Monika Belinski sitzt in ihrer Einbauküche, beige Schrankfassaden, Spargelcremesuppe auf dem Herd, eine Kanne Wasser mit Minzblättern und Zitrone auf dem Tisch. Draußen spielen Kinder, Vögel zwitschern und Monika Belinski sagt: "Wenn eine Frau nach einer Party einen Mann abschleppt, dann ist das in Ordnung. Dann ist sie eben sexuell aktiv. Wenn du Geld für Sex nimmst, bist du eine Schlampe und hast keine Moral mehr. Dann bist du bereit, die Beine breit zu machen." Sie schaut zum Fenster, wo sich gerade der Nachmittagsbus durch die schmale Straße schiebt, lächelt. "Ich bin jemand, der bereit ist, die Beine breit zu machen", sagt sie.
Belinski ist Prostituierte. Wie sie richtig heißt, will sie nicht sagen. Auch nicht, wo sie wohnt, unter welchem Namen ihre Freier sie kennen, woher sie kommt. Wenn sie spricht, hört man, dass es ein Land in Osteuropa sein muss. Fragt man, was sie ist, sagt sie: eine Wanderhure.
Sie arbeitet in verschiedenen Städten in ganz Deutschland. Mal ist sie in Stuttgart, mal in München, meistens aber in Freiburg. Zumindest war das bisher so. Seit Oktober kann sie dort, an ihrem Lebensmittelpunkt, nicht mehr arbeiten. Ihr Stammbordell in der Freiburger Mattenstraße musste zumachen.
Prostitutionsgewerbe nur in bestimmten Gebieten
Als 2017 das Prostituiertenschutzgesetz verabschiedet wurde und der Vermieter das Haus neu anmelden musste, nutzte die Stadt Freiburg das, um es zu schließen – unter anderem wegen des Brandschutzes. Das geht aus den Briefen zwischen Stadt und Vermieter hervor, die der BZ vorliegen. Auf Anfrage sagt die Stadt, das Bordell entspreche nicht dem Gesetz und das Freiburger Bordellkonzept sehe Prostitutionsgewerbe nur in bestimmten Stadtgebieten vor. Der Betrieb bleibt geschlossen. Belinski sagt, sie habe keinen Arbeitsplatz mehr wegen Zimmerdecken, die 13 Zentimeter zu niedrig seien.
Sie wuchs auf bei ihren streng katholischen Großeltern, ohne Eltern. Ihren Vater jagten ihre Großeltern mit der Mistgabel aus dem Dorf, weil er geschieden war. Ihre Mutter, die Nonne werden sollte, haute deshalb ab – und wurde Prostituierte. Monika Belinski, die auch Nonne werden sollte, erzählte in der Schule, dass ihre Mutter Masseurin sei. Als die Großeltern starben, ging sie in ein Internat, statt zur Mutter zu ziehen – weil sie ihre große Liebe gefunden hatte und nicht wegziehen wollte. "Mein Traum war es zu heiraten, zwei Kinder zu bekommen und in einem Häuschen mit weißem Zaun zu wohnen."
Die Liebe ging vorüber, sie ging studieren. Nebenher putzte sie für zehn Euro pro Stunde, hatte das irgendwann satt und begleitete eine Kommilitonin für einen Job über die Grenze nach Deutschland. Die Kommilitonin arbeitete als Prostituierte in einem Bordell und Belinski wurde dort Empfangsdame. Drei Tage lang verdiente sie 80 Euro pro Tag. Am vierten Tag stellte sie sich mit dazu, als die Freier kamen, um sich eine Frau auszusuchen.
"Ich war ein bisschen aufgeregt, aber es war schnell vorbei."
Ihr erstes Mal als Prostituierte war mit einem Mann Mitte 40. Blasse Haut, rote Haare, nicht ihr Typ. "Es war nichts Weltbewegendes." Er buchte 15 Minuten, "Französisch bei ihm und Verkehr". Für den Sex blieben zwischen ausziehen, waschen und wieder anziehen nur sechs bis sieben Minuten. "Ich war ein bisschen aufgeregt, aber es war schnell vorbei", sagt Belinski. Ab jetzt verdiente sie 300 Euro pro Stunde. "Ich hatte Blut geleckt."
