Das Atelier der Landschaftsarchitektinnen Ursula Kose und Lilli Licka befindet sich hoch oben in einem Altbau mit Parkettböden und hohen Kastenfenstern in der Schottenfeldgasse. Die Einrichtung verbindet Eleganz, Bodenständigkeit und Minimalismus. Im Vorraum zum Zeichenbüro, an einem Arbeitstisch, führen wir, vom Duft frisch aufgebrühten Espressos begleitet, das folgende Gespräch.
Wie ist eure Geschichte als Landschaftsarchitektinnen in Wien verlaufen? Und wie positioniert ihr euch gegenüber der klassischen Stadtarchitektur?
Licka: Wir haben uns anfangs Stadt- und Landschaftsplanerinnen genannt, denn Landschaftsarchitektur hat's in Wien - anders als in Europa - damals gar nicht gegeben. Heute nennen wir uns „Landschaftsarchitektur-Büro". Die Idee von landschaftlicher Gestaltung des Stadtraumes schien 1990 noch ein Widerspruch zu sein. Tatsächlich hat sich die Landschaftsarchitektur Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Gartenkunst entwickelt. Zuvor waren Stadt und Landschaft Teil des Herrschaftsraumes, nicht ein freier Raum für „alle". Kernaufgaben der Gartenkunst waren die Gärten der Feudalherren. Da gibt es zahlreiche berühmte Beispiele aus vergangenen Jahrhunderten.
Inzwischen ist die Landschaftsarchitektur ein anerkanntes, gleichrangiges Fach neben der Architektur. Was aber nicht ganz klar ist, ist das Verhältnis zur Architektur.
Licka: Von der Befugnis her konnten sich früher die Architekten im städtischen Raum außerhalb, aber auch innerhalb des Grünraums betätigen. Plätze sind Überschneidungsbereiche. Es hat sich über verschiedenste Prozesse, im Vergleich mit internationalen Projekten, und in Gesprächen mit Bewohnern herausgestellt, dass der Frei- und Grünraum in Wien keine ausreichende Qualität hat. Diese Fokussierung hat stark zur Etablierung unseres Fachs in den vergangenen 15 Jahren beigetragen.
Man merkt also, dass es einen bewussteren Umgang gibt?
Licka: Es gibt zwei gegenläufige Bewegungen: Die Fragestellungen im Außenraum nehmen immer mehr zu, Fachkompetenz und Qualität werden nachgefragt. Andererseits hat die öffentliche Hand wenig Geld. Insgesamt gibt es wesentlich mehr zu tun. Das gesamte Fach hat sich sehr entwickelt. Früher hätten wir uns nicht vorstellen können, dass es laufend Projekte gibt.
Zum Team: Wie habt ihr zusammengefunden?
Kose: Wir kennen uns schon seit dem Studium. Das erste gemeinsame Projekt war eine Art Probelauf: „Alles geht spielend". Das hat bei der Stadt Wien ziemlich eingeschlagen. Es ging um Spiel im öffentlichen Raum - nicht unbedingt nur auf Kinderspielplätzen. Bei dieser Arbeit haben wir festgestellt, dass wir gut zusammenarbeiten können, dass wir uns gut ergänzen, und wir haben uns zu einem Büro zusammengeschlossen.
Wie kann man sich das Projekt vorstellen?
Kose: Es begann mit einer Studie. Ausgangspunkt war ein geplanter Grünzug im südlichen 15. Bezirk. Als Erstes haben wir geschaut: Was findet dort bereits statt? Und dann haben wir gefragt: Was könnte dort noch alles stattfinden? Was ist in diesem Raum an Spielmöglichkeiten oder -anregungen vorhanden? Wir entdeckten eine große Vielfalt. Wir machten auch Streifraumerkundungen: Wie bewegen sich Kinder auf ihrem täglichen Weg zur Schule? Und die Ergebnisse dieser Studie sind dann in die nächsten Projekte eingeflossen ...
Licka: Dieses frühe Projekt zeigt bereits unseren Ansatz: dass wir sehr genau den Raum beobachten, daraufhin, was vorhanden ist und welche Potenziale es gibt. Und wie man ihn durch präzise, oft auch nicht extrem sichtbare Maßnahmen verbessern kann.
Ihr arbeitet also stark empirisch, entwickelt eure Interventionen aus der Beobachtung? Ja, und wir arbeiten auch sehr mit dem „Alltagsraum". Wir betrachten den gesamten Stadtraum.
