er vor allem, weil die Stuttgarter in der zweiten Hälfte druckvoll spielten wie lange nicht. Weinzierl stellte das System um und brachte mit Anastasios Donis einen zusätzlichen Angreifer, der auch gleich den Ausgleich einleitete (64.).

"In der zweiten Hälfte hatten wir mehr Mumm, mehr Mut", sagte Weinzierl. Hertha-Trainer Pal Dardai pflichtete ihm bei, aufgrund der zweiten Halbzeit habe Stuttgart "verdient gewonnen". Weinzierl schnitt dann noch kurz die üblichen Themen an: die kommenden Herausforderungen vor der Winterpause, die Notwendigkeit, sich bis dahin eine gute Ausgangssituation im Kampf um den Klassenerhalt zu erarbeiten. Dann noch ein kurzer Händedruck mit Dardai, Weinzierl musste los.

Am Dienstag spielen die Stuttgarter schon in Wolfsburg, beim Ex-Klub von Christian Gentner. Ob der VfB-Kapitän dabei sein wird, ist noch nicht entschieden.


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