Theresa Leisgang

freie Journalistin, Autorin, Speakerin

1 Abo und 0 Abonnenten
Text

What is sacred to you?

Heilige Momente waren es für mich als Kind, das Osterfeuer vor der Kirche lodern zu sehen, es als Ministrantin zum Altar zu bringen, wo es langsam reihum weitergereicht wurde, bis alle Osterkerzen der Gemeindemitglieder die Kirche in ein schummriges Licht tauchten, bevor dann schließlich die Sonne aufging. Die Prozession zu Pfingsten, das Kartoffelfest zu Erntedank, die Engelsgebete in den Adventswochen, es waren diese Feste, auf die ich mich mehr freute als auf die Sommerferien, die mein Jahr strukturierten, Rituale, die mir ein Zuhause waren.

Mein Leben lang habe ich mich zugehörig gefühlt zu verschiedenen christlichen Gemeinschaften - im Studium in Freiburg habe ich im katholischen Wohnheim Alban Stolz Haus mit der besten Schnapsbar der Stadt gewohnt, ich war Vorstandsmitglied im Katholischen Hochschulorchester, habe durch mein Stipendium an der katholischen Journalistenschule ifp das Handwerk fürs Schreiben gelernt und eine Familie gefunden im Journalismus, der sonst stark durch Konkurrenz geprägt ist.

2018 habe ich in Rom bei unserer ifp-Privataudienz Papst Franziskus gesagt, dass ich ihn bewundere. 

Ich habe das gesagt, weil ich tief berührt von seinen Worten in der Schrift „Laudato Sí“ bin. Von seinen Werten. Und weil ich das Gefühl habe, dass er mit der Institution Kirche genauso hadert wie ich.



Diesen Sommer habe ich verstanden, dass er trotzdem nicht viel bewirken kann gegen die alten verstaubten Kräfte der Dogmatik des Kirchenapparats. Eine Person ist noch keine Bewegung. Als im Sommer fast 1000 anonyme Kinderleichen in der Nähe eines katholischen Internats gefunden werden, kommt aus dem Vatikan kein Kommentar, keine Entschuldigung, nichts.

Einer, der weiterhin eine Stellungnahme fordert, ist Chief Dominique Rankin, er wurde 1955 von seiner Familie getrennt und in eine Missionsschule verfrachtet. Die Misshandlungen im Internat hat er in seinem Buch „They called us savages“ verarbeitet, das 2020 erschien. Als dieses Jahr immer mehr anonyme Gräber von Kindern gefunden werden, holen ihn die Erinnerungen ein. Er teilt sie mit einer Redakteurin der ZEIT:

„Natürlich denke ich jetzt an meine Freunde aus der Residential School, die verschwanden. Wir erfuhren nie, wohin. Ich glaube heute: Wir kannten die Wahrheit. Mir ist klar, dass ich eines dieser Kinder sein könnte. Warum lebe ich überhaupt noch?
Vielleicht, damit einer hier ist, um die Verlorenen willkommen zu heißen und in ihrem Namen zu sprechen.“



Ich sitze vor dem Artikel und fühle diese unglaubliche Schwere, die Hilflosigkeit, Fassungslosigkeit angesichts der erdrückenden Realität, die da ans Licht kommt. 

Überall auf der Welt haben Kolonisatoren und die katholische Kirche Schulen dazu benutzt, den Glauben, die Werte, die Tradition, die Philosophie, all das auszulöschen, wofür das Leben von Indigenen stand. Ich habe auf meinen Recherchen vom Amazonasgebiet bis in die Arktis viele solcher Geschichten gehört. 



Dominique Rankin sagt, im Internat sei ihnen beigebracht worden zu beten „aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“. Ein Wort, das sei alles, was er jetzt vom Vatikan erwarte, ein Wort der Entschuldigung: „Wichtiger als die polizeilichen Ermittlungen ist es aber, die Wahrheit auszusprechen.“ Noch warten er und die anderen Gemeinschaften der First Nations in Kanada vergebens.



Ein Flug von Rom bis Montréal für das kommende Wochenende kostet 620 Euro, darin wäre meine Kirchensteuer gut investiert. Ein Besuch wäre das Mindeste um zu zeigen, dass die Kirche Verantwortung für die unfassbaren Gräueltaten der Vergangenheit übernehmen und sich ändern kann. Aber sie will es nicht. Und deshalb ist es jetzt Zeit für mich, meinen Glauben außerhalb dieser Institution Kirche zu formen und zu festigen. 



Das Göttliche wohnt in jedem Lebewesen, in jeder Blüte und jedem Berg, in der Art, wie wir miteinander in Beziehung treten, in Gemeinschaft - aber in der Institution der katholischen Kirche scheint es tot zu sein. 



Ich werde am Freitag, den 15. Oktober, dem Tag meiner Namenspatronin Teresa von Ávila, ein Feuer machen, um meinen Glauben zu feiern. Wenn ihr mich auf diesem Weg begleiten wollt, dann schreibt mir gerne einen Kommentar oder eine Postkarte:

What is sacred to you?