Susanne Karr

freie Kulturredakteurin, Wien/München

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Der Architekt als Bildhauer

Granitsplitter prägen Optik und Akustik im Konzertsaal der Villa Marteau des Münchner Architekten Peter Haimerl. © Edward Beierle

Es begann 2014 mit dem unterirdischen Konzerthaus in Blaibach, einem kleinen Ort im Bayerischen Wald, der bisher nicht als Destination für Klassik bekannt war. Inzwischen spricht man vom „Wunder Blaibach". Damit wird das Phänomen bezeichnet, dass mitten auf dem Land auf einmal eine Kulturdestination entstanden ist, die Künstler und Publikum von weither anzieht. Die Veranstaltungen im Konzerthaus Blaibach waren vor der Pandemie fast ausnahmslos ausgebucht. Wer vom Konzert­saal in Form eines in die Erde gestülpten Betonblocks gehört hatte, wollte oft ungläubig selbst erfahren, ob dieses Material überhaupt Klang zulassen würde. Wiederkehrende Besucher waren von der skulpturalen Architektur und dem außergewöhnlichen Setting begeistert. Auch konzertierende Künstler loben Klangqualität und außergewöhnliche Atmosphäre. Inzwischen ist der Konzertsaal in Blaibach mit vielfachen Auszeichnungen bestückt und international bekannt - seine Mischung aus exzentrischer Ästhetik und fantastischem Klangerlebnis war Anlass für die Wahl des Architekten und einen weiteren Auftrag im Bereich klassischer Musik. Die Oberfrankenstiftung, Besitzer der internationalen Musik-Begegnungsstätte Villa Marteau im Frankenwald, wählte den Münchner Architekten für die Errichtung eines neuen Konzertsaals.

Anfänge der Villa Marteau Das Haus Marteau schrieb sich von seinem Beginn an in die musikalische Geschichte ein. Der berühmte französische Geiger Henri Marteau ließ es in den Jahren 1911 bis 1913 zunächst als Sommerdomizil in Lichtenberg errichten. Er unterrichtete damals in der Nachfolge des legendären Geigers und Brahmsfreundes Joseph Joachim an der Hochschule für Musik in Berlin. Die dreigeschoßige Villa wurde bald zum Hauptwohnsitz. Bis zu seinem Tod im Jahr 1934 unterrichtete er Schüler in seinem Haus, veranstaltete Konzerte und hielt Sommerkurse. Die Erben suchten nach Möglichkeiten, das Anwesen wieder für die Öffentlichkeit zu nutzen, nachdem es sich in unmittelbarer Nähe zum Eisernen Vorhang befand und nicht gerade als Reisedestina­tion bekannt war. Im Jahre 1982 wurde die Internationale Musikbegegnungsstätte Haus Marteau gegründet. Die Villa ist mit Originalinterieur ausgestattet und bietet jedes Jahr Fortbildungskurse von inter­natio­nalen Dozenten an.


Erweiterung gewünscht 

 So viel zur Ausgangslage. Vor fünf Jahren wurde deutlich, dass die Internationale Musikbegegnungsstätte für ihre Anforderungen zu klein geworden war. Ein neuer Konzertsaal und weitere Übungsräume sollten errichtet werden. Seitens der Bauherren bestand zunächst die Idee, direkt an die denkmalgeschützte Villa anzubauen. Peter Haimerl war von diesem Vorschlag von Anfang an nicht überzeugt, denn das gesamte Ensemble, das in einen wunderschön angelegten Park mit mittlerweile hohen Bäumen eingefügt ist, würde dadurch empfindlich gestört, ja, zerstört werden. Sein erster Impuls bei der Begehung der Anlage führte ihn in die Richtung, die er auch in Blaibach eingeschlagen hatte: den Konzertsaal in den Erdinnenraum zu verlegen und das überirdische Ensemble weitgehend unangetastet zu belassen.


Platzierung und Durchführung 

 Der neue unterirdische Saal ist in den Hang an der Südseite des Hauses eingebettet. Nur an den umrahmten Öffnungen ist er im historischen Ensemble von Gebäude und Parkanlagen erkennbar. Das Grundstück liegt auf hügeligem Gelände, der Konzertsaal befindet sich also nicht vollständig unter der Erde, sondern fügt sich mit dem begrünten Dach in die historische Park­anlage ein. Die freie Ansicht auf die denkmalgeschützte Villa Marteau bleibt ungestört erhalten. Eingriffe in die bestehende Bausubstanz wurden nur im Erdgeschoß und im neu entstandenen Gartengeschoß vorgenommen. Durch eine akribische, statisch anspruchsvolle Tieferlegung des Kellers und des Fundaments um 60 Zentimeter wurden neue, repräsentative Räume im alten Gebäu­de geschaffen, die sorgfältig auf akustische, ästhetische und praktische Gesichtspunkte hin konzipiert sind. Im denkmalgeschützten Haus wurde zudem ein barrierefreier, innen liegender Aufzug in den Baubestand integriert. Architektur­sprache und Einrichtung der neuen Räume interpre­tieren die historischen Vorgaben zeitgemäß weiter. Von hier tritt man als Konzertbesucher ins Geschehen ein. Durch einen schmalen stollenartigen Verbindungsgang gelangt man in den Konzertsaal. „Im Ortswechsel von der Villa in den Granitsaal stellt sich eine intensive räumliche Erfahrung ein und Erwartung wird aufgebaut", erklärt der Architekt.


