Thomas Beschorner

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Facebook fördert die KI-Forschung an der TU München - Gastbeitrag

Künstliche Intelligenz birgt nicht nur Chancen auf eine schöne neue Welt, sondern auch gesellschaftlich-moralische Risiken. Die Liste möglicher Problemfelder ist lang: Algorithmen im Personalmanagement selektieren Bewerber mitunter nach der Hautfarbe. Wähler werden in Filterblasen organisiert und gezielt politisch beeinflusst. China bereitet den perfekten Überwachungsstaat über ein "Social Credit System" vor. Sexroboter verfügen über einen Vergewaltigungsknopf.

Den großen IT-Unternehmen dürften diese und viele weitere moralische Probleme, die aus ihren Produkten resultieren, längst bekannt sein. Mit Verzögerung kommen diese Fragen nun auch in der Gesellschaft und in der Politik an. Und dabei wird klar: Die Bearbeitung drängender Zukunftsfragen kann man nicht nur und primär Informatikern überlassen, sondern sie verlangen auch sozial- und geisteswissenschaftliche Expertise. Schließlich geht es um die Frage, wie wir das Morgen und das Übermorgen gestalten wollen.

Keine Auflagen von Facebook

Das neue "Institut für Ethik in der Künstlichen Intelligenz" an der Technischen Universität München, das in der vergangenen Woche angekündigt wurde, erscheint da als eine willkommene Initiative. Doch das Projekt hat einen Beigeschmack: Ausgerechnet Facebook ist der Financier dieses neuen Forschungsinstituts. Mit umgerechnet 6,6 Millionen Euro will das Unternehmen die Forschung fördern.

Wer jetzt "gekaufte Wissenschaft" schreit, dürfte allerdings falsch liegen. Die TU München stellte schnell klar, dass es keine Auflagen seitens Facebook gibt, sondern es darum geht "unabhängige Forschung zu finanzieren". "Sonst würde ich es auch gar nicht machen", formuliert Christoph Lütge, designierter Direktor des neuen Instituts. Er sieht die Sache als ein Geschäft zum gegenseitigen Vorteil. "Win-Win-Situation" heißt das dann neudeutsch und mit dem ökonomischen Begriffsapparat. Die eine Seite des Deals ist klar: Die TU München freut sich über üppige Forschungsmittel: Win.

Und was ist der Vorteil für den Geldgeber? Die von Facebook bereitgestellten Mittel sind keine Spende fürs Gemeinwohl, sondern eine Investition ins eigene Geschäft. Es geht weniger um Werbung oder einen Reputationsgewinn für Facebook durch die Kooperation mit der Uni. Der ökonomische Vorteil für Facebook dürfte vielmehr in der anvisierten Forschung an dem neuen Institut liegen. Bei der geht es nämlich um die Entwicklung von "Leitlinien (...) für die Identifikation und Beantwortung ethischer Fragen der Künstlichen Intelligenz für Gesellschaft, Industrie und Gesetzgeber".

Zwar taucht in der Ankündigung auch der Gesetzgeber als Adressat für Forschungsergebnisse auf, und man könnte daher vermuten, es solle auch über "harte" Regulierungsfragen nachgedacht werden. Die eigentliche Stoßrichtung der Forschung ist jedoch eine andere, wie der künftige Direktor des Instituts in einem Gespräch mit Netzpolitik.org präzisiert: Es gehe um die Entwicklung von "ethischen Richtlinien", denn diese eigneten sich besser als Gesetze. Man müsse die Befürchtungen der Bevölkerung rund um das Thema der künstlichen Intelligenz aufgreifen, "und das kann Ethik besser leisten als juristische Regulierung."

Was ist davon zu halten?

Erstens geht es hier nicht um irgendwelche diffusen "Befürchtungen" der Bevölkerung, sondern um ziemlich handfeste Probleme, die Lösungen erfordern. Zweitens spiegelt diese Stellungnahme recht deutlich wider, dass über vieles geforscht werden soll, aber eben nicht über alles. Ordnungspolitische Regulierungen durch den Gesetzgeber bleiben außen vor. "Ethische Richtlinien" und damit "weiche" Selbstverpflichtungen genügen, so scheint schon vor der beginnenden Forschung festzustehen. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und Geschäftsführerin Sheryl Sandberg wird es freuen: Win.

Denn nach dem Cambridge-Analytica-Skandal rund um die Verwendung von Facebook-Daten zu politischen Zwecken wurde es schon einmal eng für Facebook. Mit einer Anhörung von Zuckerberg im amerikanischen Kongress setzte die Politik ein Signal: Bekommt ihr, so wurde nicht nur Facebook zugerufen, die moralischen Probleme eurer Produkte nicht in den Griff, könnten wir die Probleme über Regulierungen lösen und bestimmte Geschäftsmodelle und Praktiken sanktionieren.

Gerne ohne staatliche Einmischung

Unternehmen mögen keine Regulierungen. Um sie zu vermeiden, bedarf es daher abfedernder Lösungen, die die Gesellschaft und Politik beruhigen. Und die Lösung zur Vermeidung politischer Regulierungen ist nicht selten diese: unternehmerische Selbstverpflichtung. Die Bindung an bestimmte moralische Werte und Prinzipien - sei es als einzelnes Unternehmen oder als Branche - soll die notwendige Legitimation und das Vertrauen wiederherstellen. Mit Hilfe der Wissenschaft. Und gerne ohne staatliche Einmischung.

Die Förderung von Forschungsinstituten durch Internetgiganten wie Facebook oder Google (das das "Institut für Internet und Gesellschaft" an der Humboldt Universität zu Berlin maßgeblich finanziert) wirft nicht nur Fragen der Unabhängigkeit von Wissenschaft auf. Es zeigt auch eine viel zu zögerliche Haltung und mangelnde Investitionsbereitschaft der öffentlichen Hand in den Schwerpunkt einer digitalen Ethik.

Die Bundesregierung hat in ihrer im November verabschiedeten "Strategie Künstliche Intelligenz" die Schaffung von mindestens 100 neuen Professuren im Bereich der KI beschlossen. Man darf gespannt sein, ob man dabei auch sozial- und geisteswissenschaftliche Ausrichtungen im Themenfeld angemessen berücksichtigt will, womöglich gar ein "Institut für Ethik in der Künstlichen Intelligenz" eingerichtet wird. Ansonsten überlassen wir Wertefragen über die Gegenwart und die Zukunft eben den Unternehmen und ihren universitären Partnern.

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