Stefan Rochow

Journalist und Medienunternehmer, Schwerin

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Artikel

Kein Mann des Zeitgeistes

Gilt als durchgängig konservativ. Trumps Kandidat für den US-Supreme Court, Neil Gorsuch, hier mit seiner Frau Marie-Louise.

Der Konservative Neil Gorsuch gilt als brillanter Jurist – Wird er vom Senat bestätigt, kann er die Judikative in den USA auf lange Sicht prägen. Von Stefan Rochow


Am Wochenende hatte Donald Trump über den Kurznachrichtendienst Twitter mitgeteilt, er werde Anfang dieser Woche eine der wichtigsten Entscheidungen in seiner bisherigen Amtszeit als US-Präsident bekannt geben: Die Nominierung eines Kandidaten für die Besetzung des vakanten Richterpostens am Obersten Gerichtshof der USA, dem Supreme Court. Eine Personalie, die mit Spannung erwartet worden war.

Seit dem Tod der konservativen Richter-Ikone Antonin Scalia vor knapp einem Jahr war ein Kampf um die Neubesetzung zwischen den Republikanern und den Demokraten entbrannt. Der damalige US-Präsident Barack Obama hatte mit Merrick Garland schnell einen Nachfolger zur Hand. Doch die Republikaner blockierten Obamas Wunschkandidaten, indem sie sich weigerten, Garland im Senat anzuhören. Laut Verfassung hat der amtierende Präsident das Recht, Kandidaten für den Supreme Court vorzuschlagen, doch der Senat muss diese bestätigen. Die republikanische Senatsmehrheit war damals der Auffassung, dass das Ernennungsrecht dem kommenden US-Präsidenten zustünde.


Im Moment herrscht am Supreme Court eine Pattsituation. Vier eher liberal-gemäßigte Richter stehen vier konservativ geneigten gegenüber. In vielen gesellschaftspolitischen Diskussionen wie der um die Gesundheitsvorsorge, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft, die Förderung von Minderheiten und um das Recht auf Abtreibung entschied das Oberste Gericht der USA in den vergangenen Jahren in letzter Instanz. Die Neubesetzung des vakanten Richtersessels gilt als Richtungsentscheidung für den kulturellen und sozialen Kurs, den das Land in Zukunft einschlagen wird.

Mit der Nominierung Neil Gorsuchs hat Trump wieder einmal unter Beweis gestellt, dass er immer für eine Überraschung gut ist. Nicht wenige Kritiker hätten dem US-Präsidenten zugetraut, sich für einen „Hardliner“ zu entscheiden. Mit Gorsuch nominierte er jedoch einen überparteilich geschätzten Juristen. Der 49-Jährige ist ein Mann fester Prinzipien, ohne aber ein Ideologe zu sein. Nach dem Studium arbeitete Gorsuch bereits als Assistent des gegenwärtigen Obersten Richters Anthony Kennedy. Der gilt daher als Gorsuchs Mentor. Anders als Kennedy, der 1988 durch Ronald Reagan ernannt wurde und sich bei Entscheidungen mal auf die Seite der Liberalen, mal auf die der Konservativen stellt, ist Gorsuchs Haltung durchgängig konservativ.


Der passionierte Outdoor-Sportler gilt als bescheiden, intellektuell und Mann des geschliffenen Wortes. Bisher war er Mitglied am Berufungsgerichts im Westen des Landes, das für die Bundesstaaten Colorado, Kansas, New Mexico, Oklahoma, Utah und Wyoming zuständig ist. Er kommt aus einer republikanischen Patrizierfamilie, hat an der Columbia University in New York und in Harvard studiert. Wie so viele Kabinettsmitglied der Trump-Regierung ist auch Gorsuch aufgrund seiner Vita als Teil des Establishments zu betrachten. Trump scheint dennoch überzeugt, in ihm den richtigen Kandidaten gefunden zu haben: „Richter Gorsuch hat außerordentliche juristische Fähigkeiten, einen brillanten Geist, enorme Disziplin, und er hat überparteiliche Unterstützung gewonnen“, erklärte er bei Gorsuchs Vorstellung im Abendfernsehen. Als der in Denver geborene Gorsuch 2006 von George W. Bush 2006 für das Appellationsgericht ernannt wurde, bestätigte ihn der Senat trotz seiner konservativen Ansichten ohne Gegenstimme. Mit seiner intellektuellen Integrität und seinem freundlichen Auftreten hat er sich auch bei denen Respekt erworben, die seine juristischen Ansichten nicht teilen.