Heute ist sie in ihren Dreißigern, wohnt und prostituiert sich seit mehr als zehn Jahren in Deutschland. Sie habe noch nie eine gefährliche Situation erlebt, sagt sie. Aber sie wisse, dass es Prostituierte gibt, die Gewalt erfahren, und kenne Frauen, die verschleppt und zum Sex gezwungen wurden. Mit ihrer Mutter spricht sie über die besten Bordelle in Deutschland, aber nicht über die besten Stellungen. "Überleg es dir gut, ob es wirklich das ist, was du machen willst", sagte ihr diese damals. "Und wenn es das ist, dann tu es."
Belinski, ein dunkles Tuch um den Hals, kleine Perlenohrringe, fährt sich mit den Fingern durch die langen Haare. Sie wolle noch so lange wie möglich als Prostituierte arbeiten, sagt sie. Aber das Geschäft werde schwieriger, seit Jahren würden die Preise sinken. 2017 kam das Prostituiertenschutzgesetz. Seitdem ist sie mit Name, Geburtsdatum, Adresse, Staatsangehörigkeit und Passbildern beim Freiburger Ordnungsamt gemeldet. Nur dann darf sie legal arbeiten.
Bei der Versicherung ist sie als Masseurin gemeldet
Belinski steht auf, geht in ihr Schlafzimmer, wo alles in Pastellfarben gehalten ist und der dicke Teppich die Schritte dämpft. Sie holt ihre Unterlagen aus einer Schublade, breitet sie auf dem Küchentisch aus. Die graue Anmeldebescheinigung liegt neben einer Packung mit gelben und pinken französischen Macarons. Die hat ihr ein Freier geschenkt. Belinski findet es nicht gut, dass das Ordnungsamt ihre Daten kennt. "Wer weiß, ob nicht mein Nachbar dort arbeitet. Dann sieht der meinen Namen. Und dann ist es schnell raus." Bei der Sozial- und Arbeitslosenversicherung ist sie deshalb wie viele andere Prostituierte als Masseurin gemeldet, das habe ihr ein Versicherungsmakler geraten. "Ein bisschen Vorsorge für die Zeit, wenn ich mal raus will. Besser Wellness als Hure."
Neben der Bescheinigung liegt eine kleine Papierkarte, der Nachweis, dass Belinski bei der Gesundheitsberatung war. Auch das ist seit 2017 jedes Jahr Pflicht. Die Beratung, sagt Belinski, sei sehr gut gewesen. Beim Freiburger Gesundheitsamt würden fähige Leute arbeiten. Dass Anmeldung und Gesundheitsberatung ihren Zweck erfüllen – nämlich Prostitution besser zu kontrollieren, unmenschliche Arbeitsbedingungen aufzudecken und Frauen, die gezwungen werden, zu identifizieren – bezweifelt Belinski trotzdem. "Die Ämter geben ihr Bestes, aber da wird nichts herausgefunden. Die Frauen werden vorher gebrieft, was sie sagen dürfen." Sie lacht trocken, schüttelt den Kopf. Das Gesetz sei nett gemeint, aber wirklich sinnvoll sei nur die Kondompflicht. In der Mattenstraße hingen seit 2017 im Flur und in jedem Zimmer Hinweise auf die Pflicht für Freier und Prostituierte, beim Geschlechtsverkehr Kondome zu tragen.
Die neuen Notfallknöpfe seien nicht effektiv
Nichts abgewinnen könne Belinski den Notfallknöpfen, die Bordellbetreiber einbauen müssen. Prostituierte sollen ihn drücken, wenn sie in Gefahr sind. Dann werde aber erst der Betreiber informiert, der sich bei der Prostituierten meldet. Erst wenn diese nicht antwortet, werde die Polizei informiert. "Wenn ich wirklich in Gefahr bin, ist mir bis dahin schon sonst etwas passiert", sagt Belinski. Und erzählt dann lachend, wie die Knöpfe in der Mattenstraße hinter den Lampenschirmen versteckt werden mussten, weil Freier aus Neugierde draufdrückten.
