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Glaubensgespräche im Campingstuhl

Marisa Grummich lässt sich zur Gemeindereferentin ausbilden. Sie ist überzeugt: Die Themen der Kirche sind topaktuell. Doch die Institution muss sich verändern. Sie selbst hilft dabei, indem sie offen über den Glauben spricht. Marisa Grummich setzt sich für mehr Authentizität und Offenheit im Glauben ein. Foto: Theresa Brandl

Marisa Grummich ist auf vielen Festivals unterwegs - zum Beweis schüttelt sie die bunten Bändchen an ihrem Handgelenk. Sie sitzt dann in ihrem Campingstuhl und führt seelsorgliche Gespräche. Sobald sie erzählt, dass sie für die Kirche arbeitet, kommt die neugierige Frage: „Katholisch oder evangelisch?" So, wie die Leute reagieren, hat sie oft „das Gefühl, das Schlechtere gesagt zu haben".

Die Kirche sei zu sehr damit beschäftigt, um sich selbst zu kreisen, sagt die 24-Jährige, und würde deshalb gar nicht so genau mitbekommen, wie ihr Bild von außen eigentlich gerade ist. Das ist nämlich nicht besonders gut, kann die junge Frau aus eigener Erfahrung berichten. In ihrem Freundeskreis identifizieren sich einige nicht mehr mit der Institution, fragen sich, „wie ich mich als junge Frau dafür entscheiden kann, in so einem Verein mitzuarbeiten". Und auch sie selbst kommt manchmal ins Grübeln.

Marisa Grummich ist in Nordhorn in der Grafschaft Bentheim aufgewachsen. Ihre Mutter ist bis heute bei der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) aktiv. Zu ihren Kindern sagte sie: „Zur Erstkommunion sollt ihr gehen, ab dann könnt ihr alles selbst entscheiden". Und Marisa Grummich hat sich entschieden: für die Kirche. Nach der Firmung nahm sie an Schulungen teil und war anschließend als Jugendleiterin in Zeltlagern. Bis sie der damalige Jugendreferent „irgendwann von der Seite anquatschte, ob ich nicht Lust hätte, mehr zu machen". Marisa Grummich wurde schließlich in den Regionalvorstand der Katholischen Jugend Grafschaft Bentheim gewählt.

Prägende Erfahrungen in Thailand

Doch die junge Frau wollte sich nicht nur ehrenamtlich engagieren. Bei einem Gespräch mit dem Jugendreferenten gab es Tee und Antworten auf alle Fragen. Theologie wollte sie nicht studieren - weil sie sich an ihre Schulzeit erinnerte und daran, „mit Müh und Not durch Latein gekommen" zu sein. Sie telefoniert mit Schwester Rita, Ausbildungsbeauftragte für Studierende der Katholischen Hochschule Paderborn, und findet die Lösung: Religionspädagogik.

Marisa Grummich bewirbt sich erfolgreich an der Hochschule in Paderborn und beim Bistum Osnabrück. Aber zunächst entscheidet sie sich für ein Freiwilligenjahr in Thailand - mit einer freichristlichen Organisation. „Das andere Extrem ausprobieren", begründet sie diesen Schritt. In Südostasien arbeitet die junge Frau in einem amerikanischen Kinderheim und sammelt prägende Erfahrungen - auch für ihren Glauben. Um Land und Leute kennenzulernen, verbringt Marisa Grummich den ersten Monat ihres Auslandsaufenthalts bei einer Deutschen, die als Missionarin nach Thailand ausgewandert ist und dort eine Kirche gegründet hat. Marisa Grummich besucht Anbetungen der Freichristen, bei denen eine Band spielt und alle mitsingen. Das berührt die junge Frau so sehr, dass sie sich bis heute „sehr sentimental" fühlt, wenn sie die Lieder aus dieser Zeit hört.

