Steven Meyer

Freier Autor und Journalist, Berlin

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Kontaktabbruch zwischen Eltern und Kindern: Mama, Papa, es ist aus mit uns

Mama und Papa: Meist sind sie unsere ersten Bezugspersonen, und bleiben es häufig ein Leben lang. "Im Gegensatz zur Trennung von einem Partner oder einer Partnerin können wir uns keine neue Mutter und keinen neuen Vater suchen", sagt Barbara Lubisch, stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung. Aus ihrer Arbeit als systemische Therapeutin weiß sie, dass Menschen in der Regel nur in schwerwiegenden Fällen den Kontakt zu Familienmitgliedern abbrechen. "Familien halten lange zusammen - manchmal sogar zu lange."


Was muss passieren, damit man sich dennoch von den Eltern trennt? Zwei Menschen erzählen, warum sie diesen Schritt gegangen sind - und wie es ihnen heute damit geht.


Alma, 31, die eigentlich anders heißt, hat keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater:

"Ich hatte nie ein gutes Verhältnis zu meinem Vater. Als ich zwei Jahre alt war, ließen sich meine Eltern scheiden. Mein Vater kam gar nicht mit der Trennung zurecht. Er hatte immer nur seinen Job und seine Familie gehabt. Nun fiel das Vater-Mutter-Kind-Bild und damit ein großer Teil seines Lebens in sich zusammen.


Nach der Scheidung war er der klassische Wochenendvater, allerdings mit starkem Alkoholproblem. Die ersten drei Gläser war er lustig drauf, danach kippte seine Stimmung. Er wurde beleidigend, ausfallend, erzählte vom Sex mit meiner Mutter und redete schlecht über sie. Irgendwann fing ich immer an zu weinen, woraufhin er mich als 'hysterisches Mädchen' bezeichnete.


Als ich 16 war, beging meine Mutter Suizid. Am Tag, an dem mein älterer Bruder und ich davon erfuhren, mussten wir uns um unseren Vater kümmern. Dabei waren wir selbst am Boden zerstört. Er aber war komplett besoffen und führte sich auf wie ein trauernder Witwer. Er erwarb sogar die Rechte an einer Grabstelle für meine Mutter, obwohl meine Eltern sich hassten.


Etwa zwei Jahre später wollten mein Bruder und ich ihm das Grab abkaufen, doch er weigerte sich. Nach einem Streit erhielten wir dann einen Brief von einer Anwältin. Darin stand, dass mein Vater sich von uns bedroht fühle, er seine väterlichen Pflichten ablege und den Kontakt zu uns abbrechen wolle. Unterhalt zahlte er aber weiterhin.


Insgeheim war ich froh darüber. Ich hatte selbst häufig darüber nachgedacht, den Kontakt abzubrechen. Meinen Vater scheinen seitdem aber immer wieder Zweifel an seiner Entscheidung zu überkommen. Hin und wieder schreibt er mir SMS, aber auf die reagiere ich nicht. Von meinem Bruder, der immer mal wieder mit meinem Vater redet, weiß ich, dass ihn das wahnsinnig macht. Ich habe für mich entschieden, dass ich den Kontakt nicht mehr möchte.


Ich will meinem Vater nicht einfach so eine Absolution erteilen. Damit überhaupt wieder eine Beziehung entstehen könnte, müssten wir die Vergangenheit gemeinsam aufarbeiten. Aber selbst da wäre ich nicht sicher, ob das klappt. Meine Mutter vermisse ich häufig, es vergehen aber oft Wochen, in denen ich gar nicht über meinen Vater nachdenke. Ich bin glücklicher ohne ihn."


Bei Dominik, 31, scheiterte ein Versöhnungsversuch mit seiner Mutter:

"Meine Mutter kam nie damit klar, dass ich schwul bin. Sie war besessen von religiösen und spirituellen Verschwörungstheorien und dachte, dass meine Homosexualität nicht dem Plan der Schöpfung entspreche. Nach meinem Outing kam es deshalb immer und immer wieder zum Streit. Meine Mutter führte alle Konflikte auf meinen angeblich unnatürlichen Lebensstil zurück.


Nach einem Streit an Weihnachten,ich war damals 23 Jahre alt, beschloss ich, den Kontakt zu meiner Mutter abzubrechen. Mein Stiefvater wollte nicht zwischen den Stühlen stehen, also redeten wir auch nicht mehr miteinander. Anfangs kamen noch vereinzelte Nachrichten von meiner Mutter, auf die ich aber nicht reagierte. Angerufen hat sie nie.


Zuerst ging es mir schlecht. Je mehr Zeit verstrich, desto besser fühlte ich mich aber. Ich bin heute noch davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war - auch wenn es wehtat.

Ein Jahr später starb meine Mutter. Sie hatte Metastasen im Körper und wollte keine Chemotherapie. Vor ihrem Tod besuchte ich sie noch einmal. Ich wollte unsere Streitigkeiten hinter mir lassen. Doch selbst da machte sie meine Sexualität zum Thema. 'Dein Lebensstil ist verantwortlich für meine Krankheit', warf sie mir vor. Das tat weh, doch ich versuchte, es nicht an mich heranzulassen.


Im Nachhinein denke ich, sie liebte mich insgeheim trotzdem, stand sich mit ihrem Glauben aber selbst im Weg. Über ihren Tod war ich zwar traurig, aber auch erleichtert. Nun musste ich mich vor niemandem mehr für meine Gefühle rechtfertigen. Und noch etwas hat sich geändert: Ich habe seither ein gutes Verhältnis zu meinem Stiefvater, er hatte wohl nie ein Problem mit meiner Homosexualität. Er hat mir gesagt, dass mein zukünftiger Partner und ich bei ihm immer willkommen sind."

Wie die Therapeutin solche Fälle erlebt

Jede Familie ist unterschiedlich, und auch die Gründe für einen Kontaktabbruch können unterschiedlich sein, wie Almas und Dominiks Geschichten zeigen. Doch Therapeutin Barbara Lubisch berichtet, dass Betroffene in der Folge oft mit ähnlichen Gefühlen kämpfen.

"Es kommt häufig vor, dass Menschen die Entscheidung immer wieder hinterfragen und selbst nach Jahren nicht sicher sind, ob sie richtig war." So wie Almas Vater suchten die zurückgewiesenen Menschen doch wieder Kontakt. "Das macht es nicht leichter."

Alma und Dominik sind überzeugt, dass die Trennung von ihren Eltern das Richtige war. Doch wenn sich Schuldgefühle und Zweifel häufen, rät Lubisch Betroffenen dazu, die Beziehung fortwährend zu reflektieren: "Ich bin mir sicher, dass es sich lohnt, Entscheidungen wie diese mit etwas Abstand zu überprüfen."


"Situationen können sich verändern und eine Versöhnung in manchen Fällen wohltuend für das weitere Leben sein."


In ihrer Arbeit als Familientherapeutin erlebt Lubisch häufig, dass Kontaktabbrüche Abbrüche auf Zeit sind. Manchmal gelinge es Patientinnen und Patienten nach Jahren, wieder eine Beziehung zu Familienmitgliedern aufzunehmen. "Situationen können sich schließlich verändern und eine Versöhnung in manchen Fällen wohltuend für das weitere Leben sein."

Ein Gefühl teilen Lubisch zufolge die meisten Betroffenen nach einem Kontaktabbruch: Trauer - die ein Leben lang bleiben kann. "Unabhängig davon, ob es die richtige Entscheidung war oder nicht, handelt es sich bei einem Kontaktabbruch um einen Verlust."

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