Susanne Karr

freie Kulturredakteurin, Wien/München

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Updates für den urbanen Lebensraum

Die geplante Stadtseilbahn in Wien wird Heiligenstadt über vier Stationen mit dem Kahlenberg verbinden. © ZOOMVP

Städte gelten als beliebtester Lebensraum der Spezies Homo sapiens sapiens. Nach wie vor wachsen Städte, der urbane Lebensstil greift um sich. Doch auch die Anforderungen verändern sich.

Über 50 Prozent der Weltbevölkerung leben in urbanen Räumen. Das bedeutet einerseits viele Vorteile für Lebensqualität, Mobilität und Bildungsmöglichkeiten und stellt andererseits den Bereich Stadtplanung bzw. -erweiterung vor stetige Herausforderungen. Denn mit der steigenden Bevölkerungszahl ist auch die Infrastruktur mehr beansprucht, Wohnraum wird zur Rarität und öffentlicher Raum gerät häufig in den Bereich von Immobilienspekulation.

Wichtig ist es also, im Blick zu behalten, was das ideale Ziel der Stadt ist, nämlich ein allgemein zugänglicher Raum zu sein, der zentrale Bedürfnisse nach Wohnen und Arbeiten erfüllt, aber vermehrt auch Erholung und Stressreduktion mitbedenkt. Grünraum, öffentlicher Raum und freie Flächen, lange Zeit stetig reduziert, werden wichtiger. Städte sollen Auswirkungen des Klimawandels abfedern, außerdem nachhaltig, sozial und leistbar sein.

Dazu bedarf es eines vielschichtigen Ansatzes, der über die Grundlagen des Verkehrsmanagements, der Raumoptimierung, des öffentlichen Verkehrs und des öffentlichen Raums hinausgeht.


Seilbahnen: Transperowege der dritten Ebene

Aktuell gewinnt Stadtplanung mit Seilbahnen viel Zuspruch. Neben dem klassischen Einsatz im alpinen Gelände gelten urbane Seilbahnen als Transportwege in der dritten Ebene – neben Straßen und Untergrundbahnen. „Subways in the Sky“, nannte der Economist das Transportmittel.

Eine Studie des Projekt- und Gebietsentwicklers BPD (Bouwfonds Immobilienentwicklung), erstellt in Kooperation mit der Hochschule Darmstadt und dem Architekturbüro UNStudio aus Amsterdam, zählt positive Auswirkungen urbaner Seilbahnen auf. Dieses Verkehrsmittel bringt keine Luftschadstoffe und geringe Lärmbelastung mit sich. Es gilt als barrierefrei und nicht diskriminierend, verursacht kaum Bodenversiegelung und wirkt geografischer Trennung von Stadtgebieten entgegen.

Topografische Höhenunterschiede, Gewässer, Straßen, Gleisfelder oder Industrieareale sind problemlos zu überwinden. Der CO2-Fußabdruck einer Seilbahn ist deutlich geringer als der von konventionellen Systemen. Seilbahnen können mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Die Studie nennt zahlreiche weitere Argumente zugunsten von Stadtseilbahnen. Betont wird, dass die Mitwirkung der Bevölkerung bei der Planung ausdrücklich verlangt wird.


Erfahrung in der dritten Ebene

Lateinamerikanische Städte setzen schon lange auf Seilbahnen, die in das öffentliche Verkehrssystem eingebunden sind. Mit der Verbindung unterschiedlicher Stadtquartiere entsteht auch eine soziale Komponente. Metrolinien leisten zwar faktisch dasselbe, aber die Seilbahn scheint eine zusätzliche Dimension in den öffentlichen Transport zu bringen. Das Seilbahnnetz in La Paz (Bolivien) verbindet mit über 30 Kilometern Gesamtlänge und zehn Seilbahnlinien die Stadt mit der Nachbarstadt El Alto. Täglich nutzen über 300.000 Menschen das Transportmittel.

Auch Europa interessiert sich zunehmend für die Transportwege der dritten Ebene. In Paris soll eine Stadtseilbahn 2025 fertiggestellt werden. Vom Nordosten des Flughafens Paris Orly führt „Câble A“ mit fünf Stationen und Anschluss an Metro und Bussystem in 17 Minuten in das südöstliche Stadtzentrum. Die Förderleistung soll 1600 Personen pro Stunde betragen. Eine Stadtseilbahn gehört auch in Amsterdam, ebenso wie in Namur, immer wieder zu den Diskussionspunkten in der Stadtplanung. Gegen das übliche Verkehrschaos möchte auch die Stadt Heidelberg mit einer Seilbahn vorgehen, ebenso Bonn und Frankfurt.

In Wien wird das Thema seit 2012 immer wieder diskutiert. Eine Stadtseilbahn soll Heiligenstadt über vier Stationen – Heiligenstadt, Donauinsel Nord (Jedlesee), Strebersdorf und Kahlenberg – mit dem Kahlenberg verbinden. Die Fahrzeit wird mit 20 Minuten berechnet, in 115 Kabinen sollen jeweils zehn Personen Platz finden. Durch eine Verlängerung der U-Bahn-Strecke U4 durch die Seilbahn nach Floridsdorf soll eine Verbindung zum öffentlichen Verkehr hergestellt werden.

