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Neuer Taliban-Chef: Radio-Mullah mit Hang zur Brutalität

Maulana Fazlullah zählt innerhalb der pakistanischen Taliban zu den Hardlinern. Friedensgespräche lehnt er ab

Berichte über sein Ableben hat Maulana Fazlullah schon mehrfach dementiert - manchmal rief der Taliban-Kommandeur sogar persönlich bei Journalisten an, um zu bestätigen, dass ein Artikel über seine Tötung durch eine US-Drohne falsch sei. Doch nachdem der Enddreißiger am Donnerstag zum neuen Anführer der Tehrik-i-Taliban (TTP), Pakistans Taliban, ernannt wurde, dürfte er noch gefährlicher leben als bisher: Fazlullah folgt Hakimullah Mehsud nach, der letzte Woche von einer US-Drohne getötet wurde. Dessen Vorgänger wiederum, Baitullah Mehsud, kam ebenfalls bei einem Drohnenangriff ums Leben.

Maulana Fazlullah ist der erste Anführer der pakistanischen Taliban, der weder aus dem Mehsud- noch aus dem Wazir-Stamm kommt. Als Angehöriger des Yousaf-Stammes wuchs Fazlullah im Swat-Tal auf, wo er maßgeblich zur Radikalisierung der Bevölkerung beitrug.

Swat-Tal

Bereits als Junge kam er mit Maulana Sufi Muhammed, Gründer der militanten Tehrek-i-Nehfaz Shariat-i-Mohammadi (Bewegung für die Durchsetzung des Islamischen Rechts) in Kontakt. Er soll Fazlullah auch seine ersten Kampferfahrungen beschert haben, indem er ihn 2001 nach Afghanistan brachte, um gegen die US-Invasoren zu kämpfen.

Nachdem die Tehrik-i-Nehfaz Shariat-i-Mohammadi unter Präsident Pervez Musharraf verboten und Sufi Muhammed verhaftet wurde, übernahm Fazlullah die Führung der Gruppe. Unter ihm wuchs der Einfluss der militanten Islamisten im Swat-Tal rapide, von 2007 bis 2009 übernahmen seine Kämpfer sogar die Kontrolle über das Gebiet. Als Sufi Muhammed 2008 aus der Haft entlassen wurde, wagte er es nicht mehr, den Führungsanspruch seines Nachfolgers anzuzweifeln.

"Radio-Mullah"

Zu seiner einflussreichen Stellung beigetragen haben Fazlullahs tägliche radikal-islamische Radio-Predigten, die er nach seiner Rückkehr im Swat-Tal verbreitete. Bis heute hält sich die Legende, dass Pakistani ihre TV-Geräte aus dem Fenster warfen, nachdem sie Fazlullahs Sendung hörten, der Fernseher als unislamisch bezeichnete. Gegen Technik für seine eigenen Zwecke hatte er jedoch nichts: Sendeanlagen, die auf Motorrädern, in Autos oder Bussen versteckt waren, halfen bei der Verbreitung seiner Sendung. Aus dieser Zeit stammt auch sein Spitzname "Radio-Mullah" oder "Maulana Radio".

Personen, die in seinen Radioshows als Feinde des Islam erwähnt wurden, hatten zwei Optionen: Sie konnten entweder das Swat-Tal fluchtartig verlassen - oder kopflos in einem Straßengraben gefunden werden. An Abenden, an denen er nicht den Tod von namentlich genannten Pakistani forderte, hetzte er gegen die USA, den pakistanischen Staat, Polio-Impfungen oder Schulbildung für Frauen. Zu spüren bekam dies die mittlerweile bekannte Malala Yousafzai. Fazlullahs Taliban-Gruppe hatte sich zu dem Anschlag auf die damals 15-Jährig, der international für Entsetzen sorgte, im Oktober vergangenen Jahres bekannt. Die Schülerin, die sich für Mädchenbildung in Pakistan einsetzte, überlebte einen gezielten Kopfschuss schwer verletzt. Es war nur ein Attentat von vielen, das Fazlullah seinen brutalen Ruf einbrachte. Unter seiner Führung standen öffentliche Hinrichtungen auf der Tagesordnung, Schulen wurden zerstört, Musikläden verwüstet.

Ablösekandidat

Fazlullahs Ernennung ist ein schwerer Rückschlag für die Bemühungen der Regierung in Islamabad, mit den Taliban zu verhandeln. Er gehört innerhalb der TTP zu den Hardlinern, die Friedensgespräche strikt ablehnen. TTP-Sprecher Shahid teilte nach Fazlullahs Ernennung mit: "Wir glauben, dass die pakistanische Regierung ein Partner Amerikas ist (...), und wir werden nie mit ihr reden."

Die nicht immer friktionsfreie Beziehung der pakistanischen Taliban mit ihren afghanischen Brüdern hingegen könnte sich unter Fazlullah dramatisch verbessern. Sein Verhältnis zu Mullah Omar, das unter seinem Vorgänger nicht das beste gewesen sein soll, gilt als ausgezeichnet. Die pakistanische Regierung geht davon aus, dass Fazlullah nach einer Militäroffensive im Swat-Tal 2009 nach Afghanistan floh und seither dort lebt. Das und die Tatsache, dass dieses Mal der mächtige Mehsud-Stamm nicht zum Zug kam, könnten Fazlullah jedoch auch zu einem Ablösekandidaten als Taliban-Chef machen - falls nicht eine US-Drohne internen Querelen zuvorkommt. ( Stefan Binder, derStandard.at, 8.11.2013)

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