Von Stefan Weger
Seit dem 8. September werden in Neukölln Geflüchtete auch in der Turnhalle am Columbiadamm untergebracht. „Wir werden dafür eintreten, dass die Flüchtlinge so schnell wie möglich in einer besser geeigneten Unterkunft untergebracht werden können", versprach Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey in einer Pressemitteilung. Der Sportbetrieb solle schnellstmöglich wieder aufgenommen werden.
Dieses Statement muss jedoch jedem zynisch anmuten, der sich in den vergangenen Monaten mit der Situation in den Flüchtlingsunterkünften in Neukölln beschäftigt hat. Die als dreimonatige Übergangslösung geplante Notunterkunft am Mariendorfer Weg wurde immer wieder aufgrund der schlechten Wohnsituation kritisiert. Statt die Unterkunft wie geplant Ende März 2015 wieder aufzulösen, wurde die Notlösung allerdings zur Dauerlösung.
Erst ein halbes Jahr nach Bezug kontrolliert das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) die Zustände in der Unterkunft. Von den Kritikpunkten der Ehrenamtlichen und des Bezirks ist jedoch wenig zu lesen.
Nicht auf Dauer ausgerichtet
In den Containern am Mariendorfer Weg warten rund 100 Personen, davon 20 Kinder und Jugendliche, auf eine reguläre Unterkunft. Wie lange genau weiß niemand, denn die Verweildauer wird nicht erfasst. Die lokale Flüchtlingsinitiative Bündnis Neukölln spricht von zum Teil mehreren Monaten Wartezeit.
Toiletten und Duschen befinden sich in kleinen Containern vor der Unterkunft. Ein Arztzimmer ist nicht vorhanden, auch zum Spielen steht den Kindern lediglich ein kleiner Spielplatz zwischen Container und Zaun zur Verfügung. Aufhalten kann man sich nur auf dem kleinen Hof, im einzigen Gemeinschaftsraum oder in den Schlafräumen, in denen bis zu 16 Personen untergebracht sind. Die Container waren ursprünglich als Ausweichräume der gegenüberliegenden Schule während Renovierungsarbeiten gedacht, bei der Planung hatte also niemand im Sinn, hier eine Dauerunterkunft für 100 Personen zu errichten.
Die zur Verbesserung der Wohnsituation notwendigen Sanierungs- und Renovierungsarbeiten schließt der Senat grundsätzlich aus. Und das, obwohl der Zustrom an Geflüchteten nicht abreißt und die Notunterkunft auch längerfristig zur Unterbringung benötigt wird.
Ohne den unermüdlichen Einsatz der Flüchtlingsinitiativen wäre es um die Situation in der Notunterkunft noch schlechter bestellt. „Gemeinsam mit vielen anderen Anwohnerinnen und Anwohnern unterstützen wir die Geflüchteten in der Unterkunft seit der Inbetriebnahme ehrenamtlich durch Deutschkurse, Begleitung zu Behördengängen, Kinderbetreuung, Sprachcafés, bei der Wohnungssuche etc. Wir tun das gern. Wir verlangen jedoch auch vom Senat endlich Schritte hin zu einem respektvollen Umgang mit geflüchteten Menschen. Wir werden weiterhin wachsam sein und auf Missstände hinweisen", so Irmgard Wurdack, Sprecherin des Bündnis Neukölln.
Lichtblick Karl-Marx-Straße
Anfang 2014 wurde in der Haarlemer Straße eine vollausgestattete Unterkunft für rund 400 Geflüchtete errichtet - zum Preis 8,2 Millionen Euro. Nachdem der Senat kurze Zeit vorher das Grundstück verkauft hatte, bot der neue Eigentümer dem Senat dieses zum Spotpreis zum Rückkauf an. Der Senat lehnte ab. Mittlerweile gehört das Grundstück einem luxemburgischen Immobilienfonds. Ob der den Mietvertrag über dieses Jahr hinaus verlängern wird, darüber schweigt sich der Senat aus. Nicht einmal der Bezirk erhält Auskunft. Wenn nicht, müsste die Unterkunft Ende November geschlossen und mit dem Abriss begonnen werden. Kosten für den Senat: weitere 600.000 Euro.
Ein Lichtblick stellt die geplante Unterkunft für über 300 Geflüchtete an der Karl-Marx-Straße dar: Die Pläne orientieren sich nicht wie sonst an den gesetzlichen Mindeststandards - sondern gehen darüber hinaus: mehr Platz, mehr Privatsphäre und ein offenes Haus soll es werden. Aus diesem Grund verzögerten sich aber die Vertragsverhandlungen zwischen Betreiber und Senat - denn auch bei der Unterbringung von Geflüchteten gilt: alles eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Obwohl dringend Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete benötigt werden, wird die Unterkunft aufgrund der Verzögerungen nicht vor März 2016 bezugsfertig sein.
Neukölln liegt bei den Unterbringungszahlen in Berlin weit hinter den anderen Bezirken. Da die Zuströme an Schutzsuchenden eben so wenig abebben wie die zugrundeliegenden Konflikte, muss damit gerechnet werden, dass auch Neukölln zukünftig noch mehr Wohnraum zur Verfügung stellen muss. In Neukölln wurden bereits zusätzliche Notunterkünfte bestimmt - nur über die Standorte will man noch nichts sagen -, wohl um Gegenproteste oder eine Mobilisierung von rechts im Vorfeld zu unterbinden.
Um eine menschenwürdige Unterbringung für diese Menschen zu gewährleisten, muss der Senat endlich handeln. Allein: Es sieht finster aus mit diesem unfähigen oder überforderten Sozialsenator. Seit Jahren gibt es keine Strategie für das wachsende Unterbringungsproblem. Mit dem von Aktionismus geleiteten Handeln von Senat und LaGeSo wird die Lage täglich schlimmer. So gibt es keinen Grund für Optimismus - weder für die vielen ehrenamtlichen Helfer, die schon viel zu lange das tun, was Aufgabe des Landes ist, noch für die Verantwortlichen im Bezirk, die diesem planlosen Senat ausgeliefert sind. Ganz zu schweigen von den schutzbedürftigen Menschen, deren Unterbringung mehr als Problem, denn als humanitäre Pflicht wahrgenommen wird.
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