Gründer bei der Arbeit: Unternehmen beschleunigen mit Geld, Erfahrungen und Netzwerken den Erfolg
Viel Bunt vor Schwarz. Modernes Bürogestühl in Gelb, Orange, Grün steht vor Wänden mit Tafelfolie: Willkommen bei der Wayra. Im cool gestylten Inkubator von Telefónica, mit Blick auf Münchens Einzelhandel in der City, haben zehn Start-ups eine Heimstatt gefunden. In der Ecke des Großraumbüros, die Pockets United besetzt, ist die Tafelwand mit Checklisten, Skizzen, Zahlen bekritzelt. „Eine App - das passt zu Telefónica und O2", so Mitgründer Markus Stiefel. „Mit Pockets United werden sich Freunde bald direkt Kosten und Geldbeträge online zurückzahlen können."
„Man lernt, Fehler zu vermeiden"Der Aufenthalt bei Wayra hat die Entwicklung der Geschäfte von Pockets United beschleunigt: Das Team fand im Unternehmen Mentoren, die technische Fragen beantworteten oder beim Marketing mithalfen. Mit einer Kapitalspritze konnte das Gründerquartett weitere Dienstleister finanzieren. „Man lernt hier als Gründer Fehler zu vermeiden, die man nur schwer oder gar nicht mehr korrigieren kann", erläutert Stiefel die Vorteile der Starthilfe. „Außerdem bringt uns der Austausch mit den anderen Teams voran." Kooperationen entstehen bei Wayra auf Zuruf, Ideen werden in Diskussionen auf dem Flur zugespitzt. Telefónica gewinne dabei, meint Wayra-Direktorin Tanja Kufner, „Innovationen und Ideen: Das Unternehmen beschleunigt die Entwicklung und bekommt Anteile an Start-ups".
Neue Geschäfte kennenlernen, fördern und vom Wachstum eines zukünftigen Web-Giganten profitieren: Das ist das Ziel sogenannter Inkubatoren oder Acceleratoren. Wurden solche Firmenbrutstätten und Wachstumsprogramme bislang von Mehrfachgründern angestoßen, so mischen jetzt immer mehr Konzerne mit. „Im Moment merkt die Industrie, dass sie die digitale Transformation aktiver angehen und das Entstehen innovativer, digitaler Geschäftsmodelle begleiten muss", begründet Andy Goldstein das Interesse. Der Mehrfachgründer leitet seit Jahren das Entrepreneurship Center der Ludwig-Maximilians-Universität in München und ist Mitgründer einer Beratung, die für Organisationen und Unternehmen wie das Bundeswirtschaftsministerium oder die Allianz Inkubatorenprogramme aufsetzt und betreut. „Zu beobachten ist, dass sich Telekommunikations-, Finanzdienstleistungs-und Handelsgesellschaften stark engagieren, aber das ist ein von Branchen unabhängiger Trend", so Goldstein weiter.
Peter Richarz, geschäftsführender Gesellschafter der Beteiligungsgesellschaft Crossventures, ergänzt: „Außerhalb von Konzernhierarchien realisieren Firmen schneller neue Geschäfte." In Tochtergesellschaften dürfen selbst Webshops und -Services, die das Kerngeschäft angreifen, erblühen. Marc Stilke, Chef von Immobilienscout24, schätzt am konzerneigenen Inkubator Youisnow, „dass wir durch ihn in Kontakt kommen mit jungen, unternehmerisch denkenden Fachkräften und Mitarbeitern weitere Möglichkeiten geben, selbst Ideen zu entwickeln oder bei der Umsetzung dabei zu sein."
Gründerprogramme bieten viele Chancen. Telefónica, die Deutsche Telekom und die Scout- Gruppe setzen daher auf Acceleratoren, Rewe will einen Inkubator einrichten, Otto und der Klingel-Versand (heute: K - Mail Order) leisten sich schon einen: „K - New Media verantwortet das Business Development im E-Business-Bereich sowie die Kapitalbeteiligungen des Versenders", so Geschäftsführer Ludger Schöllgen. „Wir glauben, dass die internen Kreativprozesse keine so guten Ergebnisse wie Gründer erbringen." Pro Sieben Sat1 legt mit Epic Companies und P7 S1 Accelerator gleich zwei Programme für Start-ups auf.
In Inkubatoren entstehen Firmen, Acceleratoren beschleunigen deren Wachstum. In der Praxis werden die Bereiche munter gemixt und miteinander verwoben. „Wir sind deutlich mehr Inkubator als Venture- Capital-Geber und realisieren eher eigene Ideen als dass wir Gründer nur mit Kapital unterstützen", erklärt Richarz. Tatsächlich sehen sich Inkubatoren wie Rocket Internet, Venture Stars oder Crossventures, hinter denen Mehrfachgründer und ihre Beteiligungsportfolios stecken, als Firmenentwickler. Sie suchen für neue Geschäftsmodelle Teams und Fachkräfte, die das Start-up mit ihrem Know-how und ihren Kontakten aufbauen und dafür bezahlt werden - unter anderem mit Anteilen. So erobern Epic Companies für Pro Sieben Sat1 und Project A Ventures für Otto Märkte.
