Die weiße Mittelschicht wählt diesmal nach ihren wirtschaftlichen Interessen, meint Lars Hänsel, USA-Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung. Von Stefan Rochow
Nur noch knapp vier Wochen bis zur Präsidentenwahl in den USA. Wir erleben einen erbitterten und harten Wahlkampf. Vor allem Donald Trump trägt sehr zur Polarisierung bei. Er erscheint vielen als singuläres Phänomen. Zwar gab es in der Vergangenheit immer wieder auch einmal Kandidaten, die im Wahlkampf über die Stränge schlugen. Doch das Establishment der Parteien hat solche Kandidaten stets schnell eliminiert. Diesmal gelang das den Republikanern nicht. Was sagt das aus über den Zustand der Vereinigten Staaten von Amerika?
Vieles ist diesmal tatsächlich anders. Vor allem muss man sich anschauen, worum es eigentlich bei dieser Wahl geht. Bisher war das Koordinatensystem bei den Wahlen immer das klassische Rechts-Links-Schema gewesen. Dieses gibt es in dieser Wahl so weniger. Kandidaten, die dem klassischen Rechts-Links-Schema zuzuordnen waren, wie zum Beispiel Ted Cruz, der für eine sehr konservative Richtung bei den Republikanern steht, sind ausgeschieden. Mit Trump ist nun ein Kandidat an den Start gegangen, der das Rechts-Links-Schema in Richtung Eliten-Anti-Eliten-Schema verschoben hat. Donald Trump versucht mit seinem auf die untere weiße Mittelschicht fokussierten Wahlkampf neue Wählerschichten anzusprechen. Die Republikaner müssen neue Wähler ansprechen, um in Zukunft erfolgreich zu sein. Trump versucht genau das. Im Moment scheitert er aber daran, andere Schichten wie die Latinos sowie andere Minderheiten und Frauen anzusprechen. Daher wird man nun schauen müssen, ob die Hinwendung zu einem vergleichsweise schmalen Spektrum wie die weiße untere Mittelschicht ausreicht, Wahlen zu gewinnen. Das ist die spannende Frage.
Dann lässt sich von Trump nicht auf die Republikaner und die USA schließen?
Nein. Ich habe manchmal den Eindruck, dass sich gerade in Europa viele Menschen in ihren Vorurteilen gegenüber den USA bestätigt fühlen, wenn sie über Trump sprechen. Donald Trump spricht nicht für die Gesamtheit der Republikaner und seine Sicht ist nicht die Sicht aller Amerikaner. Das Spektrum ist viel bunter. Auch wenn die Republikaner die Präsidentschaftswahl verlieren sollten, haben sie die Mehrheit im Repräsentantenhaus, haben Chancen, auch die Mehrheit im Senat zu stellen und stellen nach wie vor die übergroße Mehrheit der Gouverneure in den USA. Das darf man nicht vergessen.
Glaubt man statistischen Erhebungen, dann ist es vor allem die weiße Mittelschicht, die Trump für ihren Kandidaten hält. Das verwundert zumindest auf den ersten Blick, da man doch eher glauben könnte, dass die sozialen Interessen der vom Abstieg bedrohten Schichten eher von den Demokraten, also von Hillary Clinton, vertreten werden. Was ist da schief gelaufen?
In der Tendenz neigte diese Gesellschaftsschicht mit ihren Ansichten eher den Republikanern zu. Denn es sind vor allem konservative Werte wie die Familie und andere, die diese Schicht ansprechen. Bisher gelang es den Republikanern aber nicht, auch die ökonomischen Belange dieser Menschen glaubwürdig zu vertreten. Sie waren also potenzielle Wähler der Republikaner, häufig ohne zur Wahl zu gehen. In dieser Wahl nun wählt diese Schicht vor allem nach ihren wirtschaftlichen Interessen, weniger nach Werten. Hier kommt Trump mit seinem Slogan „Ich mache Amerika wieder groß!" gut an. Sie verbinden damit Rückkehr von Industrien und neue Jobs und Handelsbeschränkungen, die die Abwanderung von Arbeit verhindern soll. Trump weitet den Fokus von Werten nun auf ökonomische Interessen. Das kommt an und die Demokraten haben in diesem Wählersegment nun das Nachsehen.
Wenn man in den USA von der „Mittelklasse" spricht, dann sind es ja meist die Arbeiter, über die man eigentlich spricht. Diese fühlen sich im Stich gelassen. Ein ganzes Segment der Gesellschaft wurde vom politischen System stehengelassen und abgekoppelt. Jetzt sind diese Menschen verbittert und nachtragend. Im Wahlkampf tritt eine Spaltung der Gesellschaft zutage, die erschreckt. Wer immer die Wahl gewinnt: Was müsste passieren, um diese Gräben wieder zuzuschütten?
