Thomas Beschorner

Prof.denkt.schreibt, St.Gallen

1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Unternehmen als politische Akteure in der Sozialen Makrtwirtschaft

Und schon wieder diskutieren wir gesellschaftlich die politische Rolle von Unternehmen. Sie war Thema zur Frage, ob sich westliche Unternehmen nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine aus Russland zurückziehen sollten. Wir diskutieren sie anhaltend im Hinblick auf Geschäftstätigkeiten von Unternehmen in Autokratien, wie in China oder auf der arabischen Halbinsel.

Nun rückt die Thematik in doppelter Hinsicht näher: Sie befindet sich vor der eigenen Haustür; und sie betrifft einen Wesenskern der Sozialen Markwirtschaft, eine freiheitlich-demokratische Grundordnung. Es geht um die Frage: Sollen Unternehmen politische Position gegen den Rechtsextremismus in Deutschland und für Vielfalt und Offenheit beziehen - und diesen klaren Bekenntnissen Taten folgen lassen?

Für manche mag dies angesichts der aktuell stattfindenden großen und von breiten Bürgerbewegungen getragenen Proteste gegen Rechtsextremisten und Populisten wie eine Suggestivfrage wirken. Natürlich sollen sich Unternehmen für eine freie und offene Gesellschaft einsetzen. Für andere hingegen ist klar, Wirtschaft und Politik sind unterschiedliche Sphären, die strikt zu trennen sind; entsprechend würden sich die politischen Aktivitäten von Unternehmen verbieten. Was ist richtig?

In einem ersten Schritt gilt es der Frage nachzugehen, ob es sich bei dem politischen Engagement von Unternehmen um ein legitimes gesellschaftliches Anliegen und um eine ethisch tragfähige Norm handelt. Denn schließlich könnten Firmen auch Positionen einnehmen, die normativ mindestens fragwürdig sind: Sie könnten die Todesstrafe befürworten, sich gegen Abtreibungen und gleichgeschlechtliche Beziehungen einsetzen, den menschengemachten Klimawandel verneinen oder was auch immer. Die Beantwortung dieser Frage ist mitunter deshalb kompliziert, weil in einer modernen pluralen Gesellschaft kaum mehr Konsens über Wertefragen hergestellt werden kann und Antworten aus dem Bereich der Ethik durchaus unterschiedlich ausfallen können.

Bei dem hier diskutierten Thema zur Positionierung von Unternehmen gegen Rechtsextremismus und für eine freie und offene Gesellschaft ist die Sachlage aus unserer Sicht hingegen relativ eindeutig. Dafür gibt es mindestens zwei Gründe:

Erstens haben Unternehmen ein ökonomisches Eigeninteresse, sich gegen Kräfte einzusetzen, die unberechtigterweise vorgeben, für ein homogenes Volk zu sprechen und in dessen Namen Fremdenfeindlichkeit propagieren, einen Austritt Deutschlands aus der EU in Aussicht und den menschengemachten Klimawandel in Abrede stellen. Diese Phantastereien schaden dem Wirtschaftsstandort Deutschland und damit auch den Unter­nehmen.

Zweitens gefährden Rechtsextreme mit ihren antiliberalen Zügen per se die Bedingungen für die Möglichkeiten des Wirtschaftens, wie wir es kennen. Eine der zentralen Errungenschaften in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Soziale Marktwirtschaft. Diese erfordert eine demokratische Verfassung, wie sie umgekehrt - will sie das Soziale in ihrem Namen verdienen - zur freiheitlich-demokratischen Gesellschaft beiträgt. Walter Eucken, einer der Begründer des Ordoliberalismus, nannte das die „Interdependenz der Ordnungen". Das freie Individuum, Demokratie und Soziale Marktwirtschaft sind aufeinander angewiesen. Gerät eine dieser Säulen in Gefahr, wanken auch die anderen. Unternehmen können an derlei Unsicherheit nicht interessiert sein.

Natürlich könnte man prinzipiell auch das Grundgesetz und unsere demokratischen Institutionen normativ infrage stellen und anführen, dass Kapitalismus und Autokratie auch miteinander funktionieren (wozu es ja Beispiele gibt). Wer allerdings so argumentiert, müsste seinerseits nicht nur ökonomische Gründe für einen politischen Systemwechsel, sondern auch ethische Argumente ins Feld führen, warum ein neues System der Sozialen Marktwirtschaft, die auf einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft beruht, überlegen ist. Dies dürfte kaum gelingen.

Insofern lässt sich insgesamt sagen, dass es nicht nur im wohlverstandenen ökonomischen Eigeninteresse von Unternehmen liegt, sich gegen Rechtsextremismus und für Vielfalt und liberale Werte auszusprechen, sondern es ist ihre Verantwortung, sich als Corporate Citoyen in die aktuelle politische Gemengelage einzubringen.

Und auch wenn in den vergangnen Tagen mehr und mehr Unternehmen und Wirtschaftsverbände ihre Stimme für eine offene Gesellschaft erhoben haben, so zeigt auch die aktuelle Diskussion, dass Unternehmen mit ihrer Rolle als politische Akteure systematisch ihre Probleme haben, lediglich zögerlich agieren und mitunter kaum sprachfähig sind.

Die Gründe dafür sind tiefer liegend als der aktuelle Fall: Es lässt das altbackene Verständnis einer sauberen Trennung zwischen dem Ökonomischen und dem Politischen durchscheinen; ein Zweiweltendenken, das es faktisch nur in der Theorie und in der Praxis immer weniger gibt. Unternehmen sollten sich zunehmend aufgerufen fühlen, ihre Rolle als gesellschaftspolitischer Akteur zu reflektieren und diese zum festen Bestandteil ihrer Unternehmenspolitik machen. Frei nach Milton Friedman: The business of business is not just business.

Thomas Beschorner ist Professor für ­Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen. Markus Scholz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre, vor allem Responsible Management, an der TU Dresden.
Zum Original