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"Da bin i dabei"

Auf 5950 Höhenmetern liegt das Hochlager 2 an der Ama Dablam. Foto:Hackl

Der Burgkirchner Helmut Hackl erzählt von seinen Expeditionen zu den höchsten Gipfeln der Welt


10 Uhr morgens. Helmut Hackl steht am Hillary Step, dem letzten steilen, fast senkrechten Aufschwung vor dem Gipfel des Mount Everest. Die kleine Gruppe aus Bergsteigern und Sherpas befindet sich auf 8750 Meter Höhe. Der Himmel über ihnen ist strahlend blau, die felsige Landschaft teilweise eisbedeckt. Nur noch 98 Höhenmeter trennen den gebürtigen Burgkirchner und seine Kameraden vom Dach der Welt, und trotzdem ist der Gipfel mit einem Mal unerreichbar. Das Fix-Seil, das Bergsteiger bei ihrem Auf- und Abstieg sichert, reicht nicht mehr für das letzte Stück. Eine halbe Stunde steht Helmut Hackl in dieser unwirklichen und lebensfeindlichen Landschaft und überlegt. Er muss umkehren. Aber er denkt darüber nach, weiter zu gehen. Allein und ohne Sicherung. Der Aufstieg wäre vermutlich machbar, denkt er, aber anschließend müsste er herunterklettern, anstatt sich abzuseilen. Schritt für Schritt. Und mit eingeschränkter Sicht wegen seiner Sauerstoffmaske. Letztendlich siegt die Vernunft. Er gibt seinen Lebenstraum auf und kehrt um.

Auf 5950 Höhenmetern liegt das Hochlager 2 an der Ama Dablam.

Heute, ungefähr 19 Jahre später, sagt Hackl: "Es war die richtige Entscheidung. Ich wollte nicht am Berg sterben." Wenn der Burgkirchner von seinen Expeditionen erzählt, dann tut er das nicht wie jemand, der Anekdoten aus seinem Leben mit einer gewissen inneren Distanz zum Besten gibt. Er taucht ein in seine Geschichten. Mit jedem Wort scheint es, als durchlebe er die Aufstiege und Rückschläge, von denen er berichtet, wieder und wieder. Zuhörer bekommen einen Eindruck davon, wie jemand sein muss, der einige der höchsten Gipfel der Welt bestiegen hat: rastlos, fokussiert und leidensfähig, weit über die Grenzen seines Körpers hinaus.

Mittlerweile hat Hackl seine Karriere als Höhenbergsteiger beendet. Vor zwei Jahren bekam er das zweite künstliche Hüftgelenk. An seiner Einstellung zum Sport hat das aber nichts geändert. Bergsteigen geht er weiterhin, genauso wie Klettern, ins Fitnessstudio, zum Mountainbiken und Motorradfahren. Nur Laufen, das kann Helmut Hackl nicht mehr. Und das ärgert ihn.

Mit 28 Jahren kam Hackl zum Burgkirchner Alpenverein. Er wollte mehr wissen, über die Berge und die dortigen Wetterverhältnisse. Also entschied er sich für eine Ausbildung als Fachübungsleiter für Hochtouren. Neben einem breiten Wissen und praktischer Erfahrung fand er dort vor allem Gleichgesinnte. Als ein Kollege beschloss, zu seinem 50. Geburtstag einen 6000 Meter hohen Gipfel zu besteigen, war für Helmut Hackl die Sache klar. "Du, da bin i dabei!". Zur Auswahl stand der Mount McKinley in Alaska und eine Doppelexpedition zum Alpamayo und Huascarán in Peru. Eine Münze entschied, und 1989 bereitete sich die Gruppe um Helmut Hackl auf eine Expedition nach Südamerika vor. Für Hackl stand von Anfang an fest: "Wenn ich einen 6000er ohne Erfahrung besteigen kann, dann sind danach auch 8000er möglich." Und so kam es dann auch. Magenprobleme, verursacht durch schmutziges Wasser, schwächten ihn zwar körperlich, aber mit mentaler Stärke schaffte er es auf den Gipfel. Ab da war nichts mehr unmöglich. Zwei Jahre später war der Cho Oyu mit seinen 8201 Metern Höhe an der Reihe. Und in den folgenden Jahren unternahm er fast jährlich eine Höhenbergtour.


