Susanne Karr

freie Kulturredakteurin, Wien/München

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Die Macht der Schönheit, intentional eingesetzt.

Casa della Musica, Cucinella Architects, © Studio Maggi/Moreno Maggi

Wer sich schon einmal in einem der berechtigterweise oft "Übezelle" genannten Probe- oder Unterrichtsräume, die ähnlich uncharmant an den meisten deutschen Musik(hoch)schulen zu finden sind, gequält hat, weiß: Auch der Ort macht die Musik. Er schwingt nicht nur auf seine ganz eigene Art mit, sondern kann beflügeln oder erdrücken. Susanne Karr hat in der italienischen Kleinstadt Pieve di Cento in der Emilia-Romagna mit de r Casa della Musica einen Platz gefunden, an dem die Musik wirklich Raum hat.

Die Straße schlängelt sich dem Wegweiser "Casa della Musica" folgend durch die Gärten eines neuen Ortsteils Pieve di Centos. Dann steuert man direkt darauf zu: Ein extravagantes Gebilde aus gerundeten hölzernen Strukturen, die lose miteinander verbunden sind und von glänzenden Dachelementen gekrönt werden. Die Casa della Musica steht in direkter Verbindung zu einer Schule. Deren mit Graffiti und Wandmalerei gestaltete Fassade ergänzt die bunten Fenster der übrigen Gebäude, die man von hier aus im Blick hat.

Vom Parkplatz ein kurzer Weg, der das Thema der geschwungenen Formen wieder aufnimmt. Glastüren, in die Holzfassade eingelassene Sehschlitze.

Die gerundeten Holzformen, die organische Struktur, alles weist auf eine tiefe Verbundenheit mit der umgebenden Landschaft und deren musikalischer Tradition hin. Geigen- und Gitarrenbau haben hier eine lange Geschichte, und die zierliche Konstruktion des Gebäudes hat vieles mit der hingebungsvollen Feinarbeit und künstlerischen Intuition des Instrumentenbau-Handwerks gemein. Die einzelnen, losen Elemente, die runden Raummodule, werden wie Instrumente in einem Orchester in einen Zusammenhang gebracht. Die Verwendung von Eichenholz für die Verkleidung der Fassade und der Innenräume dient auch - wie in den Klangkörpern der Instrumente - akustischen Zwecken: gleichzeitig der Eindämmung und der Verstärkung des Klangs. Die schmalen Lichtöffnungen der Übungsräume erinnern an die F-Löcher eines Streichinstruments. Diese Fenster garantieren den Übenden Privatheit, vermitteln von außen dennoch Offenheit und lassen Licht herein.

Planung und Konzept stammen vom Studio Mario Cucinella in Bologna, das im kommenden Jahr den italienischen Pavillon der Architektur-Biennale in Venedig gestalten wird. Die Casa della Musica entstand aus dem Wunsch nach Strukturen und Räumlichkeiten für Musikunterricht und Konzerte, die sowohl von Musikschüler*innen, als auch von Externen gegeben werden. Berührungsängste soll es keine geben.

Einer der Projektleiter vom Studio Cucinella, Architekt Marco dell'Agli, spricht von der Macht der Schönheit, die ansteckend wirkt und Gutes vorantreiben kann. Sie wird ausdrücklich intentional eingesetzt. Musik gehört auch zu den Fundamenten eines an Schönheit orientierenden Lebenssinns, vor allem, wenn sie aktiv ausgeübt wird, nicht nur aus der Ferne bewundert. Und auch hier geht es nicht um ein Anbeten der Asche, sondern um eigene Initiative, um Gestaltungswillen, um Experimentierfreude. Längst haben die Initiatoren verstanden, dass eigene Kreativität die Menschen aus der Position des Publikums auf einen aktiven Platz in der Gesellschaft holt, dass es nicht nur um klingende Namen und Ehrfurcht geht, sondern um Freude und Stolz über eigenes Musizieren. Und die soll hier jede*r entdecken können, unabhängig von Alter und Herkunft.