Derzeit wird viel zum öffentlichen Raum bzw. der totalen Verplanung und Überwachung desselben debattiert. Licka: Es gibt ja die Theorie des Verschwindens des öffentlichen Raumes. Die Benützung verändert sich durch die demografische Entwicklung, und der Versorgungsgedanke wird ein anderer. Es gibt Studien zu den Bedürfnissen der Nutzer: der Kleinen, der Alten, der Dicken, der Dünnen. Und auf jedes Bedürfnis wird mit einem Programm, mit einem Gerät geantwortet. Für all diese muss dann der öffentliche Raum da sein.
Wie ist denn die wachsende Durchstrukturierung, etwa auf Spielplätzen, in diesem Zusammenhang zu bewerten?
Licka: Wir arbeiten gerade an einer Veröffentlichung, das ist jetzt quasi aus dem Nähkästchen geplaudert. Da geht es um „Die Kunst des Verschwindens".
Und wer soll da verschwinden? Licka: Die Ausstattung, die Überausstattung. Vielleicht ist das, was man nicht sieht, das Wichtigste, wie Georges Descombes sagt. Raumkonzeption drängt sich nicht auf. Was Atmosphäre betrifft: Da muss man sehr viel Überlegung investieren. Kose: Bei Parkanlagen, die funktionieren, zeigt sich, was vorrangig ist: dass es genug offenen Raum gibt. Dazu einen räumlich funktionierenden Baumbestand als natürliche Begrenzung und Rückzugsort. Schatten und Licht ergänzen sich. Diese Parks sind „komponiert" und leben nicht von der Ausstattung.
Welches Beispiel gibt es da in Wien?
Kose: Den Auer-Welsbach-Park: Er ist differenziert in der Vegetation. Es gibt Rondelle mit verschiedenen Baumarten. Es entstehen Räume unterschiedlicher Qualitäten, die Parkbesucher vielleicht nicht benennen könnten, wohl aber als angenehm wahrnehmen. Dort passieren unterschiedliche Dinge.
Licka: Es gibt natürlich die ganz normalen Konflikte der Stadt, zwischen Kindern und Alten, zwischen Hunden und Nichthunden, aber der öffentliche Raum ist genau der Ort, wo das ausgetragen werden muss. Es ist wichtig, dass Konflikte stattfinden können.
Kose: Apropos Konflikt: Wenn alles durch Parkmöblierung vorgegeben ist, entsteht fast ein bisschen Rechthaberei, auch seitens der Nutzer. Da kommt man in so ein Fahrwasser hinein, eine bestimmte Parkbank als „eigene" zu beanspruchen und etwa Jugendliche, die sich daraufsetzen, zu verjagen.
Licka: Man spricht von der „Definitionsgewalt der Ausstattung". Was sagt die Bank? Sie sagt: Du kannst dich da hersetzen. Zu den Jugendlichen sagt sie aber nicht: Ihr seid willkommen, oder ihr seid nicht willkommen, sondern sie ist einfach da. Und die Jugendlichen setzen sich auf die Lehne. Das ist ein klassisches Beispiel, denn dann gibt es das Problem, dass die Sitzfläche schmutzig ist, und einige sagen: „Das macht man nicht". Und dann gibt es einen findigen Hersteller, der sagt: „Wir machen ein Jugendmöbel, das hat keine Rückenlehne, sondern einen Sitzholm." Es gibt also für Jugendliche dieses Möbel, wo sie das Recht haben, sich auf die Rückenlehne zu setzen, was total widersinnig ist. Kose: Und da entsteht ein Verlust des Raums: Weil die Jugendbänke dazukommen. Die anderen Bänke werden trotzdem „missbraucht", weil das der Sinn ist. Durch diese vorgefertigten „Antworten für jeden" bleibt kein Raum übrig, den man selber definieren kann.
Thema „Bank": Am Brunnenmarkt gibt es ja einige Bänke quasi mitten im Marktgeschehen, und auch am Naschmarkt wird darüber diskutiert, Bänke aufzustellen, damit man zum Sitzen nicht immer in Lokale gehen muss. Wo stellt man so eine Bank idealerweise auf?
Das ist die Kernfrage. Wie schafft man Räume, die für sich eine Qualität haben. So sind etwa große offene, leere Plätze fürs Überqueren gut. Sie sind notwendig und wichtig, um baulicher Dichte einen Freiraum gegenüberzustellen. Aber Sitzplätze werden nicht auf der großen freien Fläche sein. Es geht also um den räumlichen Zusammenhang, aber auch um die Frage, ob den Nutzer noch Möglichkeiten zur Einflussnahme gelassen werden. Kose: Wir haben die Bänke am Yppenplatz eigentlich mobil geplant, sodass man sie nach Bedarf hätte verstellen können. Die mobilen Bänke wurden aber von den Auftraggebern nicht akzeptiert. Sie fürchteten Diebstahl oder Zerstörung, und wenn sie weggestellt werden können, muss irgendjemand sie wieder zurückstellen.
