Lange Trockenheitsphasen, mehr CO2 in der Luft und Frost im Mai: Bringt der Klimawandel den deutschen Weinbau in Gefahr? Die Weinküferin Yvette Wohlfahrt erforscht in ihrer Doktorarbeit, wie eine höhere CO2-Konzentration in der Luft sich auf Weinreben auswirkt. Im Gespräch erklärt sie, welche Risiken auf den Weinbau zukommen - und warum das veränderte Klima manchen Wein sogar besser machen könnte.
ZEITmagazin ONLINE: Frau Wohlfahrt, Sie forschen zum Einfluss des Klimawandels auf den Wein. Welche Veränderungen wirken sich da aus?
Yvette Wohlfahrt: Viele Aspekte des Klimawandels haben Folgen für den Weinanbau. Die langen Trockenperioden, die höheren Temperaturen, über das Jahr ungleich verteilte Niederschläge, die verstärkte Strahlungsintensität der Sonne. Zusätzlich beeinflussen den Wein auch mehr Treibhausgase und konkret ein höherer Kohlenstoffdioxid-Gehalt in der Atmosphäre. Und nicht zuletzt kommt es ja auch vermehrt zu verheerenden Unwettern, die Weinreben zerstören können.
ZEITmagazin ONLINE: Abgesehen von zerstörerischen Unwettern: Wie wirkt sich das alles auf den Wein aus?
Wohlfahrt: Die hohen Temperaturen zum Beispiel haben zur Folge, dass der Wein einen potenziell höheren Alkoholgehalt und niedrigere Säure bekommt. Dazu kommt der Einfluss auf die Rebenentwicklung: Die Triebe sprießen immer früher. Das hat unangenehme Folgen: Weil Reben zum Beispiel bei warmem Wetter schon vor den Eisheiligen im Mai treiben, gehen die Triebe häufiger am Frost kaputt. Normalerweise lesen wir die Trauben im Oktober, doch wegen der frühen Triebe verschiebt sich auch die Weinlese seit Jahren immer weiter nach vorne. Das ist aber erst mal nicht unbedingt schlecht für die Qualität.
ZEITmagazin ONLINE: Welche Aspekte des Klimawandels haben neben der Erwärmung einen besonders großen Einfluss auf die Weinreben?
Wohlfahrt: Die langanhaltenden Trockenperioden, die uns vermehrt seit 2018 begleiten, sind wirklich sehr herausfordernd. Wenn nicht genug Wasser an die Wurzel kommt, hat die Rebe irgendwann keine Energie mehr zu wachsen. Dann bildet die Pflanze weniger Saft und Mineralstoffe und lagert mehr Zucker ein. Zudem kann die Rebe auch Sonnenbrand bekommen.
Yvette Wohlfahrt
ist ausgebildete Weinküferin, hat auf Weingütern in der ganzen Welt gearbeitet und forscht heute am Institut für allgemeinen und ökologischen Weinbau an der Hochschule Geisenheim zu den Auswirkungen des Klimawandels auf den Weinbau.
ZEITmagazin ONLINE: Wie sieht ein Sonnenbrand bei Trauben aus?
Wohlfahrt: Die Traube verhärtet und verschorft. Das kam letztes Jahr sehr häufig vor, weil es mehrere lang anhaltende Hitzewellen mit teilweise über 35°C Tageshöchsttemperatur gab. Dazu kommt eine erhöhte Strahlungsintensität. Diese Kombination erhöht den Stress für die Rebe und kann der Traube schaden. Es kann sein, dass diese Sonnenbrandbeeren bis zur Lese eintrocknen und abfallen. Schlimmer ist es aber, wenn sie mitverarbeitet werden, denn etwa bei der Gärung des Rotweins können dann mehr Bitterstoffe entstehen und das schmeckt man.
ZEITmagazin ONLINE: Wie wirkt sich der erhöhte Kohlenstoffdioxidgehalt in der Atmosphäre auf die Rebe aus?
