"Spielen und lernen", so lautet das Motto der Palästinenserin Hanan al-Hroub. Kürzlich gewann sie den "Global Teacher Prize", die Auszeichnung für den besten Lehrer der Welt. Von ihrem Glück überwältigt warf sie die Arme in die Luft, stolz darauf, als palästinensische Lehrerin und als Frau die Auszeichnung zu bekommen. Papst Franziskus hatte die Gewinnerin per Videobotschaft bekannt gegeben. Der Preis ist mit einer Million US-Dollar dotiert. Hroub, die bei der Preisverleihung in Dubai ein gesticktes rot-schwarzes Kleid und ein Kopftuch trug, will das Geld für Lehramtsanwärter im Westjordanland spenden, die ihre Lehrmethode studieren. "Lehrer können die Welt verändern", erklärte sie. Gewaltlosigkeit ist das Ideal der Pädagogin und Mutter, die selbst mit viel Gewalt in dem palästinensischen Flüchtlingslager Deheishe, unweit von Bethlehem, aufwuchs. "Eine richtige Kindheit hatte ich nie."
Was Hroub zur Suche nach alternativen Erziehungsmethoden antrieb, waren ihre eigenen Kinder, die zusehen mussten, wie ihr Vater von israelischen Besatzungssoldaten beschossen und verletzt wurde. Diese brutale Erfahrung "veränderte meine Kinder, sie waren schockiert und traumatisiert und ich selbst auch". Weil sie sich alleingelassen fühlte vom Erziehungssystem, ergriff die Mutter selbst die Initiative. Sie dachte sich Spiele aus, um die Kinder zu motivieren, lud nach einer Weile die Söhne und Töchter ihrer Nachbarn dazu und stellte fest, dass "meine Tochter wieder mehr Selbstvertrauen gewann und ein besseres Sozialverhalten entwickelte". Bald habe das Mädchen auch wieder bessere Noten erreicht.
Die Gewalt prägt das LebenMit ihrem Plädoyer für Gewaltlosigkeit liegt die Pädagogin nicht gerade im Trend in einer Gesellschaft, die vor allem jene Palästinenser als Helden feiert, die losziehen, um mit Messerangriffen gegen Israelis die Besatzung zu bekämpfen. Seit fast sechs Monaten bestimmen die Attentate im Westjordanland und in Israel die Schlagzeilen. Die oft noch sehr jungen Täter kommen fast immer noch am Tatort ums Leben, während sich politisch für die Palästinenser doch nichts bewegt. Der letzten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts PCPSR (Palestinian Center for Policy and Survey Research) in Ramallah zufolge, stossen die Übergriffe dennoch bei 67 Prozent der palästinensischen Bevölkerung auf Zustimmung. Unter den 18- bis 22-Jährigen liegt die Zahl sogar bei 73 Prozent.
Hanan al-Hroub unterrichtet eine zweite Klasse in Ramallah. Sie weiss, dass die jungen Palästinenser keine Chance haben, sich der Gewalt zu entziehen, und in der Folge oft selbst zur Gewalt als Mittel der Konfliktbewältigung greifen. Die Besatzung präge das Leben der jungen Menschen. Eine Lehrerin und gleichzeitig eine Art Mutter möchte die sympathische Palästinenserin für ihre Schüler sein, die sie gern auch mal in die Arme nimmt, wenn sie Trost brauchen. Das Spiel ist ihr Instrument, und sie nutzt es bei jeder Gelegenheit, sogar im Mathematikunterricht. Dann bläst sie einen Ballon auf, malt eine 9 darauf und drückt ihn einem Schüler in die Hand. Zwei Ziffern addiert müssen die Zahl ergeben, die auf dem Ballon steht, wer es richtig macht, darf den Ballon an den nächsten weiterreichen. "Spiele machen die Kinder glücklich. Sie sollen Spass haben, dann verbessern sich ihre Leistungen von selbst."
Mal kommt Hroub mit einer Clownsnase in die Klasse, mal stellt sie Hindernisse auf, die die Kinder überwinden müssen, um zu der Tafel mit den Buchstaben zu gelangen. "Jedes Spiel hat seine eigenen Regeln, und die Kinder machen alle gern dabei mit", erklärt die passionierte Pädagogin, die ihre Methode in dem Buch "Wir spielen und lernen" zusammenfasste und Kollegen, Sozialarbeiter und sogar Schuldirektoren darin ausbildet.
Bewegung und Vereinfachung des Stoffs sind ihr Geheimnis, Lektionen in kurze Geschichten packen, helfe genauso dabei wie Handpuppen und Lieder. Keine Stunde beginnt, bevor nicht gesungen wurde. Die Auszeichnung zur Lehrerin des Jahres nahm Hroub als "Sieg für alle Lehrer und vor allem der palästinensischen Lehrer" entgegen. Hroub setzte sich unter 8000 Kandidaten durch. Sunny Varkey, der Gründer der Stiftung und des Preises, den der Emir von Katar finanziert, bezeichnete den Weg der Palästinenserin als eine "Inspiration für alle, die sich für den Lehrerberuf entscheiden".
(Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 03.04.2016, 20:13 Uhr)