Susanne Greiner

Journalistin, Landsberg am Lech

1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Neues Globe Theater: Her mit den Visionen!

Landsberg - Während eines Theaterbesuchs kann viel passieren. In Polen explodieren Raketen. Trump tritt erneut an. Und wenn am Ende die Realität wieder übernimmt, zerfließen die Bühnen-Welten zu „dünner Luft". Oder nicht? Immerhin sind wir laut Shakes­peare aus „solchem Stoff, aus dem man Träume macht" - und brauchen deshalb die Kultur. Denn gegen Sinnlosig­keit, bestehend aus Mühsal und Tod, hilft nur eines: Visionen. Diesem Ideal eifert das Potsdamer Neue Globe Theater in seiner „Sturm"-Inszenierung nach. Mit Erfolg, fand auch das Publikum im ausverkauften Stadttheater.

Wobei zu beachten ist: Es geht nicht nur um lapidare Träumerei. Titelheld Prospero, wörtlich übersetzt der Glücksbringer, überlässt als Herzog von Mailand die schnöden Staatsgeschäfte dem Bruder Antonio und widmet sich lieber den schönen Künsten: natürlich dem Theater, sagt Shakespeare, aber auch den Büchern. Denn die schaffen Visio­nen und somit Macht über das, was der Mensch im Kopf hat. Bei Shakespeare wird daraus Prosperos Macht über die Geister - also über die Natur samt der in ihr lebenden Menschen.

Das Neue Globe Theater verwendet in seiner Inszenierung die Fassung von Joachim Lux: „Der Sturm" als Dreipersonenstück, dessen Handlung Prospero, Hexensohn Caliban und Windgeist Ariel durch das ‚Spiel im Spiel' erzählen: Die drei und Prosperos Tochter Miranda sitzen seit zwölf Jahren auf einer Insel. Prosperos Bruder Antonius wollte die Macht nicht teilen und schickte den Schöngeist ins Meer. Der gestrandete ‚Glücksbringer' ist indessen Inselkönig. Über Caliban herrscht Prospero mittels magischer Folter. Ariel hat er mit Magie aus einem Felsspalt befreit und sich zu Untertan gemacht. Nicht zu vergessen: Diese Magie ist das Wissen aus Büchern.

Im „Sturm" fährt Shakespeare Elisabethanisches Theater in Vollversion auf: Illusion, Intrigen, Liebe, Philosophie und letztendlich Läuterung. Natürlich ist auch die Narren-Episode in Form betrunkener Seemänner dabei, auch die große Liebe, die Miranda und Ferdinand in Shakespeare-haft rosarot-übertriebene Wolken packt. Wobei Ferdinand, schließlich soll die Versöhnung überbordend sein, kein geringerer als der Sohn von Pros­peros Erzfeind Alonso ist.

Mit Lux' Kniff des ‚Spiels im Spiel' lässt Prospero seine zwei Diener die Handlung schauspielend erzählen. Caliban, den Marius Mik ganz in weiß trotz böser Hexenbrut - sein Name ist nicht umsonst ein Anagram von Canibal -, ohne Schnörkel spielt, ist dabei widerwilliger Mime, der seine wilde Natur soweit wie möglich unter Prosperos Scheffel auslebt: „Du lehrtest mich sprechen und mein Gewinn ist: Ich kann fluchen." Caliban ist der ernste Charakter, ohne Prosperos Sarkasmus, der sich, ganz menschlich, ins Träumen flieht - und schreit, wenn er erwacht, „weil ich weiter träumen will".

Ariel hingegen ist Prospero hündisch ergeben, wirft für seine Rolle Nebel- und Regenmaschine an und schenkt am Ende „gute Winde" für Prosperos Heimkehr, bevor er sich selbst auflöst - in der Inszenierung ein bühnenumgreifender Seifenblasenwirbel. Laurenz Wiegand verkörpert Ariel mit Streberbrille, zerzauster Perücke und Windfähnchen am Arm grandios beflissen. Den Herrscher selbst mimt Globe-Urgestein Andreas Erfurth wie immer bestens, ausgestattet mit Zauberstab, Magier-Mantel und John-Lennon-Sonnenbrille. Und die Macht dieses intellektuellen Magiers ist groß, treibt sie doch den ungemein männlichen Caliban dazu, sich mittels weißer Glitzerschärpe in Miranda zu verwandeln, als die er süßholzraspelnd in großer Liebe entbrennen muss, bevor ihm Prospero am Ende die Freiheit schenkt. Und Ariel macht sich gern gänzlich zum Affen - oder besser zur Harpyie, die Wiegand unter Szenenapplaus hysterisch geifernd mimt.

Damit die Rollen in diesem mit reichlich Personal ausgestatteten Stück von drei Personen gespielt werden können, streicht Lux zudem radikal. Und Regisseur Kai Frederic Schrickel zeigt manch Figur nur als Requisite: König Alonso ist nur Krönchen, Miranda stummer Umhang. Ebenso reduziert ist das Bühnenbild: Nur ein Bild eines in Wogen taumelnden Segelschiffes erinnert an Insel, dazu kommen Tische und Stühle auf Rollen - nicht zu vergessen das klirrende Windspiel für Ariels Auftritt. Der Schwerpunkt haftet, wie immer bei dem Potsdamer Theater, am Text.

Das Neue Globe entführt mit seinem „Sturm" eineinhalb Stunden auf die hoch unterhaltsamen Wogen der Komödie. Aber das Spektakel samt Happy End soll nicht nur den Augen­blick versüßen, sondern wirken - nachhaltig. Da darf man dann zu den großen Worten wie Liebe, Frieden und Weisheit greifen. Denn auch wenn „wolkenhohe Türme, Paläste und der große Erdball selbst" ohne Spur verschwinden werden und „unser kleines Leben" ein Schlaf beginnt und schließt: Es geht schließlich um Visionen.

Zum Original