Christian Wegner, seit 2011 Vorstand bei Pro Sieben Sat1. Der promovierte Betriebswirt zeichnet für die Digitalsparte und neue Geschäfte verantwortlich.
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Trotz Internet nahm der Fernsehkonsum in den letzten Jahren um zehn Prozent zu. Dennoch sucht die Münchner Sendergruppe Pro Sieben Sat1 neue Geschäfte - bevorzugt im Web, im E-Commerce und bei Online-Spielen. Damit will der Sender auf das Zusammenwachsen von Fernsehen und Internet antworten. Ziel ist es, sich langfristig zu einem Entertainment- und Handelshaus zu entwickeln. Bedeutung kommt dabei der Beteiligungsgesellschaft Seven Ventures zu: Media- Leistung gegen Umsatz- oder Firmenanteile heißen die Deals, mit denen sie Start-ups beim Wachstum hilft. Seit Herbst 2012 bringt zudem ein Joint Venture mit Covus Lead-orientierte Online-Konzepte voran. Nun leistet sich der Sender mit dem Pro- Sieben-Sat1-Accelerator ein eigenes Gründerzentrum. Unter der Leitung von Mato Peric, Ex-Führungskraft von Rocket Internet, werden in Berlin innovative Geschäfte aufgebaut. Christian Wegner, verantwortlich für die Sparte Digital & Adjacent, ist davon überzeugt, dass Fernseh- und Online-Media-Leistungen beim Aufbau von Start-ups eine große Schubkraft zeigen und Deutschland zu einem Land der Gründer befördern können. Und allein schon drei bis fünf gute Ideen pro Jahr würden das Portfolio von Pro Sieben Sat schnell anwachsen lassen.
Unternehmen entdecken Inkubatoren, Pro Sieben Sat1 jetzt auch: Warum eigentlich?
Christian Wegner: Die Antwort ist ebenso einfach wie überzeugend: In den ersten neun Monaten 2012 erwirtschaftete Digital & Adjacent knapp 230 Millionen Euro Umsatz. Unser Venture-Geschäft trägt bereits einen signifikanten Anteil daran. Wir beteiligen uns seit 2009 in Form von Media-Leistungen an Start-ups. Zalando war der Eisbrecher, dessen TV-Kampagne hervorragend funktionierte. Das war der Nachweis, wie stark Werbung das Wachstum neuer Geschäfte treibt. Für Pro Sieben Sat1 eröffneten sich damit neue Erlösquellen. Rund 50 solcher Kooperationen sind wir inzwischen eingegangen. Wir sehen, dass unser Modell gerade in den Segmenten Sport, Beauty, Gesundheit, Mode, Wohnen und Reisen erfolgreich ist. Mit Covus Ventures haben wir bereits einen Inkubator, mit dem wir gemeinsam digitale Marktplätze aufbauen. Zudem investieren wir gerade in einen neuen, eigenständigen Inkubator, ebenfalls mit Sitz in Berlin, den der ehemalige Rocket-CEO Mato Peric leiten wird.
Wie stark müssen Sie als Vorstand einer börsennotierten Aktiengesellschaft bei Ihren Beteiligungen mitregieren?
Wegner: Pro Sieben Sat1 ist kein Unternehmen, das in Start-ups investiert und den Gründern dann ihr Geschäft diktiert. Wir verstehen uns als Partner und wollen gemeinsam mit den Gründern die Unternehmen erfolgreich weiterentwickeln. Unsere Beteiligungen agieren autark, damit Innovationen ungehindert reifen können. Gründer arbeiten schneller, unmittelbarer, bauen Modelle in wenigen Wochen auf und passen sie dann flexibel den Marktgegebenheiten an. Das ist faszinierend zu beobachten im Vergleich zu einem börsennotierten Konzern, der deutlich mehr Anforderungen und auch komplexeren Prozessen Tribut zollen muss.
Welche Trends sehen Sie gerade für den E-Commerce?
