Susanne Greiner

Journalistin, Landsberg am Lech

1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Idol und Großmaul Jennerwein

Landsberg - Idol und Freiheitskämpfer oder Weiberheld und Großmaul? Weiß man's, würden Vertreter des hehren Jennerwein-Vermächtnisses sagen. Wie auch immer, aussagekräftige Dokumente außer dem Gerichtsurteil gibt es nicht. Dass die Figur sicher zwiespältig zu sehen ist, lassen auch Johanna Bittenbinder, Heinz-Josef Braun und Stefan Murr in ihrem Live-Hörspiel „Jennerwein" spüren. Großartig und humorvoll-satirisch untermalt wird der Auftritt im Stadttheater am Samstag vom Art Ensemble of Passau. Ein runder, spannender und absolut mitreißender Abend, den die Kleinkunstbühne s'Maximilianeum zum Abschluss seines 30-jährigen Jubiläums feierte.

Dass der Wilderer Georg Jennerwein, liebevoll Girgl genannt, seine Jagdbeute mit den Armen geteilt hat - ungewiss. Dass er gegen die ‚Großkopferten' wetterte - weiß keiner wirklich. Aber es gibt das Jennerwein-Lied. Und weil eben in den Bergen die Freiheit wohnt und Legenden über fingierte Selbstmorde in Bayern gerne Anklang finden, landet am Todestags des Wilderers, am 6. November, öfter mal ein Kranz auf Jennerweins Grab im Westernhofener Friedhof. Diese Zwiespältigkeit der Figur bringen Murr und Braun als Autoren des Hörspiels, das des Wilderers Leben von der Wiege bis zur Bahre erzählt, immer wieder auf den Punkt. Erzählen im tiefsten (und für Nicht-Muttersprachler einhörungsbedürftigem) Bairisch, wie der Girgl als uneheliches Kind von Mitschülern gemobbt wird - und später die Mutter seiner Tochter ebenfalls im Stich lassen wird. Lassen seine Großmauligkeit und Selbstüberschätzung in lebendigen Wirtshausdialogen und derben Gstanzerln aufleben - setzen aber den Startpunkt seines Wilderns in das Empfinden der Ungerechtkeit, das Jennerwein beim Anblick einer Jagdgesellschaft der ‚Großkopferten' überfällt. Und natürlich in das Aufbegehren gegen ‚die da oben', wegen deren Erbstreitigkeiten ein Krieg ausbricht, der die kleinen Leute verheizt. Ein Krieg, in dem Jennerwein auch seinen - zumindest der Legende nach - späteren Mörder Pföderl als Freund kennenlernt. Der wiederum wird laut historischer Akte zu acht Monaten wegen Körperverletzung verurteilt. Der Legende nach treiben ihn aber seine „inneren Dämonen" in den Alkohol und anschließenden Tod.

Das Hörspiel ist ein mitreißendes Spiel mit Legende und Wahrheit, umgesetzt durch drei hervorragende Sprecher, die weder krakeelen noch Grimasse schneiden müssen, um dem Zuschauer alle Figuren plastisch zu Ohren zu bringen. Braun übernimmt mit unverwechselbar präziser Sprache die eher biederen Rollen wie die des feigen Oberförsters Mayr oder eben die des Jennerwein-Mörders. Murr gibt vor allem den draufgängerischen Girgl, der als äußerste Geste seine zwei Protagonisten ab und zu misstrauisch beäugt - die ihrerseits stets im sturen Blick nach vorne stieren. Und Bittenbinder ist draufgängerische Wirtshausbedienung, leidenschaftlich stöhnende Beischläferin Jennerweins oder auch hinhaltend-scheues und letztendlich sitzengelassenes Agerl.

Die vier Musiker des Art Ensemble of Passau (Leo Gmelch, Peter Tuscher, Yogo Pausch und Florian Burgmayr) setzen mit Geräuschen und kurzen Musik-Einwürfen Stimmungs-Momente, die Ennio Morricone in nichts nachstehen. Oder sie begleiten mit Gstanzerlmusik, Rumba oder gar Dixie-Jazz die Sprecher.

Nach „Tannöd" (2019 im Stadttheater) beweist das Ehepaar Bittenbinder-Braun mit Murrs Unterstützung samt „vogelwilder Musik" der Passauer wieder einmal, dass Sprache und Musik plastischere Bilder erzeugen als selbst bestes Kino.

Zum Original