„Wir haben einen Ideen-Pool, für den wir Gründerpersönlichkeiten suchen", erläutert Jochen Maaß, Mitgründer von Hanse Ventures. „Oft kommen auch Gründer mit einem Konzept auf uns zu." Wie in Hamburg sitzen auch in Berlin bei Team Europe bezahlte „Entrepreneurs in Residence" neben Gründern, die ihre Ideen realisieren und dazu auf Geld, Gründungs-und Web-Know-how des Inkubators zurückgreifen. Dafür geben sie Anteile am Unternehmen ab, zwischen 25 bis 75 Prozent werden je nach Hilfsbedarf verlangt.
Genau 27 Prozent ihres Start-ups überlassen Gründer dem Inkubatoren- und Expertennetzwerk Hackfwd von Xing- Gründer Lars Hinrichs. Neben einer Finanzierung bietet dieses für ein Jahr Büros, zudem Kontakte zu Spezialisten. Ähnlich transparente Bedingungen bietet das Entrepreneurship Center der Uni München: „Wir wollen uns auf die Gründung konzentrieren und verlangen daher keine Anteile. So verlieren wir keine Zeit mit Bewertungsverhandlungen, sondern investieren Zeit in Coaching und Expertenrat", sagt Goldstein. „Wer einen Inkubator gründet, sollte wissen, wozu. Wenn es um neue Geschäfte und Innovationen geht, sollten Beteiligung und Renditeansprüche nebensächlich sein." Auch wenn manche es als Inkubator bezeichnen - die Programme der Unternehmen sind meistens Acceleratoren, die das Wachstum von Start-ups beschleunigen. Selten setzen sich Gründer in Bewerbungen oder Wettbewerben mit einer nur grob umrissenen Idee durch. Chancen bekommen dagegen Start-ups, die ein nachvollziehbares Angebot und einen Businessplan formulieren. Sie erhalten eine Startfinanzierung, für mehrere Monate Büros, vor allem aber Zugang zum Wissen und den Erfahrungen in den Konzernen, von deren Mitarbeitern und Kooperationspartnern.
„Gründer müssen fordern"„Man muss verstehen, wie Inkubatoren ticken, es gibt keine Bring-, sondern eine Holschuld in diesen Organisationen", hat Stiefel bei Wayra und im Entrepreneurship Center erfahren. „Gründer müssen fordern, was sie für ihr Unternehmen brauchen." Pockets United etwa fand bei Telefónica, O2 und deren Kooperationspartner Wirecard Mobile- und Payment-Spezialisten für Fragen rund um die technische Entwicklung ihrer App und machbare Dienstleistungen. Rechts- und Marketingexperten der Telefongesellschaft berieten zudem bei Verträgen und Vermarktungsstrategien. Der Zugang zu rund 20 Millionen Handy- und Smartphone-Kunden half, Tester für die App zu finden und den Service bekannt zu machen. Im Juli endet die Zeit bei Wayra: „Wir arbeiten an einer weiteren Finanzierungsrunde und versuchen, einen Bankpartner zu gewinnen", so Stiefel. „Für uns haben sich die Inkubatoren ausgezahlt, wir würden wieder so starten."
Bei aller Aufbruchsstimmung: Ob derart gepäppelte Geschäfte sich durchsetzen, bleibt die große Frage. Anfangs finden Gründer viele Geldgeber und Hilfen, wenn es aber um weiteres und noch schnelleres Wachstum geht und mehr Kapital benötigt wird, fehlen wagemutige Investoren. Aussichtsreiche Technologien werden daher oft nicht weiterentwickelt, innovative Konzepte enden schnell in der Pleite. Das Entrepreneurship Center München hat in den letzten Jahren knapp 100 Unternehmen begleitet, 85 Prozent davon existieren noch, nur jedes Dritte fand eine Finanzierung. Zwischen 2011 und 2012 hat Wayra 182 Start-ups in acht Ländern unterstützt. Fünf gaben auf, gut ein Drittel der Firmen fand Investoren. Der Rest muss Technik und Wachstum nun aus laufendem Geschäft und ohne fremde Hilfe finanzieren. ❚
SUSANNE VIESER
Inkubatoren und Acceleratoren: Was sie Gründern bieten und was sie von Unternehmern verlangen❚www.wayra.org
„Telefónica beschleunigt seine Entwicklung"Inkubatoren von Unternehmen: Beispiel Wayra
Wie hilft Wayra Gründern?