Susanne Karr

freie Kulturredakteurin, Wien/München

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Artikel

Renoviert und zum Leben erweckt

Projekt 31: Headquarter von Neri&Hu in Shanghai © Hao Chen

Dass man sich gegen den Abriss historischen Baubestands entscheidet, vermag bei unscheinbaren architektonischen Gebäuden mitunter nicht sofort zu überzeugen. Folgt man jedoch, wie Neri&Hu aus Shanghai, konsequent dem Konzept der Um- und Neunutzung, ergeben sich über­raschende neue Chancen - mit geringen Interventionen in die bestehende Substanz. Aktuelles Beispiel ist das Projekt No. 31. Mit einem vierstöckigen Gebäude für Büros und Wohnheim eines Telekom-Unternehmens fand sich eine weitere Gelegenheit, einem Gebäude neues Leben einzuhauchen. Ausgangsmaterial war ein wenig ansprechen­des Gebäude aus den 60er-Jahren, das sich im belebten Tempelviertel Jing'an befindet. Man wollte es nicht nur neu verwenden, sondern zu einem Hotspot für Design machen. „Wir fühlten uns sofort zu diesem Projekt hingezogen, da es eine weitere Gelegenheit bot, ein Artefakt des städtischen Überflusses wiederzuverwenden, das Alltägliche zu feiern und sogar zu erhöhen", schreiben Neri&Hu. Ohne große bauliche Veränderungen vornehmen zu müssen, wurden zunächst Optik und Proportionen der eintönigen Hauptfassade durch Einsetzen von Glasbausteinen ver­ändert. Anschließend verband man die Fenster mit einem schwarzen Metallrahmen visuell miteinander. Die Außenwand im Erdge­schoß wurde mit grünen Fliesen verse­hen und obendrein mit einem tiefen Vordach von den dunkelgrauen Oberge­schoßen abgesetzt. Das Architekturbüro hat im dritten und vierten Stockwerk seine neuen Räumlichkeiten bezogen, in den unteren beiden Etagen befinden sich Büros des Möbelherstellers „Design Republic". Im Gebäude sind zudem eine Bäckerei und Möbeldesigner eingemietet, es gibt öffentlich zugängliche Räume wie Co-Working-Spaces, einen Veranstaltungsraum und eine begrünte Dachterrasse.


Architektonische Interventionen 

 Die Innenräume ließen mehr Gestaltungsspielraum als die Fassade zu, was für eine gelungene Umwidmung unbedingt notwendig war. Man legte die vorhandenen Betonpfosten- und -balkenkonstruktionen frei und setzte sie optisch in Szene. Für Holzarbeiten setzte man konsequent altes Holz erneut ein. Die geringen Raumhöhen wurden durch selektive Schnitte in die Decken erweitert. Zu den vorhandenen Säulen fügte man Stahl- und Rippenglaseinfassungen hinzu. Das Revitalisierungskonzept sah vor, durch neue und alte Details den Bezug zur Vorgeschichte des Gebäudes aufrechtzuerhalten und so ungeahnte Potenziale aufzuzeigen - wie etwa bei den neuen Konfigurationen durch doppelte Raumhöhen. Man hatte die ausdrückliche Absicht, die neuen Einfügungen dem Alten gegenüberzustellen, ohne dabei den Bezug zur Vergangenheit des Gebäudes zu verlieren. Eini­ge der architektonischen Interventionen schließen an ein früheres Projekt von Neri&Hu an, die „Design Commune" mit dem Flagship-Store des Möbelherstellers Design Republic aus dem Jahr 2012.

Der Ziegelbau vom Beginn des vorigen Jahrhunderts wurde zu Zeiten der britischen Konzession als Polizeihauptquartier errichtet. Über 100 Jahre später entschied man sich gegen den Abriss. Eine umfangreiche Renovierung samt genereller Umwidmung der Funktionen hat aus dem ehemaligen Kommissariat einen Treffpunkt für Designer und Designliebhaber gemacht. Der Renovierungsprozess umfasste hier folgende Stufen: Entfernung von verrottendem Holz und altem Putz, Freilegung und Restaurierung der gut erhaltenen roten Ziegel. Neri&Hu verglichen die Vorgangsweise mit einem „chirurgischen Eingriff", bei dem Haut, Gelenke und Organe teils trans­plantiert, teils rekonstruiert wurden.

Integrität des Gebäudes behalten Die gänzlich andere, aktualisierte Gebäudewidmung verlangte einige Eingriffe. Teilweise wurden Wände, Bodenplatten und Deckenpaneele abgetragen, um eine offenere Atmosphäre zu erzielen. Reste von Backsteinmauern oder freiliegende Holz­latten erinnern an die frühere Geschichte des Gebäudes. Sie wurde bewusst nicht eliminiert, denn es ging Neri&Hu auch hier darum, alte und neue Elemente korrespondieren zu lassen. Teilweise Verglasung der freigelegten Backsteinfassade auf der Straßenseite macht das Ziegelmauerwerk und die Betonstrukturen sichtbar. Durch diese Interventionen verbinden sich traditionelle Basis und aktualisierte Ästhetik zu einem zweiten Leben.

Das Architektur- und Designstudio Neri&Hu mit Büros in Shanghai und London setzt mit seinen Upgrades von Bestands­architektur Maßstäbe. Der Ansatz liegt auf einem klaren Bekenntnis zu Interdisziplinarität. Das Portfolio des Büros umfasst Aufträge von Masterplanung und Architektur bis zu Innenarchitektur, Möbeldesign, Branding und Grafik. Ein Schwerpunkt des Büros liegt auf der Neuinterpretation und Wiederinstandsetzung bereits vorhandener urbaner Architektur.

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