Am meisten zu schaffen macht Belinski, dass sie in Freiburg keinen Arbeitsplatz mehr findet. Sie bucht Wohnungen oder Zimmer, in denen sie Freier empfängt. Dem Vermieter bezahlt sie eine vorher festgelegte Miete. Wie lange sie arbeitet, was sie für welchen Preis anbietet und mit wem sie schläft, entscheidet Belinski selbst. In den meisten von Freiburg geduldeten großen Bordellen kann sie das nicht – und sie muss die Hälfte ihres verdienten Geldes an die Betreiber abgeben. "Das sind keine Konditionen, zu denen ich arbeiten möchte." Dann gäbe es noch kleine Wohnungen mit ein oder zwei Prostituierten, die Freiburg duldet – aber die seien erstens schon voll und zweitens möchte Belinski nicht gleichzeitig an einem Ort arbeiten und wohnen.
Alles schon ausgebucht
Die wenigen Orte, an denen sie sich vorstellen kann, zu arbeiten, sind 2019 schon ausgebucht. Zwei Wochen insgesamt konnte sie in diesem Jahr in Freiburg arbeiten, statt wie früher jede zweite Woche. Und das macht sich auf ihrem Konto bemerkbar. "Das nervt", sagt Belinski.
Wenn sie herausfinden möchte, wo es freie Wohnungen gibt, schaut sie im Internet auf kollegin.de nach. Dort geben Vermieter Anzeigen für Wohnungen und Bordellbetriebe auf, die Prostituierte nutzen können. Auf ihrem Smartphone mit gesprungenem Display tippt sie Freiburg im Breisgau im Suchfeld ein. Zwölf Ergebnisse tauchen auf, Belinski scrollt die Seite entlang. "Kenne ich alle schon", sagt sie. "Die Anzeigen sind unterschiedlich, aber dahinter steckt derselbe Betreiber. Die Nummer, die man anrufen soll, endet immer mit den gleichen drei Ziffern." Bei einer Anzeige bleibt sie doch hängen. "Kleines Apartment mit schönem Ambiente sucht Dich!", steht da. Diese kennt sie noch nicht. Sie ruft an, es tutet einmal in der Leitung, dann nimmt jemand ab. Belinski fragt, wie hoch der Mietpreis ist, ob sie sich die Wohnung mit jemandem teilt, ob ihr Name an der Klingel stehen würde.
Als sie auflegt, lehnt sie sich zurück und betrachtet den Zettel mit den Infos vor ihr. "Schlechtes Deutsch, eine Russin. Ich glaube nicht, dass sie eine Genehmigung hat für die Wohnung." In einem Monat habe sie noch ein paar Tage in einem Freiburger Haus buchen können. Wenn es ihr dort gefällt, will sie Termine für 2020 ausmachen.
Das neue Bordell sei "ganz passabel"
Einen Monat später meldet sich Belinski am Telefon aus dem neuen Bordell. Gestern hat sie ihren Koffer dort ausgepackt mit Kondomen, Gleitgel, Massageölen, Dildo, Augenbinde, einem Stock zum Peitschen und ihre Arbeitsunterwäsche, die sie im Alltag nicht trägt, "weil die unbequem ist". Beim Ankommen hat die Empfangsfrau "Pass und Hurenpass" kontrolliert, die Hausordnung gezeigt und durch das Bordell geführt. "Es ist ganz passabel", findet Belinski, nur seien die Zimmer zu dunkel. Sie bezog das Bett, legte die Kissen zu Recht, dann kamen schon die ersten Gäste, vier Stammkunden.
Müde sei sie danach gewesen. "Aber ich habe ein positives Gefühl gehabt." Ob das daran liegt, dass sie sich dort wohlfühlt – oder dass sie keine andere Wahl hat, weil es in Freiburg gerade nichts Besseres gibt, weiß sie noch nicht.
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