Die Form des Gebäudes spielt ästhetisch und akustisch eine Rolle, sie schafft nebenbei den angenehmen Eindruck eines Raums im Raum: Man kann sich gut vorstellen, hier konzentriert zu üben. Unterrichtet werden Streichinstrumente, Klavier, Schlagwerk, Ziehharmonika. Das Designkonzept ist in der Innenausstattung weitergeführt, nichts Unnötiges soll den künstlerischen Prozess stören. Stauräume sind unsichtbar in die hölzernen Wandtäfelungen versenkt, nur notwendiges Equipment wie Notenständer, Stühle, Noten und Instrumente mit ihren Kästen gehören zum Inventar.

In den kurzweiligen offiziellen Ansprachen zur Eröffnung wird deutlich: Hier wird groß gedacht - und dann völlig selbstverständlich mit dem Ergebnis umgegangen. Es scheint, als könne man beliebig irgendeine Person aus den Versammelten herausfischen und bitten, eine Geschichte zu erzählen - kein Stottern, keine Verlegenheit. Eine Liebe zum Theatralischen macht sich hier bemerkbar, die Idee, dass jede und jeder das Zeug hat, auf der Bühne zu stehen. Die altersmäßige und soziale Durchmischung und die Zugänglichkeit zu den musikalischen Projekten machen den Ort zu einem gesellschaftlichen Treffpunkt. Auch an zufällige Zuhörer*innen ist gedacht, denn einer der Gehwege vom Zentrum aus der Stadt hinaus in die neuen Wohnareale geht direkt an der Casa vorbei. Hier entsteht außerdem ein kleiner Park. Der umlaufende Vorsprung an der Fassade lädt zum Niedersetzen ein - so können sich wartende Eltern, Schüler*innen oder Lehrer*innen aus der Casa mit rastenden Spaziergänger*innen unterhalten. Auch der runde große Saal, der bei Konzerten als Auditorium verwendet wird, dient im alltäglichen Gebrauch als ein solcher Versammlungsort zum Warten und Plaudern.

Als Teil des "Rebuilding Workshop" nach den beiden Erdbeben im Jahr 2012 wurde das Projekt aus einem Fonds zum Wiederaufbau finanziert. Dieser Solidaritätsfonds hat auch weitere Projekte in der Umgebung ermöglicht, etwa ein Haus des Tanzes, das ebenfalls durch seine extravagante Architektur den Glauben an musikalisch inspirierte Kunst manifestiert. Glücklicherweise richteten die Erdbeben im Ort selbst wenig Schaden an, die Kirche war betroffen und steht nun in Gerüst verkleidet. Auch die Schule wurde teilweise beschädigt, das herrschaftliche alte Gebäude wird gerade restauriert, saniert und 2019 als Kunstmuseum mit illustren barocken Exponaten etwa von Guercino und Guido Reni und seinen Schülern wiedereröffnet. Außerdem wird dort die öffentliche Bibliothek einziehen. Das Haus wird zu einer weiteren Adresse im "Quartiere delle Arti". Pieve di Cento pflegt diesen kulturellen und musikalischen Diskurs. Die Grundschule hat bereits mit der Nähe zur Casa della Musica eine musikalische Adresse und initialisiert einen kulturell geprägten Lebensweg.

Am Tag unseres Besuches findet die Giornata dell'Autumno, an der die kleine Stadt Pieve di Cento teilnimmt, statt. Diese Veranstaltung wurde von der überregionalen italienischen Initiative FAI zum Erhalt und Schutz von Kunst und Kultur, vergleichbar dem britischen National Trust, initiiert. Ganz im Zeichen der musikalischen Tradition der Region bildet ein Konzert in der Casa della Musica den Auftakt. Im Konzertsaal, der wie alle Räume des kleinen Architektur-Highlights rund ist, steht schon der Flügel bereit. Die Sesselreihen sind im Halbkreis aufgestellt, aufgrund des regen Interesses müssen noch weitere geholt werden. Kurze einleitende Worte des Kulturbeauftragten und des Bürgermeisters erklären dem Publikum die Geschichte des Hauses. Das Duo Cameristica tritt auf, Piano und Gesang. Zumindest heute funktioniert die Casa genau wie geplant: Als Treffpunkt, als Ausgangspunkt. ¶

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