Erst einmal muss man noch einmal feststellen, dass die Trennlinien neben dem Rechts-Mitte-Links-Schema immer mehr auch auf die Frage Elite oder Nicht-Elite bezogen sind. Damit stellt sich die Frage, was muss hier passieren. Zuerst muss auf allen Seiten die Einsicht wachsen, dass man über die Parteigrenzen hinweg zum Wohl des Landes zusammenarbeiten muss. Diese Erkenntnis vermisste man in den letzten Jahren auf beiden Seiten und da war auch Präsident Obama nicht ganz unschuldig. Man braucht also einen Präsidenten, der über die politischen Gräben hinaus agiert. Der zweite Punkt ist, dass die Politik zumindest besser erklären muss, warum Globalisierung und Freihandel insgesamt gut, und letztlich auch für die untere Mittelschicht gut sind. Das haben diese oft nicht verstanden und die Politik geht über sie hinweg. Weiter muss die Politik nicht nur erklären, sondern auch handeln. Sie muss vor allem auch wieder die Menschen in den Fokus nehmen, die zu den Verlierern dieser Entwicklung gehören. Sie müssen besser geschützt werden. Diese beiden Sachen könnten die Gräben überwinden.
Wem trauen Sie das von den beiden Kandidaten am meisten zu?
Trump hat einen anderen Politikstil. Gerade in den sozialen Fragen polarisiert er weniger. Vor allem weiß man auch noch nicht, wofür Donald Trump tatsächlich steht. In vielen Fragen hatte er schon mal die und dann wieder eine entgegengesetzte Position. Es kann also gut sein, dass im Weißen Haus unter ihm ein rauer Ton herrscht, die reale Politik aber weitaus moderater ist. Das alles ist aber nicht klar. Bei Hillary Clinton hingegen weiß man schon jetzt, dass sie es schwer haben wird. Ihr fehlt das Vertrauen bei den Menschen. Zieht sie in das Weiße Haus ein, dann wird sie viel tun müssen, um dieses Vertrauen zurückzugewinnen, auch bei ihrer eigenen Anhängerschaft. Schon der Vorwahlkampf und das starke Abschneiden von Bernie Sanders hat deutlich gemacht, dass sich hier mancher Wahlstratege verschätzt hat. Die Nominierung von Hillary Clinton war alles andere als eine Krönungszeremonie. Es bleibt also schwierig für sie. Allerdings wird sie in vielen Dingen, aufgrund ihrer relativen Stetigkeit, ein leichterer Partner sein. Trotzdem gibt es viele Fragezeichen, sowohl bei ihr als auch bei Trump.
Viele Europäer sind skeptisch, wenn die USA den „Weltpolizisten" geben. Eine Präsidentin Clinton könnte jedoch wieder stärker auf militärische Invasion setzen. Zumindest liegt das nahe, wenn man ihre Zustimmung zum Irak-Krieg George W. Bushs nimmt oder ihre Haltung zur Bewaffnung syrischer Rebellengruppen. Müsste sich Europa daher nicht eher über einen Sieg Trumps freuen?
So einfach ist das nicht. Nach den Bush-Jahren gab es eine starke Zurückhaltung, die auch mit der Finanzkrise zusammenhängt. Dafür stand auch Präsident Obama. Das wird bleiben. Die USA werden sich daher nicht mehr überall engagieren. Das gilt für beide Kandidaten. Die Amerikaner sehen in Zukunft auch die Europäer in einer stärkeren Verantwortung. Sie wollen ein starkes Europa, schauen aber skeptisch auf die Entwicklungen in Europa.
Trump hat sich mehrmals positiv über Russlands Präsident Putin geäußert. Gegenüber der NATO hat er ein abwartendes Verhältnis und möchte die Partner stärker zur Kasse bitten. Was ist hier von einem Präsidenten Trump zu erwarten?
Vieles ist im Moment Wahlkampfgetöse und man tut gut daran, nicht alles auf die Goldwaage zu legen. Trump macht im Moment keine Außenpolitik, sondern hat seine Wähler im Blick. Er möchte eine Wahl gewinnen. Seine Wähler nehmen wahr, dass es ihnen wirtschaftlich nicht gut geht. Sie verstehen nicht, warum Amerika in der Außenpolitik Geld ausgibt, das aus ihrer Sicht beim Ausbau der Schulen und anderem benötigt wird. Diese Wähler möchte Trump mit seiner Rhetorik ansprechen. Was Putin betrifft, so ist Trumps Position zu Russland ziemlich ambivalent und überhaupt nicht eindeutig.
Dann gibt es keinen guten oder bösen Präsidenten?
Das werden wir sehen. Egal wie die Wahl ausgeht. Wir können uns das nicht aussuchen und werden mit der Wahl leben müssen. Die USA werden für Europa weiter ein wichtiger Partner sein und wir werden uns darauf einstellen müssen, mit der neuen Präsidentin oder dem neuen Präsidenten gut zusammenarbeiten.