Trotzdem regt sich schon kurz nach Bekanntgabe der erste Widerstand gegen die Entscheidung des US-Präsidenten – vor allem im Lager der Demokraten. Sie werfen den Republikanern vor, Ex-Präsident Obama um sein Recht gebracht zu haben, den vakanten Richtersessel zu besetzen, als sie Merrick Garland die Anhörung verweigerten. Doch sie haben auch grundsätzliche Vorbehalte gegen den designierten Supreme-Court-Richter. Der Anführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, meldete denn auch umgehend „sehr ernsthafte Zweifel“ an, dass sich Gorsuch innerhalb des „juristischen Mainstreams“ bewege. Wie der verstorbene Antonin Scalia ist Gorsuch „Originalist“. Er vertritt die Auffassung, dass ein Richter die Verfassung möglichst wörtlich auslegen solle. Das heißt, er richtet sich bei seiner Entscheidungen nach Text, Struktur und Geschichte des jeweiligen Gesetzestextes. Unter diesen Aspekten trifft die Behauptung, dass Gorsuch nicht dem Mainstream in der Juristerei nachlaufe, also zu. Er selbst begründete seine Haltung damit, dass Abgeordnete sich durch Überzeugungen beeinflussen lassen dürfen, wenn sie gesellschaftliche Veränderungen durch Gesetze festschreiben lassen möchten. „Richter sollten das aber nicht tun“, so Gorsuchs Überzeugung. Vielmehr hätten sie die Aufgabe, das Recht anzuwenden und es nicht zu verändern.


Dass Gorsuch kein Richter des Zeitgeistes ist, hat er in der Vergangenheit schon häufiger unter Beweis gestellt. Vor allem die amerikanische Pro-Life-Bewegung dürfte mit seiner Nominierung zufrieden sein. Zwar hat Gorsuch bislang noch nie zu Fragen des Lebensrechts oder der Abtreibung Recht gesprochen. Dennoch hat er sich bereits dezidiert zu diesen Themen geäußert. So sprach er sich in seinem 2006 veröffentlichten Buch gegen assistierten Suizid und Euthanasie aus. Menschliches Leben sei „grundsätzlich und von Natur aus wertvoll“, so das klare Statement des Juristen. Das „Roe vs. Wade“-Urteil aus dem Jahr 1973, das in den USA das Töten des Kindes im Mutterleib legalisiert, bezeichnete Gorsuch als „Gräuel“.


Was das Thema Abtreibung betrifft, sind die Amerikaner seit jeher gespalten. Sehr zur Freude der Lebensrechtler kündigte Trump bereits im Wahlkampf an, einen Pro-Life-Kandidaten für den Supreme Court nominieren zu wollen – ein Versprechen, das er nun prompt umsetzte. Viele Lebensrechtler hoffen nun darauf, dass das höchste Gericht das umstrittene Urteil von 1973 dank der Überzahl konservativer Richter kippen wird. In diesem Fall würde das Abtreibungsrecht zurück an die Bundesstaaten delegiert werden. Zwar ist davon auszugehen, dass die Gesetzgebung dann von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich geregelt würde. Das Signal des höchsten US-Gerichts wäre aber unübersehbar.


In einer Entscheidung hat Neil Gorsuch als Bundesrichter ein Sonderrecht für christliche Gruppen unterstützt: Er urteilte, dass Arbeitgeber wegen ihrer religiösen Überzeugungen nicht für Verhütungsmittel ihrer Beschäftigten aufkommen müssen, wie es der „Affordable Care Act“, die umstrittene Gesundheitsreform von Barack Obama, vorsieht.

Da die Republikaner im Senat mit 52 Sitzen lediglich eine Mehrheit von zwei Stimmen gegenüber den Demokraten haben, benötigen sie zu Gorsuchs Bestätigung die Unterstützung von acht demokratischen Senatoren, um auf die erforderlichen 60 Stimmen zu kommen. Auch wenn sich die demokratische Minderheit zunächst gegen Gorsuch positionieren wird, werden die Senatoren seine Ernennung lediglich verzögern können. Die Weichenstellungen am Supreme Court wird sich nicht auf Dauer blockieren lassen.



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