Stefanie Sommer

Journalismus-Studentin | FAZ, Mainz

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Artikel

„Als Kind war der Terrorismus das aufregendste der Welt“

Wenn Baruch Shomron morgens aus dem Fenster schaut und die Sonne scheint, wird es ein guter Tag. Auch wenn er mittlerweile gelernt hat, dass die deutsche Sonne einen über die tatsächlichen Temperaturen draußen ziemlich täuschen kann. Trotzdem, wenn er im Sonnenschein zum Uni-Campus läuft, einen Podcast in den Ohren, ist er glücklich. Die Sonne erinnert ihn an seine Kindheit am Strand des Gaza-Streifens.


Shomron ist Israeli. Und seit Beginn dieses Semesters Inhaber der Israel-Professur am Publizistischen Institut der Uni Mainz. Neu ist er dort nicht. Bereits im Herbst 2021 kam Shomron nach seiner Promotion als Postdoc nach Deutschland. Lernte die nette Atmosphäre auf dem Mainzer Campus schätzen und blieb. Trotz seines jungen Alters weiß der 33-Jährige, dass er in Forschung und Lehre seine Leidenschaft gefunden hat: „Wenn man mir jetzt sagt, dass ich in 30 Jahren immer noch das gleiche mache wie heute, dann bin ich ein glücklicher Mensch.“ Ausgeglichen und genügsam, so wirkt Shomron oft, gleichzeitig sehr fokussiert auf die Wissenschaft. Er selbst nennt das „langweilig“. „Coole“ Hobbys habe er keine. Seine legere amerikanische Ausdrucksweise spiegelt sich auch in seiner Erscheinung wider. Ein braunes T-Shirt fällt locker über den schlanken Körper, die Beine stecken in Jeans und Sportschuhen. Wie er damals im Bachelor überhaupt im Medienbereich gelandet sei? Ein Zufall. „Ich wollte entweder zu Journalismus und Wirtschaft, aber da war die Schlange zur Einschreibung so lang. Also ging ich zu Journalismus.“


Hinter dieser entspannten Fassade steckt mehr. Als Shomron fünf Jahre alt war, zogen er und seine Eltern aus den USA nach Israel in den Gaza-Streifen. Shomron verbrachte eine glückliche Kindheit am Strand, auf der Straße, in Nachbars Küche. Bis er 2000 eines Morgens aufwachte und Israelis und Palästinenser auf einmal Feinde waren. Plötzlich existierten Politik und Konflikte im Leben des damals Zehnjährigen. In den fünf Jahren der zweiten Intifada erlebte er Terrorismus in all seiner Grausamkeit. Damals fand Shomron das nicht beängstigend: „Als Kind war es das aufregendste auf der Welt“. Er erinnert sich, zu Einschlagsorten von Raketen gelaufen zu sein, um sich „die guten Teile“ zu sichern, bevor die Polizei aufkreuzte.


Das zweite Mal, als er mit israelischer Politik konfrontiert wurde, war er 16. Auf Befehl von Premierminister Sharon wurden alle Juden aus dem Gaza-Streifen evakuiert, Shomron und seine Familie zogen in eine Stadt nahe Tel Aviv. „Jetzt kann ich ein normales Leben führen“, dachte er sich damals, „ich kann die Überlebensmechanismen aus dem Streifen ausschalten“. Doch 2008, Shomron war mittlerweile 18, holten sie ihn noch einmal ein. Terroristen drangen in sein Wohngebäude ein, es fielen Schüsse. „Das war das erste Mal, dass ich realisiert habe, ich könnte sterben“. Er floh über seinen Balkon und rannte um sein Leben. Drei seiner Freunde starben bei dem Vorfall. Bis heute leidet Shomron unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Wenn er darüber spricht, ist sein Tonfall immer noch locker. Doch diese Erfahrungen von Leid haben ihn gezeichnet. So widmet er sich auch in seiner Forschung der Frage, wie der Zugang zu Medien Lebenssituationen verschiedener israelischer Gruppen verbessern kann. Shomron will etwas machen, in dem er einen Wert, einen sozialen Nutzen sieht.


Dieses Kurzporträt entstand im Mai 2023 im Rahmen des Kurses "Magazinjournalismus" im Master-Studiengang am Journalistischen Seminar Mainz.