Theresa Steudel

Redakteurin und Autorin, Freiburg im Breisgau

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Artikel

Von der Rakete ans Pflegebett

Körperlich schwere Arbeit, geringe Entlohnung, lange Arbeitszeiten – der Pflegeberuf ist bei den Deutschen unbeliebt. Derzeit sind hierzulande laut Bundesregierung 36.000 Stellen in der Alten- und Krankenpflege unbesetzt. Ich habe drei Menschen mit Migrationshintergrund getroffen, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben und gefragt, warum sie Altenpfleger werden wollen.


Hat Versicherungswesen studiert: Sarita Gregarek aus Nepal

"Ich bin seit 2014 in Deutschland. Mein Bruder wohnt hier schon seit langem, ich habe ihn oft besucht und dann entschieden, auch nach Deutschland zu gehen. Eine befreundete Pflegerin brachte mich auf die Idee, es auch zu versuchen. 2015 habe ich ein Praktikum im Blindenheim in Freiburg gemacht. Die Arbeit hat mir sehr gefallen, also habe ich die Ausbildung angefangen.


Den Dialekt der Lehrer habe ich am Anfang schlecht verstanden, ich hatte nur ein Jahr lang Deutsch gelernt. Aber ich freute mich immer, auf Arbeit zu gehen. Das ist heute noch so – meine Kollegen sagen, ich bin die Einzige, die so motiviert zur Arbeit kommt. Die Heimbewohner waren zu Beginn ein wenig distanziert, aber das war vorbei, sobald wir uns alle kennengelernt hatten.


Dabei ist Pflege etwas ganz neues für mich. In Nepal habe ich bei einer Versicherung gearbeitet und meinen Master im Versicherungswesen gemacht. Am Anfang war mir die Arbeit in der Pflege manchmal unangenehm. Alte Leute nackt zu sehen, ist in Neapel nicht so normal wie hier. Auch Pflegeeinrichtungen gibt es nicht, Alte bleiben in den Familien. Ich hätte nie gedacht, dass ich in der Pflege oder in Deutschland lande, aber bin jetzt sehr glücklich.


Nach der Ausbildung wurde ich sofort übernommen vom Blindenheim. Die Bezahlung der Pflegekräfte in Deutschland ist im Verhältnis zu der Arbeit, die wir machen, nicht fair – aber ich verdiene mehr als in Nepal. Schade finde ich allerdings, dass ich häufig wenig Zeit für die Bewohner habe. Ich muss schnell arbeiten, weil ich auch Büroarbeit erledigen muss. Dabei würde ich mich gern zu 100 Prozent meiner Zeit um die Bewohner kümmern."


Baute früher Raketen: Anastasia Garbuzova aus Russland

"Ich bin hierher gekommen, weil ich geheiratet habe, mein Mann ist Deutscher. Das war 2010. Ich habe mich erst nur eingelebt, die Sprache gelernt, dachte aber nach ein paar Jahren, dass ich verrückt werde, wenn ich weiter nichts tue.


Ich habe alles ausprobiert, auch Putzfrau, aber keine Anstellung gefunden. Die Großmutter meines Mannes, frühere Krankenschwester, hat immer viele interessante Geschichten erzählt, wie schön es war, Menschen zu helfen. Das hat mich inspiriert. In Russland gibt es Pflegeeinrichtungen, aber die sind nicht so gut wie hier. Dort war ich Ingenieurin im Raketenbau. Aber ich wollte nicht länger Dinge bauen, die Menschen umbringen.


Technik, Mathe und Physik begeistern mich weiter als Hobby – ich baue Modellflugzeuge und bin im Verein der Luftsportgruppe Kaiserstuhl. Mich interessiert nicht, ob andere auf meinen Beruf herabschauen, solange ich damit glücklich bin.


Ich wurde von meinem Ausbildungsbetrieb, der Evangelischen Sozialstation, übernommen und arbeite im ambulanten Pflegedienst. Dort habe ich immer Action – vom Strümpfe anziehen bis zum Katheter legen. Mit den Patienten gab es nie Schwierigkeiten. Schwer ist es, einspringen zu müssen, wenn ich schon lange gearbeitet habe und ausgelaugt bin. Ich kann aber nicht nein sagen, weil ich mein Team nicht im Stich lassen will."


Wollte Lehrer werden: Bojan Pavic aus Bosnien

"Ich bin in Bosnien aufgewachsen. Dort habe ich mein Lehrerstudium für Geschichte und Geographie abgebrochen, weil ich nicht motiviert war. Mit der Pflege ist das anders. Die Arbeit mit den alten Leuten ist wie mit Kindern. Man muss deutlich reden, kurze Sätze sagen, sich wiederholen. Mir macht das Spaß und kein Tag ist wie der andere.


Ich sehe das so: Ich kann auch mal in diese Situation kommen. Deshalb habe ich Respekt vor dem Beruf. Nach Deutschland bin ich 2015 gekommen – ich hatte gehört, dass man hier schnell einen Job bekommt, vor allem in der Pflege. Deshalb habe ich zuerst ein Praktikum im St. Carolushaus in Freiburg und dann meine Ausbildung gemacht. Dort arbeite ich jetzt auch. Mit meinem Lohn bin ich sehr zufrieden. Er könnte natürlich höher sein, aber für ein normales Leben in einer normalen Wohnung reicht es.


Viel wichtiger fände ich, dass der Personalschlüssel verändert wird. Man muss oft für andere Kollegen einspringen. Überhaupt arbeiten wir immer. Das Privatleben leidet darunter. Körperlich ist der Job für mich nicht so anstrengend wie für manche Frau. Ich habe auch auf einer Baustelle gearbeitet – im Vergleich dazu ist Pflege wie Urlaub. Jede Arbeit hat seine Schwierigkeiten, es kommt darauf an, was man daraus macht."

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