Doch es gibt auch eine Situation, in der sie merkt: Das hat mit meinem Glauben überhaupt nichts zu tun. Gemeinsam mit anderen Freiwilligen nimmt sie in Bangkok an einer Convention der Freichristen teil. Dort erzählen Priester von ihrem Glauben, bei einer riesigen Veranstaltung, für die man auch Tickets erwerben muss. Grummich sieht zum ersten Mal, „wie viel Geld mit solchen Events gemacht wird". Sie sitzt relativ weit hinten und beobachtet die Menschen, von denen manche plötzlich schreien, „weil denen irgendwelche Geister ausgetrieben wurden". Mit einem Mal fühlt sich Marisa Grummich sehr unwohl und denkt: „Wo ist das nächste Loch, das sich auftut, damit ich hier verschwinden kann?" Dieses Erlebnis bestärkt die junge Frau darin, mit ihrem Studiengang der Religionspädagogik eine gute Entscheidung getroffen zu haben und auf dem richtigen Weg zu sein.

Zurück in Deutschland studiert Marisa Grummich Religionspädagogik und lässt sich in der Pfarreiengemeinschaft Geeste zur Gemeindereferentin ausbilden. Dort arbeitet sie aktuell in der Jugendarbeit, mit einer Generation, die sich „nochmal ganz, ganz bewusst mit diesen Themen auseinandersetzt". Fragen nach dem Sinn des Lebens, die beschäftigen schließlich alle, ist Grummich sicher. „Aber Glaube ist etwas, das kann ich nicht vermitteln, das muss man immer für sich selbst finden." Die 24-Jährige hat aber viele Ideen, um den Jugendlichen Anstöße zu geben. Wenn es beispielsweise ums Sterben und den Tod geht, arbeitet sie mit dem Hospiz im Krankenhaus Meppen zusammen. Die Firmbewerber können dann die Abschiedsräume besuchen, in denen Menschen ihre letzten Stunden verbringen. „Das erlebe ich immer als sehr wertschätzend", sagt Grummich.

Moralische Fallhöhe ist bei Kirche sehr hoch

Wertschätzend erlebt sie auch ihre Freundinnen und Freunde, wenn sie mit ihnen über die Kirche und ihren Glauben spricht. Kritisch werde oft hinterfragt, warum sie für die Institution arbeite, „aber blöde flapsige Kommentare, nein". Und ihre Kirche betrachtet auch Marisa Grummich sehr kritisch. Auf die Frage, was sie am meisten stört, fragt sie zurück: „Muss ich nur eins sagen? Darf ich nur eins sagen?" Und erzählt anschließend, dass noch immer versucht werde, Missbrauchsfälle unter den Teppich zu kehren. Dass Machtmissbrauch zwar auch in anderen Systemen stattfände, „aber die moralische Fallhöhe bei Kirche viel, viel, viel höher" sei. Dass sie sich wünsche, dass endlich jemand sagt: „Wir setzen uns jetzt auf den Hosenboden und arbeiten das vernünftig auf." Dass Frauen Priesterinnen werden sollten und zwar nicht nur, weil irgendwann männliche Kandidaten fehlen, sondern „aus den gleichen Werten und aus den gleichen Rechten" heraus.

Und dass sie trotzdem bleibt. Weil sie die Veränderung sein möchte, die die Kirche so dringend braucht. Es sei zurzeit schwer, Werbung für die Institution zu machen. Doch Marisa Grummich ist eine, die trotzdem macht. Auf dem Instagram-Kanal um.gotteswillen erzählt sie gemeinsam mit ihrer Freundin, Pastoralassistentin Eva Gutschner, von der Arbeit in der Gemeinde und spricht über ihren Glauben. Das ist ihre Strategie, um etwas zu bewegen. Deshalb sitzt sie auf Zeltplätzen und hört Fremden dabei zu, wie sie vom Glauben und dem Sinn des Lebens erzählen: „Ich weiß nicht, wie viele Gespräche ich schon in meinem Campingstuhl geführt habe."

Theresa Brandl Dieses Porträt ist Auftakt einer Reihe "Frauen in Kirche". Insgesamt erzählen sieben Frauen, warum sie in der Kirche bleiben.

Es folgen: - eine junge Frau, die zum katholischen Glauben konvertiert ist - eine Ordensschwester - eine junge Frau, die sich ehrenamtlich in der Jugendarbeit engagiert und im Regionalvorstand des BDKJ sitzt - eine Mutter, die den Glauben an ihre Kinder weitergibt - eine junge homosexuelle Katholikin - eine engagierte Frau der Reformbewegung Maria 2.0

Anlass ist die Podiumsdiskussion "Keine Kirche ohne Frauen" am 29. April.
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