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Tagesmutter in Zepernick verabschiedet sich in den Ruhestand

Inmitten eines Blumenmeers: Tagesmutter Rita Wiegmann-Ruhnke aus Zepernick geht nach langjähriger Tätigkeit in den Ruhestand. In der Natur und auch im Garten hat sie viel Zeit mit den Kindern verbracht. © Foto: Tatjana Littig

Zwölf Kinder, so viele wollte Rita Wiegmann-Ruhnke immer haben. "Großfamilien haben mich fasziniert", sagt sie. Und: "Ich bin meinem Lebensziel sehr nah gekommen." 30 Jahre hat sie als Tagesmutter gearbeitet, 15 Jahre davon in Zepernick. Am Montag hat sie offiziell ihren letzten Arbeitstag. Weil aber das letzte Kind aus der Betreuung mit seiner Familie umgezogen ist, hat sie schon einige Tage frei. Urlaub sozusagen. 

Die 66-Jährige hat die Zeit genutzt. Sie geht jetzt zum Sport, viermal die Woche. In ihrem Haus hat sie das eine oder andere umgestellt. Am Fenster, wo einst die Leseecke der Kinder war, steht nun ein gemütlicher Sessel. Auf der Kommode daneben sind Kinderbücher aufgereiht. Das seien die guten, erklärt Rita Wiegmann-Ruhnke. Die Bücher, die sie sich gemeinsam mit den Kindern angesehen hat. "Sie hatten aber auch eine eigene Bibliothek", das sei ihr wichtig gewesen.

Wichtig war ihr auch, dass sich die Kinder bei ihr kreativ austoben konnten. Es wurde gemalt und gebastelt. An einer Schnur, die über den Tisch gespannt ist, kann das letzte Projekt begutachtet werden: kleine Boote mit Segel und Schwimmnudel-Untergrund. "Wir konnten sie sogar ausprobieren", erzählt sie. Bei Wind und Wetter war die gebürtige Berlinerin mit ihren Tageskindern draußen. Gemeinsam beobachten sie Regenwürmer und das Korn in den Feldern. "Die Kinder haben ein tolles Umweltbewusstsein", sagt sie.

Rita Wiegmann-Ruhnke ist in Charlottenburg aufgewachsen. Sie ist das jüngste von fünf Kindern. "Ich hatte ein liebevolles Elternhaus, das hat mir eine fundierte Basis gegeben, um sicher im Leben zu stehen", erklärt sie. Schon früh sei ihr klar gewesen, dass sie später mit Kindern arbeiten wolle. Der eigentliche Plan: Kinderpsychologin werden. Doch die Kosten dafür wären immens gewesen, sagt Rita Wiegmann-Ruhnke. Stattdessen macht sie eine Ausbildung zur Erzieherin am Friedrich-Fröbel-Haus in Berlin.

Während der Ausbildung führt sie ein Praktikum in ein Kinderheim in Teltow. Dort arbeitet sie mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen. "Kinder werden anders, wenn sie nicht geliebt werden", findet die 66-Jährige. Mit dem Abschluss in der Tasche wird sie im Kinderheim übernommen. Später wechselt sie an eine größere Einrichtung in Lichterfelde. "Unsere Intention war immer, die Kinder in Pflegefamilien zu bringen", informiert sie. Ein Fall ist Rita Wiegmann-Ruhnke besonders in Erinnerung geblieben: Vier Geschwister verwahrlosten in ihrer Familie. Sie kamen ins Kinderheim, das jüngste Kind wurde in die Niederlande vermittelt. Der große Abstand zu ihrer Familie erweist sich als Glücksfall für das Mädchen. "Jahre später stand eine junge Frau vor meiner Tür und hat mich zu ihrer Hochzeit eingeladen", erzählt die Tagesmutter. Die junge Frau - es ist das Mädchen von einst.

Dutzende solche Geschichten hat Rita Wiegmann-Ruhnke in petto. Nicht alle sind so dramatisch, doch sie berühren sehr. Die 66-Jährige berichtet von Tageskindern, die sie als Erwachsene ausfindig machen, von liebevollen Geschenken und unzähligen Tränen, die vergossen wurden, weil es an der Zeit war, ihr "Tschüß" zu sagen.

Beruf als Berufung

Für manche Menschen ist der Beruf nur Broterwerb. Für Rita Wiegmann-Ruhnke ist er eine Berufung. Nach einigen Jahren im Kinderheim in Lichterfelde wird ihr die Leitung der Einrichtung angeboten. Sie hat die Wahl: Das Angebot annehmen oder eine eigene Familie gründen. Wenn sie was mache, dann richtig, erzählt die 66-Jährige. Die Entscheidung fällt zugunsten der Familie aus. 1984 und 1986 werden ihre beiden Söhne geboren. Nur Hausfrau und Mutter sein? Nach einigen Jahren merkt sie: Das reicht mir nicht. In Berlin entstehen unterdessen die ersten Tagespflegestellen. "Das ist es!", denkt sie.

Im September 1990 nimmt Rita Wiegmann-Ruhnke ihr erstes Tageskind auf, schnell spricht sich das Angebot rum. Bald schon hat sie fünf Tageskinder. Fünf - das bleibt bis zuletzt die Betreuungsgrenze. Sie betreut Kinder bis drei Jahre. Das jüngste war nur acht Wochen alt, das Kind einer Marathonläuferin. "Die ersten drei Jahre sind so prägend", betont die gebürtige Berlinerin. Ihr Ziel: Selbstbewusste und emphatische Kinder in die Welt zu entlassen.

Nachdem ihre erste Ehe zerbricht, führt die Liebe Rita Wiegmann-Ruhnke nach Panketal. Auch hier möchte sie als Tagesmutter arbeiten. Anfangs werden ihr Steine in den Weg gelegt, doch sie setzt sich durch. Seit 2005 betreut sie Kinder in Zepernick. 2012 gründet sie mit einigen anderen Tagespflegepersonen den Verein Tagesmütter für Barnim. "Wir müssen uns vernetzen, wenn wir politisch etwas bewirken wollen", sagt sie. Kritisch sieht sie zum Beispiel die Bezahlung im Landkreis. "Man kann nicht wirklich davon leben."


Tagespflege im Barnim

Seit 2007 liegt die Tagespflege in der Zuständigkeit des Landkreises Barnim. In den vergangenen Jahren ist die Zahl des Tagespflegestellen von 71 in 2017 auf 59 Stellen aktuell gesunken. 2020 wurden jedoch auch zwei neue Tagesmütter zugelassen. Im Idealfall verfügen Tagesmütter und -väter, denn von ihnen gibt es derzeit auch drei im Barnim, über einen pädagogischen Berufsabschluss, ansonsten muss eine Grundqualifizierung von mindestens 160 Unterrichtsstunden absolviert werden. Mit der Vergütung des Tagespflegepersonen will sich der Jugendhilfeausschuss des Landkreises im Herbst erneut beschäftigen. lit


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