Susanne Karr

freie Kulturredakteurin, Wien/München

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Schwarzweiß-Denken sprengen

Belinda Kazeem-Kamiński, Installationsansicht von Respire (Liverpool) auf der 12. Liverpool Biennale, 2023. © Mark McNulty

Noch bis 20 April ist die aktuelle Ausstellung „Respire" von Belinda Kazeem-Kamiński im Phileas, dem Österreichischen Büro für zeitgenössische Kunst am Wiener Opernring zu sehen. Darin präsentiert die Preisträgerin des Otto Mauer-Preises eine neue Video- und Klanginstallation.


Die Künstlerin Belinda Kazeem-Kamiński thematisiert in ihrem Schaffen Gegenwart und Geschichte aus der Perspektive Schwarzer Menschen in der Diaspora und fokussiert dabei ebenso auf politische Gegebenheiten wie auf die imperialistische Vergangenheit. Sie folgt ihren eigenen Wurzeln und Kunstwerken und stellt sie mit den Dokumentationen kolonialer Aufzeichnungen, Archivmaterialien und gegenwärtigen Realitäten in Bezug. So verwebt sie historische Ereignisse mit möglichen Zukünften. Theoretisch fundiert sie ihre Arbeiten mit Schwarzer feministischer Theorie und der kritischen Auseinandersetzung mit kolonialen Traumata. Wie weit traumatische Erfahrungen sich über Generationen fortsetzen, ist seit einiger Zeit ein wichtiges Forschungsfeld der Psychologie. Für Belinda Kazeem-Kamiński ist ein besonders wichtiger Aspekt der Folgen kolonialer Gewaltherrschaft die Tatsache, dass der Kolonialismus nicht "nur Landnahme, sondern auch Wissenssystem (ist), das die Beziehungen in der Welt, zwischen einem Ich und einem anderen, regelt." (Interview mit Kunsthalle Schirn).


Szenen mit Menschen

Es geht also darum, wer die Definitionsmacht hat und letztlich erklärt, wie Dinge sich verhalten. Vermeintlich „objektive" Beschreibungen von Geschichte und Kultur kolonialisierter Gegenden geben ein mindestens ebenso klares Bild ihrer Herkunft. Will sagen: Wer in Geschichtsbüchern vorkommt und auf welche Weise, hat wesentlich mit der Position des Schreibenden zu tun. Die kolonialistische Sichtweise auf Schwarze Menschen beeinflusst(e) maßgeblich, wie diese außerhalb der Kolonien wahrgenommen wurden. Die Künstlerin, die auch Autorin und Forscherin ist, analysiert diese Vorgänge in vielen ihrer Werke, etwa in  "Schebestas Schatten" (2017/2021), einer Studie zu den Fotografien des österreichisch-tschechischen Missionars, Ethnographen und Autors Paul Schebesta (1887-1967), die er auf seinen Reisen in die heutige Demokratische Republik Kongo aufgenommen hatte. Bilder arrangierter Szenen mit Menschen, die das "Andersseins" darstellen und das westliche rassistische, koloniale Narrativ unterstützen.


In ihrem Projekt nimmt Kaminski nun die Rolle der Schöpferin ein: sie hat einzelne der wenigen Bilder ausgewählt, in denen der Photograph selbst "anwesend" ist, und zwar selbst als Person, die auf dem Bild fixiert ist, oder in Form seines Schattens, den sein Hut auf das Bild geworfen hat. Auf den Bildern, die teilweise durch blaue, gelbe und rote Flächen überdeckt sind, lassen sich Teile der Schatten ausmachen, die auf Körper und Kleidung der fotografierten Personen geworfen werden. So vertauscht sie Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, macht die Präsenz des kolonialistischen Beobachters deutlich und entzieht ihm gleichzeitig durch den Einsatz der Farbblöcke das visuelle Objekt. Diese Fotografien waren Teil der Otto Mauer-Preis-Ausstellung "Strike a Pose" Anfang des Jahres.


Über Schwarzes Leben

In ihrer wissenschaftlichen Forschung beschäftigt sich Belinda Kazeem-Kamiński mit Fragen der Repräsentation und den Konsequenzen für die Repräsentierten. Immer wieder stößt sie dabei auf die Prekarität Schwarzer Existenz, und zwar nicht nur im Zusammenhang mit Archivarbeit, sondern auch im Fehlen einflußreicher Positionen, etwa in der westlich geprägten Welt der Academia. „Wo kommen Blick und Wissensproduktion zusammen?" Genau diese Verbindung interessiert sie: "Wie hängt das, was wir glauben zu sehen, damit zusammen, was wir glauben zu wissen?" fragt sie, und führt den Zusammenhang weiter: „Wir sehen etwas, und wir glauben, wir wissen was". Sie selbst verwendet das Schreiben als Medium, um zu verstehen, was sie schon weiß, und um die Bilder in ihrem Kopf zu beschreiben.


Für die aktuelle Ausstellung bei Phileas hat die Künstlerin eine Neonskulptur entwickelt. "A Breathing" bezieht sich auf ein Zitat von Christina Sharpe aus deren Buch "Ordinary Notes". Die Autorin, Professorin für englische Literatur und Black Studies in Toronto, hinterfragt in ihrer Forschung die literarischen, visuellen, filmischen und alltäglichen Darstellungen des Schwarzen Lebens, und modelliert eine Praxis für diejenigen, die sich ethisch und politisch dafür einsetzen, dass Schwarze Menschen mit der Möglichkeit selbt entworfener Zukunft leben. Sie zeichnet ein eindringliches Porträt der alltäglichen Schwarzen Existenz. Auch die Videoarbeiten "Respire", die Kaminski für die Liverpool Biennale kreiert hat, stehen im Zusammenhang mit dem Buch. Die Kuratorin Khanisyle Mbongwa hatte die Künstlerin während ihrer Recherche für die Liverpool Biennale in Wien kennengelernt und zur Teilnahme eingeladen. Die Videos zeigen Menschen aus Liverpool, die in rote Luftballons atmen und durch ihre Atembewegungen und die Ausdehnung der Ballons den Raum und seine Atmosphäre beeinflussen. In Kombination mit Sound-Artist Bassano Bonelli wird der kollektive Raum nocht deutlicher, denn der Klang folgt einer Wellenbewegung vom Individuum zum Publikum und vice versa. Der Atem verbindet alles miteinander und verweist auf die Unausweichlichkeit einer Auseinandersetzung mit allen Anwesenden.

Ihre Werke regen einen orts- und zeitübergreifenden Dialog an und machen einen Raum für Neues auf, ohne die Vergangenheit zu überschreiben. Der traditionell kolonialistischen Aussparung Schwarzer Geschichte stellt sie die Möglichkeit entgegen, neue Gesichtspunkte einzubringen.


https://belindakazeem.com

Bis 20. April https://www.phileas.art/exhibition-space/belindakazeemkaminski

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