Susanne Greiner

Journalistin, Landsberg am Lech

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Artikel

Von der Politik vergessen

Landsberg- Die Welt lebt auf Kosten der nächsten Generation. Würden alle so leben wie wir in Deutschland, bräuchten wir drei Erden: Letztes Jahr war ‚Earth overshoot Day' für Deutschland Anfang Mai - 1970 war es noch der 29. Dezember. Dass es angesichts des Klimawandels so nicht weitergehen kann, wissen alle. Entscheidungen in der Politik vermisst man - vor allem die Generation, die mit den Folgen der aktuellen Poli­tik leben muss. Zwei davon sind Liam Sauer und Vincent Regnier. Liam engagiert sich bei Fridays for Future, Vincent im Landsberger Jugendbeirat.

„Die Politik kümmert sich nicht um uns", sagt Liam Sauer (18). Er wolle nicht, dass die ältere Generation seine Welt zerstöre, „wir müssen ja damit leben". Deshalb engagiert er sich, seit 2015 als Klimabotschafter bei Plant for the Planet und bei der Landsberger Abteilung von Fridays for Future, deren Reaktivierung im Herbst letzten Jahres Liam mit angestoßen hat. Eine erste Demo gab es schon: ein Trauerzug, in dem Lützerath zu Grabe getragen wurde - das Dorf, das erst letzte Woche für den Kohle­abbau von RWE geräumt wurde. Die Resonanz auf die Demo sei positiv gewesen, sagt Liam. Weitere Demos seien geplant.

Für Vincent Regnier (19) waren die ersten FFF-Demonstrationen ein Auslöser. Danach ließ er sich für den Jugendbeirat aufstellen und wurde gewählt. Der Beirat habe vieles geleistet, auch dank Juze-Leiter Matthias Faber. Dank des Beirats gebe es noch den Skaterpark, sagt Vincent. Und auch der Klimanotstand Landsberg sei auf Betreiben des Beirats erklärt worden. „Jetzt muss das Thema Klima bei jeder Entscheidung im Stadtrat mit berücksichtigt werden." Das Problem fehlender Maßnahmen macht auch Vincent am Alter der Politiker und der daraus resultierenden „eingeschränkten Sicht" auf das Thema Umwelt fest: „Meine Sicht ist sicher auch eingeschränkt. Aber es sollten doch die Sorgen von allen aufgenommen werden."

Die aktuelle Politik macht die beiden traurig. „Frustrierend", sagt Liam, schließlich sei schon seit Jahrzehnten bekannt, „was schiefläuft". „Demotivierend" findet es Vincent beispielsweise, dass jetzt der Fahrradweg in der Katharinenstraße entfernt wird: „Wir im Beirat setzen uns gerade für die Jugendlichen ein, die fahren meistens alle Rad." Deshalb werde man einen Antrag stellen, dass der Radweg auch bergauf wieder kommt.

Radikale Maßnahmen?

Dass auf Umwelt-Probleme über Demonstrationen und/oder Arbeit in Gremien aufmerksam gemacht werden soll, ist für beide der richtige Weg. ‚Klebeaktionen' der „Letzten Generation" halten sie nicht für zielführend, „auch wenn ich jeden verstehen kann, der aus purer Verzweiflung zu radikalen Maßnahmen greift", sagt Liam. „Friedliche Aktionen bringen ja offensichtlich nichts." Dennoch, die Aufmerksamkeit auf das Thema Klima sei ja bereits da. Radikale Aktionen hingegen brächten womöglich auch die dem Thema gegenüber positiv Eingestellten gegen den Klimaschutz auf.

Auch für Vincent überwiegt bei den Aktionen der Letzten Generation das Negative. Allerdings mache ihm Sorgen, wie die bayerische Regierung auf die Letzte-Generation-Aktionen reagiere. „Das geht dann doch einen Schritt zu weit." Es sei ja letztendlich immer noch friedlicher Protest.

Dringendsten Handlungsbedarf sehen Liam und Vincent beim Verkehr: mehr Radwege, weniger Parkplätze, Förderung der E-Mobilität. Besonders im Fokus steht bei ihnen der ÖPNV: Der sei aktuell zu teuer und schlicht nicht praktikabel. Niemand fahre freiwillig mit dem Zug über drei Stunden, wenn er mit dem Auto nur eine halbe brauche. „Das 49-Euro-Ticket ist sicher ein Anfang, besser wäre aber ein 29-Euro-Ticket - oder wieder das 9-Euro-Ticket", sagt Liam, als ‚sozialer Gleichmacher': Für Hartz-IV Empfänger seien auch 49 Euro zu viel. Vincent sieht als effektive Maßnahme eine deutlich höhere CO2-Steuer, was natürlich für Politiker nicht attraktiv sei: „Die Leute wählen und handeln nach dem Geldbeutel." Für Landsberg sieht Vincent schwarz. Die meisten Jugendlichen sähen die aktuellen Entwicklungen kritisch und wollten weg. „Diese Stadt wird sterben", prognostiziert er.

Der Ausbau erneuerbarer Energien ist beiden wichtig. Und für den Übergang, „bis Fusions­energie oder bessere Akkus da sind", setzt Vincent auf das seiner Ansicht nach ‚notwendige Übel' Atomstrom - selbst wenn man dafür neue Kraftwerke bauen müsse. Liam betont hingegen: „Man hat früher leider die Wind- und PV-Anlagen vernachlässigt." Dennoch hält er Atomstrom nicht für nötig. Was hingegen die Endlagerung des Atommülls angehe, funktioniere das in Ländern wie Finnland ja auch. Liam und Vincent hätten keine Bedenken, wenn ein Endlager in ihrer Nähe sei. Was in 100 Jahren damit passiere, könne man nicht sagen. Vielleicht sei bis dahin ja auch ein weitaus schnellerer Abbau der Radioaktivität technisch möglich, sagt Vincent.

Generell, da sind sich beide einig, gehe Umwelt­arbeit aber nicht ohne soziale Gerechtigkeit. „Der Klimaschutz wird den Endverbraucher belasten, ganz extrem ärmere Menschen", sagt Liam. „Reiche können sich trotzdem immer noch alles leisten."

Von den Parteien sind Liam und Vincent nicht gerade begeistert. Die Einstellung der Grünen gegen Atomstrom schreckt Vincent ab. Die FDP sehe das große Heil in der Privatisierung von allem und „die CSU ist eben die CSU". Eventuell die SPD. Und für Liam wären die Grünen „am ehesten passend. Die bauen immer noch am wenigsten Mist." Aber vieles ihrer aktuellen Politik will er nicht mittragen.

Beruflich werden die beiden Landsberger nicht in die Politik gehen. Da verliere man zu schnell seine Ideale. Liam wird Heilpädagogik studieren, Vincent BWL - wohl in den Niederlanden, schon allein wegen des gut ausgebauten Radwegenetzes. Für die Umwelt und gegen die Zerstörung ihrer Welt wollen sie sich beide weiterhin engagieren.

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