Thomas Beschorner

Prof.denkt.schreibt, St.Gallen

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Der Ball ist rund, und Geld schießt Tore.

Für eine Ablösesumme von 75 Millionen Euro wechselte Ende August Kevin De Bruyne vom VfL Wolfsburg zu Manchester City. Für die Bundesliga war das ein neuer Rekordtransfer. War das ein unmoralisches Angebot? Wie dieser Beitrag zeigt, liegen die moralischen Probleme im europäischen Profi-Fussball anderswo: bei der unausgeglichenen Mittelverteilung zwischen den Vereinen.

Im Zusammenhang mit dem Vereinswechsel von Kevin De Bruyne werden in Deutschland Fragen rund um das "Geschäft Fußball" in öffentlichen Medien ebenso wie unter Fußballfans aktuell breit diskutiert. Da ist die Rede von unmoralischen Gehältern im Profi-Fußball, von einem Transfer-Wahnsinn und gar von einem modernen Menschenhandel mit den Spielern. Ich kann verstehen, dass man sich einen romantischeren Fußball zurückwünscht. Einen Fußball, bei dem es ums Spiel und nicht ums Geld geht, bei dem geackert und nicht kalkuliert wird; bei dem Straßenfußballer entdeckt und nicht in Talentschmieden produziert werden. Doch diese Zeiten sind vorbei - sie sind schon lange vorbei. Fußballstadion und ganze Fußballliegen tragen Firmennamen, Mannschaften haben hochdotierte Werbeverträge, Ligen sind mit üppigen Fernsehverträgen ausgestattet, Nachwuchsspieler werden in Leistungszentren ausgebildet usw. usf. Fußball ist ein Geschäft geworden, das wissen wir alle.

Ist das unmoralisch? Und wenn ja, wo liegen diese moralischen Probleme?

Sie liegen sicherlich nicht bei einem einzelnen Transfer. Aus moralischer Sicht ist gegen 75 Millionen und auch gegen (in naher Zukunft zu erwartenden) weit höhere Transferzahlungen direkt erst einmal nichts einzuwenden. Manchester City ist bereit einen bestimmten Betrag zu bezahlen, Wolfsburg schätzt diesen Betrag höher ein als den Wert des Spielers für die Mannschaft. Beide sind sich einig, beide freuen sich über den Deal - sonst hätten sie ihn nicht abgeschlossen. Das ist ein ganz normaler Tausch, ein Kaufvertrag. Und so funktioniert Marktwirtschaft.

Es ist an dieser Stelle auch falsch von einem modernen Menschenhandel zu sprechen, denn der Spieler stimmt dem Vereinswechsel ja zu und wird in seiner persönlichen Freiheit nicht beschnitten. Herr De Bruyne jedenfalls hat sich m.W. nicht über seinen Wechsel nach England beschwert - und er verdient ja auch ganz ordentlich daran mit. Er wird ein kolportiertes Salär von 380.000 Euro pro Woche verdienen.

Ist denn dieser Spieler wirklich einen solchen Millionen-Betrag wert? Tore und Torvorlagen sind nur schwer mit einem konkreten Wert zu etikettieren und schon gar nicht in der Bilanz auszuweisen. Den Preis eines Spielers bestimmt der Markt. Was ist im Angebot, was wird nachgefragt. Das wiederum ist abhängig von der Frage, wie man sich im Spiel-Wettbewerb gegenüber anderen Vereinen absetzen kann. Sportliche Fragen sind jedoch mitunter nur die eine Seite der Medaille. Fußball-Clubs fragen teilweise auch nach konkreten Vermarkungswerten durch Spitzenspieler. Kommen mehr Zuschauer oder locken wir größere Sponsoren? Werden unsere Spiele in Japan übertragen, wenn wir zwei japanische Spieler im Team haben? Wie hoch sind die zusätzlichen Einnahmen durch Trikotverkäufe?

Der Transfer von "Popstar" David Beckham - nebst ebenfalls prominenter Gemahlin Victoria - von Real Madrid zu den Los Angeles Galaxy vor einigen Jahren ist hier ein gutes Beispiel. Wenige Tage nach der Verkündung des Deals waren nicht nur alle Heimspiele, sondern auch alle Auswärtsspiele der Galaxies ausverkauft. Und es wurden über 1,5 Million Trikots mit Beckhams neuer Rückennummer 23 im Laufe seines fünfeinhalb-jährigen Engagement in L.A. abgesetzt. Stückpreis: circa 100 €. Doch auch das sind alles keine moralischen Probleme.

Wirklich moralische Fragen gibt es jedoch an anderer Stelle, und diese betreffen eine "Moral des Wettbewerbs". Es zeichnet sich sehr deutlich ab, dass Clubs sowohl innerhalb ihrer jeweiligen Profi-Ligen als auch international nach verschiedenen Spielregeln spielen, die über eine zentrale Größe bestimmt werden: Geld, denn Geld schießt Tore! So einfach ist moderner Fußball.

Wir können dies in nationalen Ligen seit vielen Jahren beobachten. Die Serienmeister der deutschen Bundesliga, der englischen Premier League, der spanischen Primera División, aber auch der Schweizer Super-League oder der österreichischen Bundesliga sind im vergangenen Jahrzehnt immer die finanziell potentesten Vereine gewesen. Nur ganz wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel. Wenn man Buchmacher fragt, wer in der laufenden Saison die Halbfinals der Champions-League erreichen wird so lautet die Antwort: Real Madrid, der FC Barcelona, Bayern München und der FC Chelsea. Das sind nach einschlägigen Statistiken nicht zufällig die Vereine mit dem höchsten durchschnittlichen Marktwert pro Spieler (zwischen 28,6 und 16,3 Millionen Euro).

