SPIEGEL: Herr Siedentopf, auch in Großbritannien scheint der harte Corona-Lockdown jetzt in die Ferne zu rücken. Können Sie sich erinnern, wie viele Bananenbrote Sie während der strikten Kontaktbeschränkungen gebacken haben?
Max Siedentopf: Drei. Ich wünschte, es wären noch mehr gewesen.
SPIEGEL: Wie steht es mit Ihren Haaren, tragen Sie einen neuen Look?
Siedentopf: Sechs Wochen bin ich nicht zum Friseur gegangen, das war haartechnisch mein Limit.
SPIEGEL: Sie haben also die üblichen Quarantäne-Etappen durchlebt. In Ihrem Bildband "Home Alone Survial Guide" sind es aber eher ungewöhnliche Tätigkeiten, die Sie gegen Langeweile daheim empfehlen: etwa, einen Liebesbrief mit den Füßen zu schreiben.
Siedentopf: Meine Shootings als Fotograf wurden abgesagt, ebenso die meiner Kollegen. Ich bin in meiner Wohnung in London rumgelaufen und habe mich gefragt, wie es kreativ weitergehen kann, wenn man zu Hause gefangen ist. Auf Instagram habe ich die Aufgabe gestellt, ein neues Gericht zu erfinden, damit ging es los. Ich hätte nicht gedacht, dass das so gut ankommt.
SPIEGEL: Aber am Ende haben Sie insgesamt hundert Aufgaben gestellt, entstanden sind tausend irre Bilder von Ihnen und Ihren Instagram-Followern.
Siedentopf: Ich habe schnell gemerkt: je kreativer die Aufgabe, desto kreativer die Umsetzung. Bei einem Foto musste ich auch richtig loslachen. Die Aufgabe war, sich in einen menschlichen Springbrunnen zu verwandeln. Ein Mann hat sich ganz viele Wasserrohre umgeschnallt, dabei war er halbnackt. Das war aber leider ein bisschen zu extrem, um es zu veröffentlichen.
SPIEGEL: Welche Challenges funktionierten noch gut?
Siedentopf: Solche, bei denen man im Grunde nur rumliegen muss - ich habe etwa gelernt, dass es sehr viele neue Arten gibt, auf dem Sofa abzuhängen. Und, natürlich: Leute in der Zeit der Hamsterkäufe aufzufordern, einen Ersatz für Klopapier zu finden. Da man jeden Tag ein paar Minuten neben so einer Rolle sitzt, bleibt auch genug Zeit, sich kreative Sachen auszudenken.
SPIEGEL: Die normalen Empfehlungen für den Corona-Alltag lauteten eher: eine neue Sprache lernen, Yoga machen, die Wohnung aufräumen. Was halten Sie von solchen Selbstoptimierungstipps?
Siedentopf: Die finde ich auch gut. Ich glaube, das ist ein einzigartiger Moment, um andere, neue Dinge auszuprobieren. In den vergangenen Jahren hat sich alles so schnell bewegt, man wollte immer weiter kommen. Jetzt ist die Corona-Phase ja erst mal fast schon wieder vorbei. Aber es hat sich angefühlt, als hätte jemand einen Pausenknopf gedrückt, um sich von der Geschwindigkeit zu erholen.
SPIEGEL: Ihr letztes Projekt vor den Überlebenstipps war eine Fotoserie von teilweise absurden DIY-Maskenvariationen: Sie bastelten Masken aus leeren Plastikkanistern, Salatblättern oder Schuhen. Das war Anfang Februar - Wochen bevor Corona eine Krise in Europa auslöste. Haben Sie schon etwas geahnt?
Siedentopf: Nein. In dem Magazin "Ordinary", das ich leite, stellen wir in jeder Ausgabe die Geschichte eines Alltagsgegenstand vor. Wir hatten uns damals auf Masken fokussiert, weil sie in China knapp wurden. Die Menschen mussten deswegen kreativ werden und sich selbst eine Maske basteln. Bei der Fotoserie habe ich Masken gezeigt, die ich im Internet gesehen habe, aber auch noch welche dazu erfunden. Interessanterweise habe ich einen Monat später auf Fotos aus den USA und Europa ein paar von den Masken aus der Fotoserie gesehen. Als ob Kunst das Leben und das Leben die Kunst imitiert hat.
SPIEGEL: Normalerweise sind Sie als Fotograf viel in der Welt unterwegs. Das ist immer noch nicht wieder möglich. Klappt Ihre Arbeit genauso gut?
Siedentopf: Es ist sogar schön, wenn man auf einen Ort eingeschränkt ist, weil man dann die Gegenstände viel genauer anschaut. Die ganze Welt zur Verfügung zu haben, macht vieles auch komplizierter. Oft komme ich zu den kreativsten Ergebnissen, wenn ich nicht alle Ressourcen habe, da muss ich sozusagen doppelt kreativ werden. Ich finde mein Homeoffice gar nicht so schlecht.
SPIEGEL: Haben Sie manchmal Langeweile?
Siedentopf: Meistens nicht, ein Glück. Ich glaube, dass es nicht sehr angenehm wäre, um mich herum zu sein, wenn ich gerade nichts zu tun habe. Dann nerve ich alle.
SPIEGEL: Gerade könnten Sie niemanden nerven - ist ja niemand da.
Siedentopf: Das stimmt. Dann nerve ich mich selbst. Das mache ich auch genug.