Wegner: Der Online-Anteil im Handel erreicht in Deutschland zurzeit rund acht Prozent mit stark steigender Tendenz. Immer mehr Branchen drängen ins Internet. Aber viele, die in klassischen Kanälen gut verkaufen, haben Probleme im Web. Das Netz erfordert neue Fähigkeiten und eine spezifische Herangehensweise, etwa um ein Verkaufserlebnis aufzubauen, Sites nutzerfreundlich zu gestalten und Kunden online zu binden. Hier sind neue, emotionalisierende Lösungen gefragt. Social Commerce versucht gerade, die Verbraucher auf neue Art in Shops zu ziehen oder aber Fans zu Käufern zu konvertieren. Und allen voran treibt Mobile den E-Commerce an und schafft neue Verkaufskonzepte.
Was soll im Pro-Sieben-Sat1-Accelerator entstehen: neue Medien- und Fernsehgeschäfte oder Handelskonzepte?
Wegner: Wir konzentrieren uns auf Ideen für den E-Commerce und die Medienbranche. Mit unseren Portalen Maxdome, der Online-Videothek, und Myvideo, die wir gerade zum Online-Fernsehkanal ausbauen, begleiten wir aktiv neue Entwicklungen wie die Konvergenz von TV und Internet, Smart-TV oder TV-Commerce. Der Anspruch ist auch, dass wir neue Geschäftsmodelle eng mit unseren bekannten Aktivitäten verzahnen: Wer etwa mit uns einen Mode-Shop aufbaut, könnte ja auch Myvideo als Kanal für Modeschauen nutzen. Ähnliche Synergien ergeben sich zwischen dem Gaming-, Reise- und Musikbereich sowie dem Fernsehen.
Für welche Start-ups kommen denn Media- Deals infrage?
Wegner: Die größten Erfolge zeigen sich bei Produkten, die Massen interessieren, Erklärungsbedarf haben, Vertrauen und Emotionalisierung erfordern. Allerdings: Die Geschäftsmodelle müssen schon reibungslos funktionieren, wenn im Fernsehen geworben wird, und die Start-ups müssen schnelles Wachstum auf Vertriebsseite stemmen können. Das trifft in der Regel auf Firmen zu, die im Jahr bis zu zehn Millionen Euro umsetzen und von einem versierten Team gemanagt werden.
Wann können Gründer von Pro Sieben Media-Leistungen erwarten, wann Kapital?
Wegner: Bei Geschäften, die unser E-Commerce-Business stärken und dem Konzern wirtschaftlichen Mehrwert bringen, peilen wir Mehrheitsbeteiligungen an und setzen neben Media-Leistungen auch Kapital ein. Reine Media-Investments, egal ob gegen Umsatz oder Anteile, bieten uns interessante Chancen, wie ein Investor am Wachstum neuer Geschäfte teilzuhaben. Wir kooperieren dabei eng mit Geldgebern und achten wie sie auf den Exit.
Welche Herausforderungen gibt e s bei der Werbung für Start-ups und neue Marken?
Wegner: Mit der Kombination Fernsehen plus Online können Sie enorm schnell Bekanntheit aufbauen, die Herausforderung ist die Effizienz. Der Spot muss auffallen und wirken, die Frequenz wohldosiert sein, nicht zuletzt sollten TV-Kampagnen mit Suchmaschinenmarketing vernetzt werden. Das überfordert junge Unternehmen oft. Unsere eigenen Agenturen, Sugar Ray und Booming, leisten kreativ wie im Searchmarketing Unterstützung. Das heißt, wir bieten nicht nur Werbevolumen an, sondern auch Mediaplanung und Strategien, um junge Unternehmen wirkungsvoll im Markt zu positionieren.
Warum laufen eigentlich die meisten Start-up-Spots auf Pro Sieben?
Wegner: Der Sender ist der Leuchtturm der Web-Generation und zieht in der jungen Altersgruppe viele Zuschauer an. Da Pro Sieben aber ohnehin stark ausgelastet ist, stehen je nach Zielgruppe auch Umfelder von Sat1, Kabel Eins, Sixx oder Sat1-Gold in den Mediaplänen der Start-ups.
Media gegen Anteile ist ja auch ein bisschen wie anfixen und süchtig machen. Klappt diese Strategie, gibt es schon Start-ups, die inzwischen selbst TV-Werbung schalten und dafür bezahlen?
