Steven Meyer

Freier Autor und Journalist, Berlin

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Artikel

Polen schafft "LGBT-freie Zonen", Städtepartner schauen weg

Knapp ein Drittel Polens hat sich inzwischen zur "LGBT-freien Zone" erklärt: Städte und Gemeinden zeigen sich offen homo- und transfeindlich, darunter auch Partnergemeinden von Berlin und Brandenburg. Doch diese halten an der Zusammenarbeit fest. 


Ein Atlas des Hasses [atlasnienawisci.pl] polnischer Aktivisten zeigt, welche Verwaltungsbezirke, Städte und Gemeinden in Polen ihre homo- und transfeindliche Seite zeigen oder darüber nachdenken: Aktuell haben sich knapp 100 Lokalregierungen zu sogenannten "LGBT-freien Zonen" erklärt.


Die Kampagne wurde Anfang 2019 von der rechtskonservativen Wochenzeitung Gazeta Polska gestartet. Die Stadt Świdnik in Südostpolen schloss sich als erste an und erklärte im März 2019, Kinder und Familien vor "homosexueller Propaganda" und moralischem Verfall schützen zu wollen. All die anderen lokalen Behörden, die Świdnik folgten, haben entweder ähnliche Erklärungen übernommen oder eine Charta der Familienrechte unterzeichnet. Diese Charta wird nach Angaben des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien von einem ultrakonservativen Think-Tank beworben, der sich gegen "Gender- und LGBT-Ideologie" engagiert [zois-berlin.de].


Polen und Deutschland pflegen als EU-Partner traditionell enge Beziehungen: Deutschland ist Polens wichtigster Handelspartner. Umgekehrt steht Polen an sechstwichtigster Stelle für Deutschland [polen.diplo.de]. Doch nicht nur wirtschaftlich sind beide Länder bedeutend füreinander. Es bestehen auch hunderte Städtepartnerschaften: In Brandenburg gibt es mindestens 65 Partnerschaften [rgre.de] auf kommunaler Ebene zu Polen, von denen mindestens zwei zur selbst erklärten "LGBT-freien Zone" gehören: Die Brandenburger Stadt Hohen Neuendorf kooperiert mit Janow Podlaski und der Landkreis Oberhavel mit Biała Podlaska. Außerdem liegen drei Partnerstädte des Berliner Bezirks Steglitz-Zehlendorf in der homo- und transfeindlichen Zone: Nałęczów, Poniatowa und Kazimierz-Dolny.


In Steglitz-Zehlendorf ist der stellvertretende Bezirksbürgermeister, Michael Karnetzki (SPD), zuständig für die Partnerschaften seines Bezirks. Den Stadtverordneten der Städte Kazimierz-Dolny und Nałęczów könnten die genannten Beschlüsse nicht zur Last gelegt werden, erklärt er auf Anfrage von rbb|24. "Das wäre so, als würde man jede bayerische Gemeinde direkt verantwortlich für Beschlüsse der bayerischen Staatsregierung machen." Der Hintergrund: Die Städte Kazimierz-Dolny und Nałęczów haben selbst keine Anti-LGBT-Beschlüsse gefasst, sie gehören aber zur Woiwodschaft Lublin und Kazimierz-Dolny außerdem zum Landkreis Pulawy, die jeweils eigene Beschlüsse gefasst haben und sich zu sogenannten "LGBT-freien Zone" erklärt haben.


Anders verhält es sich dagegen mit der Partnerstadt Poniatowa, in der sich der Stadtrat im August 2019 dazu entschied, sich zur sogenannten "LGBT-freien Zone" zu zählen. Das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf reagierte mit einer Pressemitteilung [berlin.de], distanzierte sich und verurteilte die Entscheidung. Der Beschluss des Stadtrats sei nicht vertretbar mit dem verbindenden Geist der Städtepartnerschaft. Der Bezirk forderte die polnischen Behörden nachdrücklich dazu auf, diese Handlungen zu verurteilen und alle Entschließungen zurückzuziehen, in denen die Rechte der queeren Bevölkerung angegriffen werden.


Doch denkt der Bezirk auch darüber nach, die Partnerschaft zu beenden? Karnetzki erklärt auf Anfrage, dass eine Städtepartnerschaft zwar schnell aufgekündigt sei, sie aber niemals wieder aufgebaut werden könne. Eine Drohung mit der Kündigung sei also der bequemere Weg, denn sie bleibe ein einmaliger symbolischer Akt ohne nachhaltige Wirkung. Das Bezirksamt wolle sich vielmehr weiterhin mit dem Thema auseinandersetzen. Die richtigen Diskussionskanäle und -formate dazu seien allerdings noch nicht gefunden.