Zur Wahl des Baustoffs 

 Die Gegend um Lichtenberg ist charakterisiert durch Metalle wie Kupfer und Gesteine wie Flussspat und Diabas. Diabas oder Grünstein ist ein dunkler, grünlicher Stein mit dichtem fein- bis mittelkörnigem Gefüge. Er zeigte sich jedoch als akustisch unbrauchbar und musste aus der Liste möglicher Baustoffe ausgeschlossen werden. Die Wahl fiel dann auf ein Material, das keinerlei Reputation im Konzertsaalbau für sich verbuchen kann - ähnlich wie Beton. Peter Haimerl entschied sich für Granit. Warum ausgerechnet Granit? „Weil er der einzige Stein hier in der Gegend ist, der über Kopf verbaubar ist. Es gäbe sonst nur Marmor, aber nur in kleinen Platten", sagt der Architekt. „Granit mit seiner spezifischen Dichte hat zudem akustische Qualitäten." Der Granit für den Konzertsaal stammt aus der Passauer Gegend. Haimerl stellt sich mit seiner Materialwahl gerne gegen übliche Standards. „Granit wird fälschlicherweise oft plump und massig eingesetzt. Gegen dieses Klischee arbeiten wir hier mit den fein gearbeiteten Splittern. Die Stärke des Materials transformiert sich in eine ungeheure Dünnhäutigkeit und gleichzeitige Schärfe. Das baut Spannung auf." Zudem lässt die Stabilität des Materials große Formate zu. Der Saal muss eine gebrochene Ober­fläche haben, damit der Schall steuerbar wird. Die Konfiguration der einzelnen Splitter, die der Schallführung dienen, war eine diffizile Angelegenheit. Mithilfe von anspruchsvollen Computerprogrammen konnte man vorab die Konstruktion und An­ordnung der einzelnen Granitelemente simulieren und die Schallführung ausprobieren. „Wie man weiß, ist die optimale Konzertsaalform eine Schachtel. Die Weinberganordnung, die im Grunde die Form des Amphitheaters nachahmt, ist für Musik an sich ungeeignet. Das antike Theater ist für Sprache entworfen. Musik hingegen baut auf Klang. Es soll ein Mischsound entstehen, keine Einzeltöne, gleichzeitig soll dieser Sound präzise sein. Schallharte Materialien - und das klingt fast kontraintuitiv - eignen sich am besten für die Schallführung. Die besten Konzertsäle sind aus Stuck und Beton - oder Granit! Holz findet sich nur in den unteren Bereichen, es interagiert zu viel mit dem Schall", so Haimerl. Die Umsetzung der schwebend anmutenden Granitwunderkammer baut auf schwere Materialien. Die tragende Dachkonstruktion des Konzertsaals ist eine flache Stahlbetondecke. Eine Unterkonstruk­tion aus Stahl, deren Elemente bis zu 13 Meter lang und fast neun Tonnen schwer sind, wurden mit mehr als 330 präzise geschliffenen, hauchdünnen Granitplatten belegt. Sie bilden die Einzelelemente, die auf Stahlträgern befestigt und zu den insgesamt 33 Granitsplittern zusammengesetzt werden. Die Produktion der Splitter hat alleine schon eineinhalb Jahre in Anspruch genommen. Jedes Element ist mit eigenem Schwerpunkt austariert und wird zum gestaltenden Element einer neuen kristallenen Welt.


Akustik und Bühne 

 Der 13 mal 13 Meter große Raum zentriert die Bühne. Auf beiden Seiten davon steigen kleine Tribünen mit 89 Sitzplätzen an. Nur durch eine kleine Fensterluke zwischen den Splittern gerät Sonnenlicht in den Raum und lenkt einen natürlichen Spot auf die Bühne. Wie in einem paradoxen Bild verleihen die Granitelemente dem gesamten Raum eine dynamische Leichtigkeit. Haimerl: „Unser Ansinnen war es, dass der Saal aus Granit Dichtheit erzeugt, die einen dennoch nicht bedrückt. Er soll eine indirekte, körperliche Kraft haben." Der Entwurf geht von zwei einander gegenüberliegenden Bergexplosionen aus, die in großen Granitsplittern architektonisch visualisiert sind. Die 33 Granitsplitter an Wänden und Decke halten den vergänglichen Moment der Explosion wie in einem Standbild präsent. Jeder einzelne Splitter folgt mit seiner Positionierung im Raum den Gesetzen für optimale Schallführung. Durch Hinterleuchtung der Splitter und kristalline Lichtkörper im Bühnenraum entsteht eine begehbare Raumskulptur.


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