Aber wäre es nicht sinnvoll, selbst die Bank dorthin stellen zu können, wo der Bedarf gerade besteht?
Licka: Es ist eigentlich eine Entmündigung. Es wird uns nicht zugetraut, dass wir selber entscheiden können, was uns gefällt. Deswegen werden uns Antworten vorgegeben. Eigeninitiative wird immer stärker zurückgedrängt. Sogar die kleine Entscheidung, wo ich sitzen will. Kose: Die Leute nehmen diese Regulierung aber auch an. Wir hören immer wieder von Anrufen, wenn eine Bank nicht mehr dort steht, wo sie „hingehört". Also wird sie einbetoniert oder angeschraubt. Ich habe am Yppenplatz erlebt, dass eine ältere Person, die eine Bank nicht selbst verrücken konnte, die Youngsters um Hilfe gefragt hat und diese natürlich auch bekommen hat. Die Jugendlichen haben ihr die Bank dorthin getragen, wo sie sie haben wollte. Zur Kontaktaufnahme kommt es aber immer seltener, denn der öffentliche Raum wird uns als gefährlich dargestellt.
Kose: Dabei spielt auch die Vandalismusfrage eine Rolle. Ein Beispiel zum Thema wäre der vom Landschaftsarchitekturbüro Vogt gestaltete Festspielplatz Bregenz (Platz der Wiener Symphoniker). Er hat unterschiedliche, amorph angeordnete Oberflächenstrukturen. Die leichte Formung bedingt, dass sich bei Regen ein Teich sammeln kann, und es gibt Bäume. Dort sind Sessel lose aufgestellt - eine fixe Bestuhlung würde der Grundidee des fließenden Raumes zuwiderlaufen. Auf meine Anfrage an die Stadt erhielt ich die Auskunft, dass hin und wieder einer der Sessel im Bodensee liege. Das heißt: Vandalismus kommt vor. Die Frage ist, wie ich damit umgehe und ob ich ihn Kauf nehmen kann. Das ist auch eine ideologische Frage.
Um ideologische Fragen geht es ja auch, wenn es um gender-gerechte Gestaltung geht. Kann man Mädchen gezielt einladen, Orte für sich zu beanspruchen?
Kose: Es geht nicht darum, Raum speziell nur für Mädchen anzubieten. Sie wollen nicht „ausgestellt", präsentiert werden. Viel wichtiger ist, dass es für Mädchen/-gruppen zwischen den anderen Benutzern Raum und Möglichkeiten gibt. Unsere Gestaltung des Bruno-Kreisky-Parks, der eigentlich Johanna-Park heißen sollte, weil er von Johanna Dohnal eröffnet wurde, baut darauf auf. Es gibt unterschiedlich große und verwendbare Flächen, eine gliedernde Struktur, und Aneignungspunkte, von denen Aktivitäten ausgehen können. In diesem Kontext geht es um „Raumkompetenz": Die kann man sich nur aneignen, wenn man tatsächlich Raum zur Verfügung hat, und ihn auch benützen darf.
Und wenn man die Freiheit hat, ihn zu interpretieren.
Licka: Ja, genau. Der öffentliche Raum ist ein Spiegelbild der Gesellschaft und ihrer Machtverhältnisse. Man kann als Planerin diese nicht umdrehen. Das Eingreifen in die hierarchische Struktur ist nur minimal möglich. Man kann aber Dinge anbieten. Das tun wir auch aktuell beim Bau des Kindergartengartens im Stadtpark, einem Projekt, in dem wir mit Architekt Kohlbauer zusammenarbeiten.
Seht ihr im Bereitstellen von interpretierbarem Raum einen Gegenpol zur klassischen Architektur?
Licka: Architektur funktioniert im Wesentlichen objektbezogen. Landschaftsarchitektur hat die Aufgabe, einen Raum zu schaffen. Um Objekt und Raum optimal aufeinander abzustimmen, ist Zusammenarbeit unverzichtbar. Das Innen und Außen müssen eine gute Verbindung haben. Der Horizont der Landschaft, in der wir agieren, ist funktional, soziokulturell und politisch immer viel weiter als der Bearbeitungsperimeter. Daher kommen wir zur originär landschaftlichen Sichtweise: Die Grenzen der Projekte sind nicht die Grenzen des Denkens. Kose: Der Idealfall ist, dass man sich gemeinsam über das Konzept austauscht - sodass man gestalterisch auch am gleichen Strang zieht. Dann entsteht eine ziemlich hohe Qualität.
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