Wegner: Für Media-for-Equity oder -Revenue sind wir meistens 3-Jahres-Vereinbarungen eingegangen. Wir rechnen 2013 mit den ersten klassisch zahlenden jungen Unternehmen. Zalando buchte im letzten Jahr erstmals klassisch Werbezeit bei der Sevenone Adfactory, dem Konzeptvermarkter von Pro Sieben Sat1. Mit einem geschickt umgesetzten Product Placement im Rahmen von „Germany's next Topmodel" gewann Zalando signifikant an Profil und hat in der Zielgruppe deutliches Kaufinteresse geweckt, wie die begleitende Forschung belegt. Wie bei jedem Venture- Modell zeigen aber nicht alle Media-Deals das Wachstum, das weitere TV-Werbung rechtfertigen würde. Wir sind mit den Erfolgen zufrieden und lernen aus den übrigen Fällen.
Wie steht ' s bei Ihrem prominentesten Kandidaten Zalando? Welche Exit-Chancen sehen Sie für den Online-Händler?
Wegner: Zalando hat schon immer für einen Teil der Media-Leistungen bezahlt. Beide Seiten haben von der Partnerschaft profitiert. Zalando ist als junges Unternehmen durch kreative TV-Werbung enorm erfolgreich geworden. Die weitere Entwicklung des Unternehmens beobachten wir mit Interesse, auch einen möglichen Börsengang.
Bislang konzentrieren Sie Ihre Start-up-Aktivitäten auf Deutschland.
Wegner: Deutschland ist nun mal unser Kernmarkt, den wir am besten kennen. Dies gilt vor allem für das klassische TV-Geschäft. Digital ist hingegen deutlich internationaler angelegt. Im Gaming-Bereich erzielen wir bereits drei Viertel der Umsätze im Ausland. Geschafft haben wir das, indem wir internationale Medienpartnerschaften aufgebaut haben, zum Beispiel mit Dogan in der Türkei oder TF1 in Frankreich. In diesem Netzwerk können wir unsere Games vermarkten und dafür werben.
Funktioniert das auch bei E-Commerce- Start-ups und für künftige Media-Deals?
Wegner: Davon bin ich fest überzeugt. Warum sollten nicht auch junge Unternehmen, beispielsweise aus den USA, auf dieses Modell setzen, wenn sie europäische Märkte erobern wollen? Auch für unsere eigenen Mehrheitsbeteiligungen wie den Reiseveranstalter Tropo oder das Portal Wetter.com wäre Werbung bei unseren Fernsehpartnern denkbar. Beide sind schon heute grenzüberschreitend in Europa aktiv.
Die Konvergenz von Fernsehen und Internet wird jetzt sichtbar: Sehen Sie Interesse der Industrie die entstehenden Werbemöglichkeiten zu nutzen?
Wegner: Definitiv. Die Entwicklung verläuft rasant, und wir sehen uns als Innovationstreiber durch die Vernetzung unserer Online-Plattformen mithilfe der Social- TV-Anwendung Pro Sieben Connect. Wir können Zuschauer schon im Vorfeld von Shows und Serien involvieren und sie während der Ausstrahlung über ihre mobilen Geräte einbinden. Für unsere Kunden schnüren wir daher crossmediale Werbepakete. Für die Medienkonvergenz sind wir bestens aufgestellt.
Ein Sender verliert so aber Unabhängigkeit.
Wegner: Wieso? Wir verlängern die Fernsehformate lediglich auf neue Plattformen und Geräte und erweitern das Fernseherlebnis um eine neue Dimension. Mit „The Voice of Germany" oder „Germany's next Topmodel" zeigen wir, wohin die Reise geht: Die Connect App bringt Shows auch auf Computer, Laptops, Smartphones oder Tablets und bietet Zuschauern Interaktionsmöglichkeiten. So öffnen sich Werbetreibenden wirkungsvolle Touchpoints zum Konsumenten. Damit profitieren Zuschauer und Unternehmen gleichermaßen.
Wo liegt die Zukunft des Unternehmens - digital oder beim Fernsehen?
Wegner: Unser Herzstück ist und bleibt das TV-Geschäft, das wir gerade ins digitale Zeitalter transformieren. Fernsehen wird digital, aber in Zukunft medial nicht an Kraft verlieren. Im Gegenteil.
INTERVIEW: SUSANNE VIESER