Rainald Grebe folgt dem rosa Kaninchen mit seiner Autoimmunkrankheit im Gepäck. Über einen furiosen Abend im Potsdamer Waschhaus.
In seiner Autobiografie „Rheinland Grapefruit. Mein Leben" beschreibt Rainald Grebe den Moment, der alles verändert. 2017, auf seiner Kleineklubtour in Düsseldorf: Soundcheck, einrichten, eigentlich alles wie immer. Auf einmal „suppen die Worte weg hinterm Tellerrand", aber was soll sein? Doch dann „Licht aus, Licht an, und nach dem ersten Satz: Dunkelheit, stockfinstere Dunkelheit."
Grebes neues Soloprogramm ist so etwas wie eine trotzige Antwort auf seine Autoimmunkrankheit, wegen der er in den letzten Jahren mehrere Schlaganfälle hatte und Gehen, Sprechen, Klavierspielen neu lernen musste. Der Tod immer unterschwellig dabei.
Manchmal ist es befreiend, den freien Fall zu akzeptieren. Also stürzt er sich am Donnerstag bei seinem Foreveryoungkonzert im ausverkauften Potsdamer Waschhaus rein ins Zeitloch und folgt dem Kaninchen, die Krankheit als schweres Gepäck im Rucksack.
Den Großteil des Abends trägt er es mit seinem bekannten Grinsen; mit Trainingsjacke und schwerer Goldkette erzählt er davon, wie es ist, mit Rollator als potenzieller Sexualpartner abgemeldet zu sein, von seinem „neuen Kiez“ der Charité und dem großen Ziel, sich zu verjüngen. Bewegung, Ernährung, Kältekammer. „Für immer jung, ich fühle mich für immer jung, ich werde einfach immer alles geben, für immer, im Leben“ singt Karel Gott in seinem Schlager, singt Rainald Grebe, das Keyboard begleitet ihn an der Panflöte.
Oder doch nicht? Was ist Figur, was ist Grebe, wer weiß das schon. Er arbeitet sich im Gespräch mit seinem Mischer Franz Schumann an der Generation Z mit ihrem veganen Mett und ihren Air-up-Flaschen ab. Mit aufgerissenen Augen steigert er sich rein, schreit, wühlt sich am Flügel hektisch durch Blätter. Singt über das Bermudadreieck des Lebens zwischen 40 und 60, mit Physiotherapie, dementen Vätern und Computerproblemen, das alle verschluckt. Das Publikum lacht ertappt.
Sätze wie kleine Bomben
Zwischendurch wirft er Sätze wie kleine Bomben, erstaunlich sei es, dass er auf der Bühne stehe; noch einen Tag zuvor habe er gedacht, er müsse sein Testament schreiben. Dass bei Grebe immer schon offen blieb, was Ernst ist und was gut erzählte Geschichte, fängt diese Momente weich ab. Es scheint, als würde er sorgfältig austarieren, wie viel er dem Publikum zumuten kann.
Mit feinen Beobachtungen und bösen Liedern über Brandenburg und das Leben in westdeutschen Reihenhäusern ist er bekannt geworden; auf dem schmalen Grat zwischen anarchischem Humor und tiefer Traurigkeit balanciert er noch immer meisterhaft, das beherrscht er wie kein anderer. Dementsprechend tobt das Publikum immer wieder vor Begeisterung.
„Do you really wanna live forever?“ Seine Antwort kommt, ungefragt, als Zeitreise durch sein Leben in Fotos: bei seiner Konfirmation, in Marokko „auf dem Lernkamel an der Longe“, als Zeitreise durch seine Karriere: Sein erster Auftritt als Willy-Brandt-Imitator in der Mehrzweckhalle Frechen, „Es gibt nur einen Rudi Völler“ als Liedbotschafter für das Goethe-Institut in Hongkong. Grebe als Limbo-Tänzer und mit Federschmuck. „Wie jung wir waren!“
Die Fotos und Videos sind wie ein sehr persönlicher Blick in ein fremdes Fotoalbum, mit der Erkenntnis, dass diese Unbeschwertheit vorbei ist. Man muss nicht schwer krank sein, damit dieses Gefühl mit voller Wucht in die Magengrube geht. „Das war das“, kommentiert er lakonisch. Mit einem Lied ohne Ironie und doppelten Boden verabschiedet er sich: die Vorstellung von seinem letzten Tag. Auf der letzten Einkaufsliste Klopapier und Toast, das Wespennest aus dem Briefkasten pulen, schwimmen.
Dass manche Zuschauer auch an scheinbar unangebrachten Stellen lachen, dürfte ihm gefallen. Vor ein paar Jahren erzählt Rainald Grebe, wie eine Zuschauerin bei seinem Programm in der ersten Reihe weinte. Der neben ihr lachende fing sich von ihr eine Ohrfeige ein. Genau diesen Spagat wolle er erreichen, sagt er.