AMYGA: Lionhearts - Lionhearts (CD)

Unser täglich Wahnsinn gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld der Ungeduld mit denen, die uns mit ihren fragwürdigen social skills umgeben, um uns täglich einmal mehr zum Murmeltier im Hamsterrad zu machen.
Zum Glück gibt es genug Therapie-Möglichkeiten, um sich des Treibgutes zu entledigen, von dem man sich jeden Tag was auf die Schippe lädt.

Lionhearts. Quelle: Dependent
Der musizierende (was Wunder) Psychologe und ausgewiesener Dark-Pop-Spezi Frank M. Spinath (→ Seabound, Edge of Dawn, Ghost & Winter) - bisher erfolgreich aufm Duo-Trip - stellt aktuell seine bessere Hälfte selbst (dar) und schnürt sich produziert von Hecq (Ben Lukas Boysen) das Korsett, der mit sich selbst bestrittenen musikalischen Supervision als Kanal für Gedanken, Erfahrungen, Ängste, Träume, Wünsche, Liebe, Schmerz, Verletzt-Sein und Verletzt-Werden in einem wirklich ambitionierten Electro-Blues-Konzept-Score-Amalgam.
12 Tracks mit In- und Outro und sinnigen - vielmehr stimmigen - Interlude-Strecken sowie richtigen Songs (wenn man das aus dem Gesamtkonzept herausgelöst mal so nennen will) sind das geworden, das Konzept stellt darauf ab, thematisch offen Bilder, Stimmungen, Momentaufnahmen (der nicht-visuellen) Ebene zu zitieren, wie man es in der (moderneren) klassischen Musik von der bedingt populären „pictures at an exhibition“ von Modest Mussorgski kennt. Ich bin mit dem „großen Tor von Kiew“ und „Bytlo“ (den Ochsenkarren) sozialisiert worden, impft Eure Kids damit, ihr spart Euch teuer Geld für 'ne musikalische Früherziehung!
Insgesamt ist das natürlich kein Frühlingsspaziergang geworden, sondern ist ein einziger, ehrlicher und gepflegt darker Seelenstrip, den der Mann da hinlegt.
Die Geschichte wirkt am Überzeugendsten als continious mix am Stück genossen, also mal zurücklehnen und wirklich komplett (!) genießen, Realität ausblenden, sich „schicken“ lassen, alles Andere macht keinen Sinn. Die Kost wird hierfür sehr angenehm, schonend und spürbar feingeistig verpackt, vielleicht wirken dadurch selbst die bedrohlichen Scores nicht so verstörend, wie sie sich – wie in MURDER – tatsächlich darstellen. Das hier und da auftauchende click'n'cuts-Gefrickel hält sich in Grenzen, keiner muss sperrigen „WARP“-Nerdism oder „ANT-ZEN“-Tech-Core befürchten.
Meine besonderen Anspieltips:
FLASHBACK – das Intro mit dem postapokalyptischen sundawn
THE ARDENT CITY - sanft und smooth, Intelli-Dark-Blues meets click'n'cut
GONE – sehr geiler Piano-Part, catchy mit distorsive-noise-Unterbau
CLOUD – schön atonal und beklemmend
MURDER – neben Gone der zweitbeste Track, die Beats und das Orchestrale kontrastieren zur Mord-Schilderung der Radiostimme – Gänsehaut!!!
THREAD – ein Autechre-likes, zart wütendes, peitschendes Break-Beat-Monster
TO WHAT I DON'T KNOW – melodiös und fein
IN THE SAND – bringt noch einmal in 5 Minuten alle bisher angeklungenen musikalischen Themen in verspieltem Wechsel auf den Punkt
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