Wohlfahrt: Das untersuche ich im Rahmen meiner Doktorarbeit. Mein Team und ich haben festgestellt, dass Reben durch vermehrtes Kohlenstoffdioxid mehr Blätter und mehr Triebe ausbilden und Wasser besser nutzen können. Das wirkt wie ein Dünger und steigert die Erträge, wobei die Qualität des Weines dadurch nicht leidet. Der Klimawandel hat also auch guten Einfluss auf den Wein.
ZEITmagazin ONLINE: Verändert sich durch den Klimawandel auch der Geschmack des Weines?
Wohlfahrt: Der Wein wird tendenziell mehr Alkohol und weniger Säure haben. Säure und Süße der Trauben können wir aber noch mit dem Termin der Lese kontrollieren. Außerdem kommt es darauf an, was der Winzer oder die Winzerin im Keller macht: Entweder sie lässt die zuckerhaltigen Beeren vollständig vergären und es kommt ein sehr alkoholhaltiger, trockener Wein heraus, oder er lässt sie kürzer gären und der Wein behält Fruchtsüße bei einem geringeren Alkoholgehalt.
ZEITmagazin ONLINE: Wie wird sich etwa der Riesling durch den Klimawandel verändern?
Wohlfahrt: Der Riesling wird bald nicht mehr so schmecken wie heute. Eine Kollegin hat herausgefunden, dass der Wein durch hohe Temperaturen schneller eine Petrolnote bekommt. Das heißt aber nicht, dass der Riesling verschwinden wird. Wir forschen daran und entwickeln für Winzer Strategien, wie sie diese Entwicklung verlangsamen können. Dass sich der Wein verändert, ist normal: Anfang des 19. Jahrhunderts hat er noch viel saurer geschmeckt, weil ganz andere Temperaturen vorherrschten.
ZEITmagazin ONLINE: Wie wichtig ist denn die Arbeit im Keller im Gegensatz zu der im Weinberg?
Wohlfahrt: Der Winzer kann im Keller schon viel nachjustieren. Entscheidend ist aber die Erfahrung und das Gefühl, das der Winzer entwickelt, wenn er die Beere probiert und dann den Zeitpunkt der Lese bestimmt. Ein Satz, der mich während meiner Lehrzeit geprägt hat, ist: Man kann aus guten Trauben schlechten Wein machen, aber aus schlechten Trauben keinen guten Wein. Die Vorarbeit findet nach wie vor im Weinberg statt. Im Keller geht es dann um Feinabstimmung. Und wenn Weine übermäßig bearbeitet bzw. in Fachsprache "geschönt" werden, mindert das nicht nur unerwünschte Inhaltsstoffe, sondern leider auch Stoffe, die man für einen guten Wein braucht.
ZEITmagazin ONLINE: Kann es also sein, dass durch klimatische Veränderungen bald mehr neue Weine aus Deutschland auf den Markt kommen?
Wohlfahrt: Ja, das kann gut sein. Immer mehr Winzer lassen sich auf neue oder eben wieder auf alte Methoden der Weinbereitung ein. Die einen gehen früher lesen, orientieren sich weniger am Zuckergehalt, gehen mehr nach Geschmack und Säurestruktur. Die anderen verarbeiten vermehrt die Rappen mit, das sind Traubenstiele, die den Wein geschmacklich beeinflussen, um nur zwei Möglichkeiten zu nennen. So entwickeln sich immer wieder neue Stilrichtungen, wie Weine gemacht werden und anschließend schmecken.
ZEITmagazin ONLINE: Was ist mit Rotwein?
Wohlfahrt: In Zukunft wird sich auch da die Auswahl vergrößern und der Stil wird sich verändern. Die zunehmende Traubenreife steigert unter anderem den Alkoholgehalt und verbessert die Kernreife in den Beeren. Gute Rotweine gibt es schon längst in Deutschland, aber ihre Zahl wird weiter zunehmen.