Die Konzeption der Trassenführung möchte die Beeinträchtigung von Personen und Institutionen in der Nähe möglichst gering halten und orientiert sich an bestehenden Verkehrsachsen wie der U-Bahn-Station Heiligenstadt und der ÖBB-Trasse. Von hier aus soll es nur sechs Minuten zur Donauinsel Nord dauern. So soll zur Verringerung des Individualverkehrs ein öffentlicher, barrierefreier und zugleich klimaneutraler Zugang zu den Naherholungsgebieten Donauinsel und Kahlenberg ermöglicht werden.


Ansatzpunkte für Veränderungen

Umdenken in der Mobilität ist einer der wichtigsten Ansatzpunkte, um Aufenthaltsqualität zu erreichen. Das omnipräsente Auto soll aus den Städten zurückgedrängt werden. Dazu ist massiver Rückbau der autogerechten Stadt nötig. Man eliminiert Parkplätze für ruhenden motorisierten Individualverkehr am Straßenrand und wandelt frei werdende Flächen zu Grünanlagen und Fahrradwegen um. Letztere ergänzen Hauptverkehrsstraßen. Vorreiterin ist die Stadt Paris, die große Teile der Innenstadt mit Fahrradwegen ausgestattet hat. Das rechte Ufer der Seine ist im Zentrum komplett autofrei. Zusätzliche, zunächst temporär gedachte „Coronapisten" für Radfahrer sind dazugekommen.

Auch das Thema Begrünung erhält stetigen Auftrieb. Das liegt nicht nur an wissenschaftlich konkret messbaren Indikatoren wie Temperatur und Luftqualität, sondern auch an den fühlbaren Einflüssen. Überall, wo Begrünung in der Stadt angelegt ist, steigt die Aufenthaltsqualität. Auch Wasserflächen tragen zu Entspannung und Erholung bei und bieten Lebensraum für Tiere und Pflanzen.

Klare Forderungen bezüglich urbaner Nachverdichtung gibt es ebenfalls schon lange. Gebäude aufstocken, kompaktes Wohnen, Smart Homes und insgesamt mehr Flexibilität im Wohnbereich sind die typischen Schlagworte.


Beispiel Europan Graz

Die europäische Plattform Europan möchte neue Ökologien finden, die den Gegensatz zwischen Natur und Kultur harmonisieren. Der Gesamtansatz von Europan agiert aus einem größeren Horizont heraus als traditionelle Stadtplanungs- und Bauprojekte. Man bezieht nicht nur die unmittelbaren Interessen der zukünftigen Bewohner bzw. Auftraggeber ein, sondern auch die Auswirkungen inmitten eines Gesamtzusammenhangs, der urbanes und natürliches Leben miteinander verbinden will.

Der diesjährige Wettbewerb mit dem Titel „Neugestaltung von Architekturen unter Berücksichtigung bewohnter Milieus" zielt auf die Regenerationsfähigkeit von Lebensräumen ab. Es geht darum, sich mit den menschengemachten Katastrophen des Klimanotstands konstruktiv auseinanderzusetzen. Dazu gehört das Schaffen von Grün- und Wasserzonen, die das Leben von Tieren und Pflanzen sichern.


Graz­-Gösting

Der Grazer Wettbewerbsbeitrag befasst sich mit einer umfassenden Umstrukturierung des Stadtteils Gösting. Man gelangt hierher auf einer vierspurigen Straße, die von der Autobahn kommt und ins Stadtzentrum führt. Eine neue Mobilitätsdrehscheibe soll hier entstehen, die den Individualverkehr reduzieren wird. Die Besonderheiten der natürlichen Topografie von Graz-Gösting sind integraler Bestandteil der Aufgabe.

Das auf einem Hügel in unmittelbarer Nähe gelegene Schloss ist momentan der Aufmerksamkeit entzogen, ebenso das beidseitig der Hauptstraße liegende Stadtgefüge mit viel Grün und Bächen. Das gesamte Planungsgebiet liegt in einer überschwemmungsgefährdeten Zone. Diesen natürlichen Szenarien muss Platz eingeräumt werden und es gilt, die verschiedenen Ausdehnungen und Entwicklungen der Natur mitzubedenken und zu respektieren.

„Die Aufgabe auf dieser Baustelle besteht darin, das städtische Gefüge zu betrachten, und zwar sowohl sein bestehendes als auch sein neues Potenzial, das sich aus der Entwicklung der Infrastruktur ergibt: Die Zugänglichkeit zur öffentlichen Infrastruktur muss mit einem entspannten Lebensumfeld und guten Gemeinschaftsbeziehungen kombiniert werden", heißt es in der Beschreibung.


Wien „Am Heidjöchl"

Das Wiener Projekt „Am Heidjöchl" im 22. Bezirk orientiert sich am Klima der Stadt und legt Wert auf Nachhaltigkeit. Es wird rund 11.000 Menschen in 4900 Wohneinheiten beherbergen, wobei der Schwerpunkt auf der Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und der Integration in die bestehende Nachbarschaft liegt. Zu den wichtigsten Prioritäten gehören soziale Eingliederung, Grünflächen und Resilienz. Zu den Fragen gehören die Integration bestehender Elemente, die Vision eines grünen Stadtviertels, die Bewältigung von Zonenübergängen, die Einbeziehung der Natur und die Anpassung an den Klimawandel, um einen nachhaltigen gemeinsamen Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen zu schaffen.

Ein weiteres österreichisches Projekt von Europan möchte das Dorf Lochau wieder an den Bodensee binden: Derzeit ist der Ort durch eine Eisenbahnlinie und eine Bundesstraße vom See isoliert. Die Herausforderung besteht darin, den Mobilitätskorridor in das Dorfgefüge einzubinden.

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