Susanne Greiner

Journalistin, Landsberg am Lech

1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Schmerzpillen-Sucht: Maximilian Huber über sein Buch und seine Geschichte

Landsberg - „Migräne fühlt sich an, als ob man ein Messer hinter den Augen hat." Maximilian Ferdinand Huber weiß, wovon er spricht. Er leidet seit Jahren an der neurologischen Erkrankung. Gegen den Schmerz nahm er Medikamente - und wurde abhängig. Über seine Krankheit und seine Sucht hat er ein Buch geschrieben, aus dem der 33-Jährige am 10. Dezember um 16 Uhr im Lechatelier lesen wird.


„Ich bin klein,weiß und rund", sagt der Erzähler in Max' Buch „Migräne, Mörderpuppe". Der Titelzusatz erklärt die Perspektive: „Bericht einer Schmerzpille". Am Anfang habe er aus der Ich-Perspektive geschrieben, sagt der Autor. „Aber da hatte ich zu wenig Distanz. Durch den Perspektivenwechsel konnte ich die Sucht beschreiben." Almo, so heißt die Schmerzpille, ist in Max' Bauchbeutel zuhause: schon länger dort abgelegt und vergessen, die Aluecken aufgebogen, der Blister knistert. Almo erzählt die Geschichte von Max' Weg aus der Abhängigkeit. Und auch aus der Migräne: „Ich bin nicht geheilt", sagt er. Genetisch bedingte Migräne sei gemäß bisheriger Forschung nicht heilbar. „Aber ich kann jetzt besser damit umgehen." Jetzt, das bedeutet nach dem dreiwöchigen Aufenthalt in einer Migräneklinik - samt Medikamentenpause. Oder wie Max es formuliert: Entzug.

Dass er abhängig war, hat er sich erst in der Klinik, bei der Diagnose der Ärztin, eingestanden. „Ich wusste natürlich, dass ich zu oft zu viele Schmerzmittel genommen habe. Aber du belügst dich in so einer Situation auch selbst." Zudem seien Schmerzmittel, ebenso wie Alkohol, in der Gesellschaft ‚normal' und toleriert. „Schließlich leistet man ja dann was, trotz Schmerzen. Das wird ja sogar bewundert."

Zum ersten Mal Migräne hat Max, als er sieben Jahre alt ist. Als er sein Abitur macht verstärken sich die Anfälle, kommen im Studiums immer häufiger - die Schmerztablettenfrequenz steigt. Irgendwann werden Max' Schmerzen chronisch. „Wenn man regelmäßig Schmerzmittel nimmt, kann sich das entwickeln, wie eine Glocke über dem Kopf. Es waren permanent pochende Kopfschmerzen, auch nachts. Das nimmt dir die Lebenskraft. Ein Selbstmordkopfschmerz." In diesem Stadium habe er auch Suizidgedanken gehabt.

Mit ein Auslöser für die Anfälle sei Stress gewesen. Der Vollzeitjob als Sozialpädagoge, parallel dazu das Bachelorstudium und noch das private Engagement des 33-Jährigen in der LGBTQ-Szene: organisieren, Performances gestalten, beraten. „Ich wollte nicht wahrhaben, dass mich die Migräne einschränkt." Heute wisse er, dass Migräne eigentlich eine Schutzreaktion des Körpers sei: vor Überlastung. Ein nicht einfaches Eingeständnis für ihn als ‚Kontrollfreak'.

Im Februar wird Max' Situation so unerträglich, dass er weiß, „ich muss jetzt was tun". Als er in der Klinik in Königstein ankommt, hat er über vier Jahre Tablettensucht hinter sich. Die ersten Tage dort sind für ihn „schrecklich". Der Entzug verursacht Schwindel und Schmerzen. Nur langsam wird es besser. „Wir mussten in der Klinik trotz allem sehr viel lachen, wir waren eine tolle Gruppe". Zu seinen Kliniknachbarn hält er weiterhin Kontakt.

Die Zettelwand

Das Schreiben liegt Max am Herzen. In einem Fernstudium hat er sich Grundlagen erarbeitet: Wie baue ich ein Buch auf, was mache ich, wenn ich feststecke? Wenn er schreibt, arbeite er intuitiv, sagt Max, Aber er habe auch einen ‚Zettelkasten': Ideenfetzen, Funken, festgehalten auf Papier. „Und das hängt dann alles bei mir an der Wand. Wie bei einem Verrückten", sagt er und lacht.

Der Entschluss zum ‚Migräne-Buch' fiel bei Max während des Klinikaufenthalts. „Ich wollte meine Erfahrung verarbeiten. Eine Art Aufzeichnung für mich." Ein zweiter Auslöser war die Werbung für den Young Storyteller Award - die Max einen Monat vor Einsendeschluss bemerkte. Knapp, auch wenn die Einsendungen eine gewisse ‚Kürze' haben müssen: zwölf bis 17 Kapitel, jedes Kapitel maximal 2.500 Zeichen. „Überschaubar", sagt Max heute. „Ein guter Rahmen für ein erstes Buch." Das wurde auch beim Young Storyteller Award bemerkt, wo es „Migräne, Mörderpuppe" unter die Top 100 der besten Bücher aus Tausenden von Einreichungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz schafft.

Sein erstes Buch „Migräne, Mörderpuppe" soll aber nicht alleine bleiben. „Ich habe Blut geleckt", sagt Max. Einen Historienroman über drei queere Menschen in drei unterschiedlichen Zeiten will er schreiben. „Und gerne auch was im Genre Horror." Als Autorenname ist auf „Migräne, Mörderpuppe" übrigens Max Ferdinand Waldmann genannt. Waldmann ist dabei ein Pseudonym: in Erinnerung an Max' Großvater, der es nicht mehr schaffte, sein Buch über den 2. Weltkrieg vor seinem Tod zu veröffentlichen.

Inzwischen hat Max seinen Job als Sozialpädagoge gekündigt, seinen Vorsitz im Landsberger Verein „VIVA Randerscheinungen" abgegeben. Auch im Privaten ist er konsequent. Wenn ihm ein Treffen zu viel wird, sagt er ab. „Und als Begründung muss ein ‚Ich schaff's heute nicht' reichen." Max will weg von der Idee, ständig aktiv sein zu müssen. „Dieses ‚du musst leisten, dich darstellen' darf nicht zur Identitätsaufgabe werden."

Nicht nur beruflich ist Max jetzt „in der Orientierungsphase", wie er sagt. Auch im Umgang mit der Migräne sucht er seinen Weg. Eine Tablettenobergrenze - maximal fünf pro Monat - hat er sich gesteckt. Gegen die Geräusche der Umwelt, die Migränekranke schlecht filtern können, stecken Ohropax im Bauchbeutel, ein Kopfhörer baumelt am Hals. Mehrmals täglich praktiziert Max progressive Muskelentspannung.

Almo ist derweil aus dem Bauchbeutel ausgezogen. Den Platz hat ein anderes Migränemittel eingenommen. Ein Müsliriegel. Gegen den Unterzucker.

Zum Original