Thomas Beschorner

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Fussball WM in Katar? Dortmund statt Doha!

Die kommende Fifa-Fussball-WM (2022) steht aufgrund allgemeiner und wissenschaftlich gut dokumentierter Menschenrechtsverletzungen im Gastland Katar in der Kritik. Der professionelle Fussball reagiert zunehmend darauf - zumindest rhetorisch.

So war es eine gutgemeinte Geste der deutschen Fussball-Nationalspieler, als sie vor dem Beginn des ersten WM-Qualifikationsspiels mit der Aufschrift "Human Rights" auf ihren Trikots posierten. Kürzlich bezog dann auch der Deutsche Fussball-Bund (DFB) offiziell Stellung und gab bekannt: "Menschenrechte sind universell gültig und nicht verhandelbar. Überall auf der Welt. Dafür stehen wir ein." Von einem Boykott will der Verband jedoch absehen.

Rhetorische Ausflüchte

Es ist nicht das erste Mal, dass sportliche Grossveranstaltungen in bestimmten Ländern in der Kritik stehen. Seien es die Olympischen Spiele in China 2008, die Fussball-WM 2018 in Russland oder eben die nächste Fifa-WM in Katar, die Rhetorik der Sportfunktionäre lautet entweder: Wir halten uns aus politischen Fragen raus, das ist nicht die Sache des Sports. Oder aber es heisst, ein Boykott bringe nichts - im Gegenteil, der Sport könne doch einen positiven Beitrag zur Demokratisierung und Inklusion von Minderheiten leisten.

Leider stimmen beide Argumente nicht. Eine Fussball-WM ist ein mediales Mega-Ereignis, die Teilnahme an einem Turnier wie in Katar ist auch ein politisches Statement. Und aus ethischer Sicht kann eine Turnierteilnahme durchaus als "stille Komplizenschaft" bewertet werden, durch die man sich mitschuldig macht, u. a. am Tod von Gastarbeitern, die die Stadien konstruiert haben. Das Bündnis Pro Fans findet eindeutige Worte: "Wir werden ein rauschendes Fussballfest auf den Gräbern von Tausenden Arbeitsmigranten erleben."

Überdies kennen wir keine Beispiele von sportlichen Grossanlässen, die Menschenrechtssituationen in totalitären Regimen signifikant beeinflusst haben.

Wollen die Fussballfunktionäre des DFB durch ein Festhalten an der WM in Katar nicht dem Zynismus verfallen, sondern stattdessen ein Signal an die Weltgemeinschaft senden, so erscheint uns eine Überlegung noch zu wenig diskutiert: "Dortmund statt Doha" - die Organisation einer alternativen Fussball-Weltmeisterschaft und damit ein Boykott der Teilnahme an der WM in Katar.

Das ist zu radikal gedacht, zu wenig realpolitisch? Nein, es ist konsequent gedacht. Und realpolitisch ist, was realpolitisch stattfinden kann. Möglichkeiten gäbe es: Die Infrastruktur (Stadien und Mobilitätsnetz) im Land des viermaligen Fussballweltmeisters ist weltweit beispiellos und wird sich durch die Vorbereitungen auf die EM 2024 ohnehin nochmals verbessern. Auch eine Partnerschaft mit Österreich und der Schweiz wäre sehr gut denkbar und würde bei diesen Nachbarn sicherlich willkommen geheissen.

Natürlich müssten weitere grosse Fussballnationen, z. B. Frankreich, Italien, England, Brasilien, Argentinien, mitmachen. Dann würden andere Verbände folgen. Wen man für ein solches Vorhaben im Übrigen nicht braucht, ist die Fifa.

Die Politik ist gefordert

Will man einen solchen Vorschlag ernsthaft verfolgen und prüfen, so sollte man nicht so naiv sein, auf Initiativen aus Fussballverbänden, z. B. dem DFB, zu hoffen. Dieser Fisch ist zu gross - und ohnehin hält man sich aus politischen Fragen ja (scheinbar) gerne heraus. Deshalb: Ein entsprechender Prüfauftrag müsste aus der Politik kommen, gerne direkt aus dem Bundeskanzleramt.

Nein, die toten Arbeitsmigranten, die in Katar die Stadien erbaut haben, bringt eine alternative Fussball-WM nicht zurück, aber sie würde eine sehr wichtige, nicht nur symbolische Botschaft an die Welt richten: Ethik und Würde sind dem Sport wichtig. Menschenrechtsverletzungen werden unter keinen Umständen toleriert. Das kann dann gerne auch seinen medialen Ausdruck finden, wenn die Mannschaften des Eröffnungsspiels bei der (CO 2-neutralen) Fussball-Weltmeisterschaft 2022 die Aufschrift "Human Rights" auf ihren Trikots tragen.

Thomas Beschorner ist Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen; Markus Scholz ist Professor für Wirtschaftsethik an der FH Wien und leitet dort das Institut for Business Ethics and Sustainable Strategies.

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