Zwar sind die Entscheidungen der polnischen Lokalregierungen, sich als "LGBT-freie Zone" zu bezeichnen, symbolisch und juristisch also nicht relevant [mdr.de]. Die Botschaft ist dennoch eindeutig und fatal für die queere Community. Die EU-Gleichstellungskommissarin Helena Dalli warnte, dass solche Beschlüsse schnell zu physischer Gewalt führen könnten.

Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland forderte im April 300 deutsche Städte und Gemeinden [lsvd.de] dazu auf, Haltung zu zeigen. Die Städtepartnerschaften sollen für eine Verbesserung der Situation genutzt und im Falle des Scheiterns vorübergehend ausgesetzt werden. Die Stadt Hohen Neuendorf und der Landkreis Oberhavel haben nach Angaben des Verbands bisher nicht auf das Schreiben reagiert. Wie setzen sich die beiden Verwaltungseinheiten in Brandenburg also mit den sogenannten "LGBT-freien Zonen" auseinander?


Die Stadt Hohen Neuendorf unterhält seit 1995 eine Partnerschaft mit der Stadt Janow Podlaska, die zur Woiwodschaft Lublin gehört. Ähnlich wie bei den Städten Kazimierz-Dolny und Nałęczów gehört Janow Podlaska also aufgrund eines Beschlusses der Woiwodschaft zur selbst erklärten "LGBT-freien Zone".


Hohen Neuendorf hat noch keinen Kontakt zu seiner polnischen Partnerstadt aufgenommen. Eine Kündigung der Partnerschaft sei auch nicht zielführend, erklärt Pressesprecherin Ariane Fäscher auf Anfrage von rbb|24. Vielmehr soll das Thema bei gemeinsamen Treffen besprochen werden - eine Partnerschaft lebe schließlich vom persönlichen Kontakt und der Freundschaft in einer heterogenen Gesellschaft.


Das Thema in Briefen oder Mails zu besprechen, sei derzeit nicht geplant. Da ein Treffen aufgrund der Corona-Krise derzeit auch nicht möglich sei, warte die Gemeinde derzeit ab. "Es gibt keinen Anlass, konfrontativ vorzugehen, wir wollen keine Vorverurteilungen vornehmen", so die Pressesprecherin.


Das EU-Parlament kritisierte die Maßnahmen bezüglich der "LGBT-freien Zonen" in Polen bereits im Dezember 2019 als "Hetze von öffentlichen Stellen und gewählten Amtsträgern". Nun droht die EU-Kommission den Woiwodschaften sogar indirekt mit dem Entzug von Fördermitteln [queer.de]. Manche Gemeinden beendeten nach Berichten von Zeit Online [zeit.de] bereits ihre Partnerschaft, wie die französische Gemeinde Saint-Jean-de-Braye mit der südpolnischen Stadt Tuchów, andere stellen Ultimaten. Es gibt aber auch Stimmen, die eine Beendigung der Partnerschaften kritisch betrachten, unter anderem Theophil Gallo, der Vorsitzende der deutsch-polnischen Gesellschaft im Saarland. Er setzt auf Dialog und findet, dass die Partnerschaften nicht beendet werden sollten.


Der Landkreis Oberhavel pflegt seit 2004 eine Partnerschaft mit dem Landkreis Biała Podlaska. Dieser gehört ebenfalls zur Woiwodschaft Lublin und damit zur selbst erklärten "LGBT-freien Zone". Doch während sich die Stadt Biała Podlaska aktiv dazu entschied, sich der Zone anzuschließen, habe der Landkreis das nicht vor, betont Oberhavels Pressesprecherin Ivonne Pelz auf Anfrage von rbb|24. Das gehe aus internen Gesprächen mit den Partnern hervor. Der Landkreis Oberhavel denke deshalb auch nicht über eine Aufkündigung der Partnerschaft nach. Die vielen positiv wirkenden Kontakte - wie Schulen, Feuerwehren, Musikgruppen oder Kulturvereine - wären hauptsächlich davon betroffen. Es sei außerdem fatal, wenn unterschiedliche Auffassungen zum Kommunikationsabbruch führen würden, so Ivonne Pelz. Es sei aber geplant, das Thema beim nächsten Besuch zu besprechen. Wann dieser stattfinden wird, sei aufgrund der Corona-Krise nicht abzusehen.

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