Bergsteigen, wie Helmut Hackel es betreibt, hat mit idyllischen Berglandschaften und romantischen Wanderungen nicht viel zu tun. Es ist Extremsport. Und bei jedem Aufstieg riskieren die Sportler ihr Leben. Eine Expedition zum Gipfel des Mount Everest überlebt jeder fünfte nicht. Die, die es nicht schaffen, bleiben oben. Extreme Kälte und die dünne Luft konservieren ihre Körper. Was bleibt, sind regelrechte Mahnmale für nachfolgende Bergsteiger. Auch Helmut Hackl musste die Gefahren des Berges oft hautnah miterleben. Felsspalten, unter einer dünnen Schneeschicht verborgen, Schneebretter, die sich plötzlich lösen und der eigene Körper, der der extremen Belastung plötzlich nicht mehr standhält. Und trotzdem setzte sich Helmut Hackl diesen Risiken immer wieder aus. Freiwillig, aber auf keinen Fall leichtsinnig.


Sechs bis neun Monate Vorbereitungszeit investierte er in jede seiner Expeditionen, trainierte fast täglich. Schlafen, Essen, Arbeiten, Trainieren und dann wieder von vorne. Für Freizeit blieb da nur wenig Raum. Aber nur so kann er es verantworten. "Da hängt schließlich mein Leben dran." Neben dem körperlichen Training ist ihm die mentale Vorbereitung besonders wichtig. Und die bestand aus akribischer Recherche: "Bevor ich einen Berg besteige, war ich in Gedanken schon fünfmal oben."


Aber trotz aller Vorbereitung ist eine Expedition auf den höchsten Berg der Erde riskant, unvorhersehbar und ein stetiges Auf und Ab. Vier Wochen dauert der Aufstieg. Von Höhenlager zu Höhenlager und dann wieder zurück ins Basiscamp. Die lebensfeindlichen Bedingungen zwingen die Bergsteiger immer wieder zum Abstieg. Bei seiner Everest-Expedition kehrte Helmut Hackl insgesamt fünfmal zurück zum Basislager und kämpfte sich anschließend wieder nach oben. Etappe um Etappe. Nur an drei oder vier Tagen im Jahr ist es überhaupt möglich, den Gipfel des Everest zu erreichen. Die gilt es, abzupassen. Die restliche Zeit machen Schneestürme einen Aufstieg unmöglich. Der Mount Everest verzeiht keine Fehler. Auch Helmut Hackl scheiterte sprichwörtlich auf den letzten Metern.

Aber seine Liebe zu den Bergen tat dieser Rückschlag keinen Abbruch. Im Gegenteil. Auf dem Weg zum Gipfel schmiedete Hackl schon neue Pläne. "Zwei Tage lang hatten wir einen Blick auf den Ama Dablam. Da habe ich beschlossen: Das soll mein letzter Berg sein." So kam es dann auch. Und Hackl beendete seine Karriere mit einem Erfolg: Er und seine Kameraden erreichten den Gipfel der Ama Dablam.


Wie fühlt es sich an, nach wochenlangem Ausstieg und monatelanger Vorbereitung auf 6812 Metern zu stehen, mit Blick auf den Mount Everest und über das Himalaya Gebirge? Helmut Hackl sagt: "Zuerst ist man natürlich froh, aber dann kommen Gedanken an den Abstieg. Die meisten Unfälle passieren auf dem Weg nach unten. Für Hackl ist der Weg das Ziel. Der Weg nach ganz oben, an die höchsten Punkte der Welt. Und unterwegs hält er Ausschau, immer auf der Suche nach der nächsten Herausforderung.



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