Susanne Greiner

Journalistin, Landsberg am Lech

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Begeisternde Dystopie: „(R)evolution" im Stadttheater Landsberg

Landsberg - Happy Birthday, Chat GPT! Am 30 November bist du ein Jahr alt geworden. Und hast schon so viel gelernt. Nicht nur Poesie entfließt deiner digitalen Feder, du bestehst sogar das bayerische Abitur. Dein Boss, die Künstliche Intelligenz (KI), malt falsche Bilder, gaukelt Kanzlerreden vor. Und wenn es hart auf hart kommt, klingt sie wie die eigene Mutter - zum Beispiel als mahnende Stimme des smarten Kühlschranks in „(R)Evolution". Die Dystopie-Komödie von Yael Ronen und Dimitrij Schaad begeisterte in der Inszenierung des Münchener Metropoltheaters das Publikum im ausverkauften Stadttheater mit Ensemble, Bühnenbild und Regie.


Die KI hat einen Namen: Alecto - bei den Griechen noch eine der drei Rachegöttinnen, in „(R)Evolution" die wissende Stimme an deiner Seite, ohne die im Jahr 2043 jegliche Handlung unmöglich scheint. „Was soll ich essen?", fragt Arzt Stefan Frank ‚seine' Alecto. Aber nicht nur Profanes entscheidet die KI: Auch bei Stefans Frage „Wer bin ich?" führt sie wie eine sokratische Hebamme den Arzt unerbittlich und streng rational zur Conclusio. Wie die aussieht, weiß Alecto. Denn sie kennt ihren Nutzer besser als der sich selbst. Will der die ‚Wahrheit' nicht hören, bietet Alectos Menü auch die Option ‚lügen' - „Möchtest du diese Einstellungen jetzt ändern?"

Alecto ‚hilft' Rene und Lana bei der Entscheidung zum genetisch ausgefrickelten Wunschkind. Sie prophezeit die baldige Scheidung von Ricky und Stefan, deren Verlangen nur noch virtuell Ausdruck findet. Und sie warnt Tatjana, einsame Flüchtlings-Sympathisantin, vor einer Anklage wegen terroristischen Aktivitäten und dem Tod der Mutter. Ihr Rat: „Du solltest weinen". Worauf Tatjana die Tränen kommen. Alecto ist ihre beste Freundin.

Dass alles so kommt wie Alecto sagt - self fulfilling Prophecy oder unausweichliches Schicksal? Letzteres, würde Alecto sagen, mit datenbasierter Sicherheit, kein Irrsinn, „das ist Mathematik". Und Daten saugt die KI überall, ohne Probleme, posten wir doch unser Innerstes ins World Wide Web. Und wer liest schon die Datenschutzbestimmungen?

Dystopisches Lachen

Das Stück von Ronen und Schaad in der Inszenierung von Regisseur Jochen Schölch überzeugt in jeder Szene. Die Dialoge sind spritzig und teils zum Kringeln und/oder Ertapptfühlen, weil sie plakativ genau die Aspekte aufgreifen, die jeder kennt: Soll ich dir die Erinnerung vor einem Jahr zeigen? Möchtest du in deine Wunschvorstellung eintauchen? Selten war Dystopie so unterhaltsam.

Der Clou: Die Autoren machen Alecto zur Figur. Und so wandelt die weise und weißgewandete Alecto zwischen den Protagonisten in gehighlightetem Schwarz (Kostüme Cornelia Petz), setzt sich neben Tatjana und ist Kussempfänger zwischen Lanas und Renes Mündern. Das Ensemble (Marc-Philipp Kochendörfer, Isabell Kott, Ina Meling, Hubert Schedlbauer, Jakob Tögel, Judith Toth) überzeugt durchgehend, vor allem Toth als Alecto, die ihre Stimme zwischen Computertonus und Kleinmädchengequietsche - der Wunschklang von Rene - wandelt, ihr Verhalten vom brüllenden Bad Cop hin zur besten Freundin moduliert.

Ein Geniestreich ist das Bühnenbild von Thomas Flach, eine bühnenbreite Spiegelwand, die an zwei große Räder montiert waagerecht oder senkrecht, im Bühnenhintergrund oder vorne stehen kann. Im Spiegel stehen die Schauspieler Kopf. Rollt der Spiegel zum Bühnenrand, hat das Publikum einen ungewohnten Blick auf sich selbst. Zum Beispiel beim Pro- und Epilog Alectos, die KI, die aus dem Stück heraustritt, ein Bindeglied zwischen Utopie und Jetzt.

Anfangs macht sie den Zuschauern mit personalisierten Theaterstücken den Mund wässrig. Am Ende mahnt sie das Publikum zum Nachdenken über die Technologie der Zukunft. Werden wir zu deren Diener? Oder als Datenupload unsterblich? Und wie weit sind wir schon gegangen? „Ihr solltet neugierig sein", rät uns Alecto. Vielleicht verstehen wir ja einfach nur noch nicht, was passiert.

Die Aufführung in Landsberg wurde vom Theater-Förderverein Till und der DELO-HEROLD-Stiftung ermöglicht.

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