Es ist kein Zufall, dass der Supertransfer der Saison nach England geht. Die Clubs der englischen Premier League haben in dieser Transferperiode für neue Spieler nahezu ebenso viel Geld ausgegeben wie die Vereine der ersten Ligen aus Spanien, Deutschland und Frankreich zusammen, nämlich etwa eine Milliarde Euro. Und wenn wir dies mit kleineren europäischen Ligen vergleichen, so entsprechen diese Ausgaben etwa knapp das 60-fache der Schweizer Super League oder das 100-fache der österreichischen Bundesliga. Die Transfererlöse konnten in England hingegen nur im Umfang von circa 500 Millionen erzieht werden, woraus sich ein negativer Transfersaldo in etwa gleicher Höhe ergibt.

Interessant ist eine nähere Betrachtung der einzelnen Spielertransfers in England. Hier sind zwar einige Großzugänge zu verzeichnen (insgesamt 5 Spieler über 40 Millionen Euro). Die eigentlich problematischen Transfers finden jedoch eine Etage tiefer statt. In England werden auch für eher mittelstarke Spieler hohe siebenstellige Beträge bezahlt: im Mittel (Median) etwa 7,5 Millionen Euro pro Spieler und damit mehr als das Doppelte wie in der deutschen Bundesliga.

Wie sind solche Unterschiede zu erklären? Verheben sich die englischen Vereine finanziell möglicherweise?

Es ist bekannt, dass in englische Vereine von Finanzspritzen ihrer reichen Besitzer profitiert haben. Mit dem "Financial Fair Play" der UEFA wird diesen Praktiken nun Schritt für Schritt ein Riegel vorgeschoben. Europäische Vereine dürfen nur noch so viel Geld ausgeben, wie sie einnehmen, andernfalls drohen Sanktionen (von Geldstrafen bis zum Ausschluss von internationalen Wettbewerben). Man wird beobachten müssen, inwieweit es sich die UEFA trauen wird, diese Richtlinien auch praktisch umzusetzen.

Auch wenn die englischen Vereine durch die aktuellen Transfers ein Negativsaldo von ca. 500 Millionen Euro aufweisen, so kann ihnen eine Einnahmen-Ausgaben-Balance durchaus gelingen. Die Premier League verfügt im Vergleich zur Bundesliga und anderen Top-Ligen schon heute über einen sehr gut dotierten TV-Vertrag, der ab der nächsten Saison noch einmal massiv aufgestockt wird. Den englischen Vereinen werden dann (einschließlich der Vermarktung von Auslandsrechten) insgesamt circa 3,5 Milliarden Euro pro Spielzeit zur Verfügung stehen und damit mehr als das Vierfache der Bundesliga-Clubs.

Dieser neue Vertrag wirft schon heute seine Schatten voraus. Für die englische Premier League, in der der Tabellenletzte höhere TV-Einnahmen erhalten wird als der deutsche Rekordmeister Bayern München, sind die massiven Transfers eine kalkulierbare Investition. Der Milliarden-Deal verheißt in der Tat nichts Gutes: Wir werden in den kommenden Jahren vielfache Transfers in den Bereichen von über 100 und womöglich auch über 200 Millionen sehen. Die noch stärkere Finanzkraft der englischen Clubs wird dabei auch die Transfersummen und die Gehälter von Spielern mittleren Niveaus nach oben treiben. Meine Prognose: Die Bundesliga wird hier mittelfristig nicht mithalten können und international den Anschluss an die Spitze des europäischen Vereinsfußballs verlieren.

Sowohl international als auch national werden wir in den kommenden Jahren eine größer werdende Schere zwischen den verschiedenen Teams beobachten können, so meine Befürchtung. International könnte es selbst für Bayern München schwierig werden hier finanziell - und dann auch sportlich - langfristig mitzuhalten. Und danach wird es international ganz schwierig.

Innerhalb der Bundesliga sieht man diese Klassengesellschaft schon seit einigen Jahren sehr deutlich. Da spielen mehr und mehr Davids gegen Goliaths. Und einen Super-Goliath gibt es auch. Das ist alles nicht gut für das um was es eigentlichen gehen sollte: schöne, interessante Fußballspiele - irgendwie auf Augenhöhe.

Auch im Interesse der Spitzenvereine müsste dringend über neue Verteilungsmechanismen nachgedacht werden, was auch eine systematische Berücksichtigung von Transfererlösen beinhalten kann. Ein Fonds z.B. der gewährleistet, dass die Vereine noch "unter den gleichen Spielregeln spielen" und wir keine Zwei- oder Dreiklassengesellschaft innerhalb der Bundesliga haben. Eine massive Anhebung der Ausbildungsentschädigungen usw. könnte kleineren Vereinen (nicht nur im Profibereich) ebenfalls zugutekommen.

Wenn man über radikalere Veränderungen nachdenken möchte, um den Transfer- und auch den Gehaltswahnsinn zu stoppen, so sollte man sich völlig andere Modelle überlegen und z.B. mal einen Seitenblick in die USA werfen. In der National Hockey League (NHL) aber auch in der Major Soccer League (MSL) beispielsweise gibt es ein "Salary Cap", das ein Gehaltsbudget für Teams definiert - für alle Teams im gleichen Umfang. Das kapitalistische Amerika präferiert im Sport interessanterweise ein eher sozialistisches Modell und ist damit auch ökonomisch sehr erfolgreich. Das Spiel findet auf dem Platz statt - irgendwie auf Augenhöhe.

©KOF ETH Zürich, 11. Sep. 2015

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