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Zapfenstreich am Zapfhahn - Warum Tankstellen ihr Sortiment erweitern (müssen)

Momentan gibt es in Deutschland insgesamt 14.562 Tankstellen. Vor 25 Jahren erwirtschafteten die Tankstellen vom Marktführer Aral im Schnitt 39 % ihres Umsatzes durch den Verkauf von Kraftstoff – mehr als durch einen angeschlossenen Shop und die Autowäsche zusammen. Inzwischen ist dieses Verhältnis ein anderes: Nur noch 14 % des Umsatzes kamen 2014 aus dem Kraftstoffverkauf. Der mit Abstand größte Umsatz kommt heute aus dem Shop: Im Schnitt 63 %, vereinzelt bis zu 87 %, ergab eine Branchenstudie aus dem letzten Jahr. Mit Benzin lässt sich bei Weitem nicht mehr so viel Geld verdienen wie mit Zigaretten und Getränken. Aral ist inzwischen sogar Deutschlands größter Verkäufer von Kaffee zum Mitnehmen.


Die Einführung von Shops als Reaktion auf den enormen Gewinnverlust


Axel Graf Bülow, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Freier Tankstellen, erläutert: „Im Jahresschnitt liegt der Gewinn [durch den Benzinverkauf] bei einem Cent je Liter“. Von einer Tankfüllung zum bspw. 50 Liter bleiben dem Betreiber also am Ende grade einmal 50 Cents Gewinn. Damit liegt Deutschland europaweit auf dem vorletzten Platz – nur in Großbritannien verdienen die Betreiber noch weniger pro verkauftem Liter.


Das erklärt auch das enorme Tankstellensterben der letzten 50 Jahre. 1969 gab es knapp 47.000 Tankstellen an Deutschlands Straßen. Damals waren 13 Millionen Autos im Land unterwegs. 2015 sind es 44 Millionen Autos, aber nur noch 14.000 Tankstellen. Während sich die Zahl der Autos also mehr als verdreifacht hat, hat sich die Zahl der Tankstellen mehr als gedrittelt. Eine sonderbare Entwicklung, die eigentlich zu dem logischen Schluss führen müsste, dass heute jeder Tankstellenpächter viel mehr verdient als 1969. So ist es aber gar nicht, denn zum einen hatten Tankstellen früher meist weniger Zapfsäulen und zum anderen ist die Gewinnmarge beim Kraftstoffverkauf in den letzten Jahrzehnten drastisch eingebrochen. Deswegen haben inzwischen mehr als 90 % aller Tankstellen einen eigenen Shop integriert, um den Gewinnverlust aufzufangen. Der mit Abstand größte Teil des Umsatzes aus den Tankstellenshops kommt von Zigaretten und Tabak. Danach folgen Telefonkarten, Getränke – und danach erst käme der Kraftstoffverkauf. Durch den Verkauf von Getränken verdient ein Tankstellenbetreiber mehr als durch die Zapfsäulen! Da ist es nicht verwunderlich, dass die Notwendigkeit des Tankens im Grunde nur noch ein Lockmittel ist. Die teilweise viel höheren Preise im Tankstellenshop werden kompensiert durch die langen Öffnungszeiten und die günstige Anfahrt, so geht es aus der Branchenstudie zum Tankstellenmarkt 2014 hervor. Im Schnitt liegt der Jahresumsatz des Tankstellenshops bei knapp über 900.000 Euro.

Und wie sieht es mit dem Tankstellensortiment im Rest von Europa aus?


Von den 700 Tankstellen in der Slowakei haben 94 % einen angeschlossenen Shop. In Frankreich beherrschen Supermarkt-Tankstellen das Bild. Und in Österreich kooperieren viele Tankstellenshops mit Supermarktketten. Genau das plant Aral nun auch in Deutschland. In die Verkaufsfläche sollen Teile des Sortiments von REWE in Form des bereits in einzelnen Bahnhöfen und Fußgängerzonen etablierten Convenience-Konzepts „REWE to go“ integriert werden. Die To-go-Filialen sind klassische Convenience-Shops, die einen schnellen Einkauf überwiegend verzehrfertiger Produkte zu einem höheren Preis ermöglichen. Die Basis des täglichen Bedarfs kann so im Grunde zusammen mit dem Tanken erledigt werden. Seit Frühjahr 2014 testen Aral und REWE in zehn Tankstellen in Nordrhein-Westfalen, ob das To-go-Konzept beim Kunden ankommt. Wie die im September endende Testphase verläuft, wollten weder Aral noch die REWE Group vorzeitig einschätzen.


Steigende Anzahl von Kooperationen mit Partnerfirmen als Lösung der Umsatzeinbrüche 

 

Die Tendenz hin zur Dienstleistung am Kunden selbst, statt an dessen Auto, zeichnet sich besonders deutlich außerorts ab. Von den über 14.500 Tankstellen in Deutschland befinden sich 353 an den Autobahnen. Der größte Betreiber der Autobahntankstellen, Tank und Rast, legt seit Jahren großen Wert darauf, das Sortiment auszubauen und kooperiert deshalb mit Burger King, McDonalds und Nordsee. Aus der einfachen Tankstelle an der Raststätte wird eine kleine Insel der Ruhe, wo der Reisende essen, entspannen, einkaufen und mitunter sogar übernachten kann. Der Retail-Umsatz von Tankstellen stagniert seit Jahren, deswegen wird an den Autobahnen versucht, den Umsatz durch besondere gastronomische Angebote zu steigern. Dazu gehören aber nicht nur saisonale Angebote wie etwa Pilze oder Spargel. So ging beispielsweise im vergangenen Sommer die Aktion „Ausgewogene Ernährung an Raststätten“ an den Start. Dafür kooperierte Tank und Rast mit „IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und Bewegung“ und der „Deutschen Gesellschaft für Ernährung“.


Und doch reagieren die Tankstellenbetreiber nicht einfach nur auf die Umsatzeinbrüche an der Zapfsäule. Raimund Esser, Pressesprecher der REWE Group erklärt die erwogene Zusammenarbeit mit Aral so: „Das neue Konzept ist unsere Antwort auf eine zunehmend mobile Gesellschaft. Denn die Deutschen sind jeden Tag unterwegs und mehr als die Hälfte ihrer Wege legen sie im Auto oder auf dem Kraftrad zurück.“ Die Gesellschaft ist es also, die die Nachfrage etabliert. Tankstellen müssen ihr Sortiment wegen des niedrigen Kraftstoffumsatzes ohnehin erweitern – warum also nicht eine offensichtlich vorhandene Nachfrage befriedigen?

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