Susanne Karr

freie Kulturredakteurin, Wien/München

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Alchemist der Moderne - Zvi Hecker 1931-2023

Architekt Zvi Hecker; 2018 Kabinet architektury © Daniel Alka

Als Magie der Transformation bezeichnete der Architekt Zvi Hecker den architektonisch-künstlerischen Prozess, auf den er sich undogmatisch immer wieder einließ. Dieser alchemistische Prozess war sein Arbeitsverständnis.

Als Künstler mit dem Beruf Architekt bezeichnete sich Zvi Hecker selbst häufig. Er hatte in Krakau und Haifa Architektur studiert, dann Malerei in Tel Aviv, wo er sein Architekturbüro mit Alfred Neumann und Eldar Sharon gründete. Seit Ende der 50er-Jahre lehrte Zvi Hecker an verschiedenen Hochschulen, unter anderem an der Universität für angewandte Kunst in Wien. 1991 eröffnete er sein Berliner Büro - auch um in der Nähe der ­neuen Baustelle für die Heinz-Galinski-Schule zu sein.

Modulare Geometrie begriff er als Matrix und Grammatik für architektonisches Design, wie eine Art Gerüst, das wegfällt, sobald das eigentliche Gebäude fertiggestellt ist. Seine skulpturale Architektur integriert mathematisch-geometrische und künstlerisch-individuelle Grundlagen. Er ließ sich auch von organischen Formen inspirieren wie dem Bild einer Handfläche, einem Ahornblatt, oder, häufig, der Sonnenblume. Die Geometrie der spiralförmigen Anordnung der Sonnenblumenkerne diente etwa als Vorbild für das Ramot Polin Housing aus dem Jahr 1975 bis hin zur Konstruktion der Heinz-Galinski-Schule in Berlin. In der jüdischen Schule, die mit dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet wurde, zeigt sich das Prinzip modularer Anordnung von Gebäude­segmenten ebenso wie im 1990 eröffneten Spiral House in Ramat Gan bei Tel Aviv, das als besonders radikales Projekt galt und für das er den Rechter Prize of Architecture gewann.

Urbane Entwicklungen mit seriellen Bauten à la Corbusier kritisierte der Architekt als „indifferent housing" und „kartesianische Kohärenz", die in ihrer Linearität zu den Anfang des 20. Jahrhunderts herrschenden politischen Bewegungen (Faschismus in Italien, Nationalsozialismus in Deutschland, Kommunismus) passten. Hohe Gebäude, große Freiflächen und viel Raum für Straßen erschwerten, so Hecker, Kommunikation untereinander, garantierten aber Zugriffsmöglichkeiten durch Behörden. Positive Beispiele hingegen waren für ihn die organischeren Stadterweiterungen von Barcelona und London. Er selbst war an der Stadtplanung in Tel-Aviv, Montreal und Phila­delphia beteiligt.

Zvi Hecker sah seinen Stil eher mittelalterlicher Baukunst verwandt als der Renaissance - als jemand, der in mittelalterlich geprägten Städten wie Krakau und Samarkand aufgewachsen war. Als charakteristisch für seine Gebäude nannte er einmal das Fehlen einer einheitlichen Fassadenbegrenzung, wie etwa bei der Heinz-Galinski-Schule. Um einen Eindruck des Gebäudes zu erlangen, müsse man ins In­nere gehen, das sich dann wiederum als weitere Außenhülle erweise: „Meine Gebäude erinnern oft an eine mittelalter­liche Stadt mit ihren maximal lang gestreckten Mauern, geschlossenen Plätzen, Sackgassen und Höfen, die ein Gefühl der Sicherheit vermitteln."

In der Schule in Berlin schwingt die Sonnenblume auch als idealistische Metapher mit, wie sie leuchtend die Lichtstrahlen einfängt. Bildung betrachtete Zvi Hecker als Erhellung des Geistes, der weit über den physischen Raum der Klassenzimmer hinausgehe. Diesen Wunsch hat er ins Gebäude mit eingeschrieben. Am 24. September ist Zvi Hecker in Berlin gestorben.

Lesen Sie den ungekürzten Artikel auf Seite 3 der aktuellen Ausgabe 370-5/2023 oder am Austria Kiosk!
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