„Die Chefredaktion"-Chefredakteurin Melisa Erkurt arbeitet seit Jahren journalistisch, unter anderem für die „taz" und das Magazin „Report" beim ORF. Daneben arbeitete Erkurt als Lehrerin und war mit einem Journalismusprojekt an Wiener Brennpunktschulen unterwegs. Wir haben sie gefragt, was ein Medium jung macht, wie die Medienbranche diverser wird und wieso Journalismus heute keine Homepage mehr braucht.
fluter.de: Melisa, du hast als Lehrerin und Journalistin mit jungen Menschen gearbeitet. Warum denkst du, dass es Medien braucht, die extra für sie produziert werden?
Melisa Erkurt: Junge Menschen gehören nun mal zur Gesellschaft. Deshalb wollen wir sie nicht nur informieren, sondern auch abbilden. In meinem vorherigen Job beim ORF lag das Durchschnittsalter der Zuschauer:innen bei 55 Jahren. Viele Medienschaffende denken, dass junge Menschen, sobald sie alt genug sind, schon irgendwann anfangen, Medien zu konsumieren. Das glaube ich nicht. Junge Menschen konsumieren auch im erwachsenen Alter keine Medien, wenn sie ohne Journalismus aufgewachsen sind. Viele müssen wir erst an den Journalismus heranführen.
Wir beobachten, dass sich das Storytelling mit Instagram verändert hat. Unsere Zielgruppe will sich mit den Menschen in unseren Geschichten identifizieren. Also erzählen wir die Geschichten aus der Perspektive junger Menschen und versuchen, immer Expert:innen mit Migrationsgeschichte zu finden.
Unsere zehnminütige Dokumentation über mentale Probleme bei Jugendlichen in der Corona-Krise wurde beispielsweise echt oft angeschaut, trotz ihrer Länge. Solche Videos lassen sich ja gut unterwegs in der U-Bahn schauen. Wenn junge Menschen etwas interessiert, bleiben sie dran. Sie schauen sich schließlich auch 20-minütige Vlogs auf YouTube an, in denen weit weniger passiert.
Erst mal fände ich es gut, wenn wir auch die vermeintlich aufgeklärten Bubbles erreichen. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob sich in denen alle medial repräsentiert fühlen, wenn auf jedem zweiten Cover der Sinn des Gender-Sternchens infrage gestellt oder fantasiert wird, dass „man heute nichts mehr sagen darf". Leute jenseits dieser medial geschulten Bubbles erreicht man vor allem durch die richtigen Protagonist:innen und Themen, denken wir. „Die Chefredaktion" lebt aber auch von ihrem Community-Management: Wir schreiben mit unseren Leser:innen, beantworten die DMs. Auch das gehört zum Journalismus.
Ich dachte erst, dass eine Homepage sinnvoll wäre. Dann hat mir das Team gesagt, dass sie keine brauchen. Bisher haben mich tatsächlich auch ausschließlich Menschen über 30 gefragt, wieso wir keine Website haben. Aktuell nutzen wir unser begrenztes Budget lieber für faire Honorare.
Wir haben eine Förderung der Wiener MEGA Bildungsstiftung in Höhe von 200.000 Euro erhalten, wollen aber ein Supportermodell aufbauen. Wer uns mit einem monatlichen Beitrag unterstützt, fördert den Medienkonsum von Jugendlichen und hilft, unser Angebot für unsere Zielgruppe kostenfrei zu halten. Ich denke aber auch über ein Konzept nach, das es uns ermöglicht, auf Instagram zu werben. In den Printmedien ist es ja seit Jahrzehnten ganz normal, Anzeigen abzudrucken. Die Werbefinanzierung auf Instagram hat sich dagegen auch bei etablierten Medien noch nicht durchgesetzt. Wir wollen natürlich kein Produkt in die Kamera halten wie Influencer:innen, aber irgendwie sollte es doch möglich sein, Werbeplatz zu verkaufen, der sich nicht auf unsere journalistische Glaubwürdigkeit auswirkt.
Früher dachte ich immer, dass alles besser wird, sobald dort mehr Menschen mit Migrationsgeschichte arbeiten. Dann war ich selbst eine davon und habe gemerkt, dass man als einzelne Person nichts verändern kann: Deine Vorschläge gehen immer durch mehrere Entscheidungsebenen, und die letzte Instanz ist in der Regel ein weißer Mensch ohne Migrationsgeschichte und aus bildungsbürgerlichem Elternhaus. Diversität muss also in den Führungsebenen ankommen, damit die Medien tatsächlich die Gesellschaft spiegeln, das gilt für Österreich genauso wie für Deutschland.