1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Beistand am Ende des Lebens: Kurse zur Letzten Hilfe in Potsdam

© Getty Images/Stockphoto

Der Gedanke, Angehörige und Freunde am Ende ihres Lebens zu begleiten, macht vielen Menschen Angst. In Potsdam gibt es Letzte-Hilfe-Kurse, um das zu ändern.

Von Henry Dunant, Gründer des Roten Kreuzes, heißt es, er habe bei der Schlacht von Solferino 1859 neben den schwer Verwundeten gekniet. Denjenigen, die ihn darum baten, habe er beigestanden, damit sie nicht allein sterben mussten.


Beim Sterben nicht allein zu sein, nennt Heike Borchardt, Leiterin des Hospiz- und Palliativberatungsdienstes Potsdam, als eines der großen Bedürfnisse, die Menschen am Ende ihres Lebens verspüren. Was darüber hinaus wichtig ist, können Interessierte im Rahmen eines Letzte-Hilfe-Kurses lernen: In vier Stunden wird ihnen dort vermittelt, was sie für Nahestehende in dieser letzten Phase tun können. Dazu gehört ein Einstieg in das Thema Sterben, Möglichkeiten der Vorsorge und die Beantwortung der Frage, wie man Leiden lindert und nach dem Tod Abschied nimmt.


Der Letzte-Hilfe-Kurs


Die nächsten freien Plätze gibt es für einen Kurs am 15. Mai und einen zweiten am 6. November jeweils von 16 Uhr bis 20 Uhr in der Malteser-Geschäftsstelle, Alt-Nowawes 67. Die Teilnahme ist kostenfrei, Spenden sind möglich. Anmeldung unter info@hospizdienst-potsdam.de oder Tel. (0331) 62 00 250.


„Erste und Letzte Hilfe verbindet, dass ich gelassener werde und mir mehr zutraue, je mehr Wissen ich habe“, so die Sozialpädagogin Borchardt. War der Tod vor der Industrialisierung noch selbstverständlicher Bestandteil des Lebens, der im Kreis der Familie begleitet wurde, ist das Wissen darüber schleichend verloren gegangen. Damit verbunden auch viele Rituale, die Angehörigen erleichterten, den Abschied zu begreifen und damit zu verarbeiten.


Während des Kurses wird thematisiert, was während des Sterbens passiert. Zum Beispiel, dass Sterbende in der letzten Phase aufhören zu essen und zu trinken. „Das ist für Angehörige manchmal schwer“, sagt Borchardt. „Sie denken dann, meine Mutter darf doch nicht verhungern.“


In dieser Zeit kann man die Lippen des sterbenden Menschen befeuchten und ihn medizinisch unterstützen. Und auch wenn jemand schon nicht mehr ansprechbar sei, spüre er durchaus, wenn jemand neben ihm sitze und seine Hand streichle, so Borchardt. Der Atem werde meist ruhiger, dadurch spüre man eine Verbindung.


Meist zieht sich der Sterbeprozess über eine längere Zeit; ob die Bettlägerigkeit Stunden oder Wochen andauert, ist unklar. Auch wenn keine gemeinsamen Ausflüge mehr möglich seien, könne man gemeinsam aus dem Fenster schauen oder einfach Zeit miteinander verbringen, sagt Borchardt. Auch Handmassagen mit ätherischen Ölen oder Fußwaschungen sind denkbar.


Miteinander Zeit verbringen


Sie rät Angehörigen, Ärzte und Pflegekräfte nach ihrer Einschätzung zu fragen und sich dementsprechend aus dem eigenen Arbeitsprozess herauszunehmen, um Zeit zu haben. Dabei kann der Aufenthalt auf einer Palliativstation oder ein stundenweiser Hospizdienst entlastend sein.


Der Kurs setzt aber schon früher an: In Bezug auf Vorsorge steht die Frage im Mittelpunkt, was jemand für sein Lebensende möchte, wenn er in gesunden Tagen darüber nachdenkt. Dabei helfen kann eine Patientenverfügung, die auch eine nicht gewünschte Lebensverlängerung verhindern kann. Auch darum, was möglich ist, wenn ein Mensch gestorben ist, geht es: Dass man einen Verstorbenen ohne besondere Genehmigung bis zu 24 Stunden zu Hause behalten darf, zum Beispiel – damit Familie, Freunde und Nachbarn sich in Ruhe verabschieden können.


„Wir tippen alles nur ein bisschen an, damit Teilnehmende sehen, was auf sie zukommt und selbst spüren, wovon sie noch mehr brauchen oder was sie schon früh in die Wege leiten möchten. Welche Hilfsnetzwerke es gibt“, sagt Heike Borchardt.


Die Idee zum Kurs geht auf den Palliativmediziner Georg Bollig zurück, der 2008 seine Masterarbeit dazu schrieb. 2014 fand der erste Letzte-Hilfe-Kurs in Norwegen statt; 2015 in Deutschland und Dänemark. Mittlerweile haben mehr als 60.000 Menschen in 21 Ländern daran teilgenommen.


In Potsdam bietet der Hospiz- und Palliativberatungsdienst den Letzte-Hilfe-Kurs seit drei Jahren an. „Von Anfang an gab es ein großes Interesse“, so Heike Borchardt. Die Kurse seien immer voll; Werbung müssten sie keine machen. Dabei habe es auch geholfen, dass die Patientenverfügung vor ein paar Jahren auf andere Füße gestellt worden sei. „Da hat man sich dann auch mehr mit Vorsorge beschäftigt“, so Borchardt. Dieses oder nächstes Jahr sollen auch Kurse für Kinder und Jugendliche angeboten werden. Es enttabuisiere das Thema, so früh wie möglich ganz selbstverständlich damit umzugehen.


Über den Kurs hinaus bietet der Beratungsdienst ein Trauercafé an, das Trauernden die Möglichkeit bietet, sich auszutauschen. Es findet jeden zweiten und vierten Montag im Monat in der Seniorenfreizeitstätte Babelsberg statt.


Wer noch Angst verspürt, sich mit dem Thema Sterbebegleitung auseinanderzusetzen, für den ist der Letzte-Hilfe-Kurs genau das Richtige, sagt Heike Borchardt: „Man ist immer noch sehr davor geschützt, tiefer in das Thema einzudringen. Im Kurs geht es erstmal nur um ein Herantasten an das große Feld von Abschiednehmen, Sterben, Tod und Trauer.“ Wer während des Kurses merke, dass das Thema noch nicht ins eigene Leben passe, könne auch jederzeit früher gehen.

Zum Original