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Warum Selbstständige den Mutterschutz reformieren wollen

Die Essener Gründerin und Unternehmerin Lisa Matla fordert – wie viele andere selbstständige Frauen – eine Reform des Mutterschutzes. Sie alle haben eine Bundestagspetition unter dem Motto #mutterschutzfueralle unterzeichnet. Foto: Nadine Saupper

Kind oder Firma: Viele selbstständige Frauen fühlen sich vor diese Wahl gestellt, da für sie der Mutterschutz nicht gilt. Das wollen sie ändern.

Zwei Tage, bevor Sohn Robin auf die Welt kommt, steht Andrea Teichmann am Rande des großen Schwimmbeckens. Mit dickem Bauch zeigt sie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ihres Aqua-Fitness-Kurses, welche Übungen diese im Wasser wiederholen sollen.

„Ich habe bis zum Tag der Entbindung gearbeitet. Nicht nur bei Robin, sondern auch bei meinem vierten Kind“, erinnert sich Teichmann. Die 38-Jährige aus Grevenbroich ist selbstständig – und damit nicht durch den Mutterschutz abgesichert.

Das will Teichmann ändern, zusammen mit 111.794 Mitstreiterinnen und Mitstreitern. Sie alle sind Teil der Initiative #mutterschutzfueralle und haben eine Bundestagspetition unterzeichnet, die eine Reform des Gesetzes fordert.

Denn obwohl die EU-Richtlinie allen Frauen Mutterschaftsleistungen zusichert, dürfen in Deutschland zurzeit nur Frauen im Angestelltenverhältnis sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt in den finanziell abgesicherten Mutterschutz gehen. Auf ihr Gehalt müssen sie in dieser Zeit dank Mutterschutzgeld nicht verzichten.„Wie hoch es ist, richtet sich nach dem Durchschnittsverdienst in den letzten 13 Wochen vor dem Mutterschutz“, heißt es dazu von der Bundesregierung. Die gesetzliche Krankenkasse kommt dabei für maximal 13 Euro pro Tag auf, der Arbeitgeber zahlt die Differenz zum durchschnittlichen Nettolohn.

Das Mutterschutzgeld gilt damit als eine finanzielle Unterstützung der gesetzlichen Krankenkassen, sodass Privatversicherte keinen Anspruch darauf haben. Sollten Selbstständige freiwillig bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sein, würde ihnen nur der Betrag von 13 Euro pro Tag zustehen, sofern sie keine Zusatzversicherung abgeschlossen haben.

„Darüber wird man als junge Gründerin überhaupt nicht aufgeklärt“, kritisiert Andrea Teichmann. „Selbst schuld“ oder „Dann entscheide dich halt: Kind oder Firma!“ Vorwürfen wie diesen müssen sich viele Betroffene stellen.

Für sie steht fest: Die unterschiedliche Regelung des Mutterschutzes ist eine „Ungleichbehandlung“, die nicht nur die Schwangeren selbst, sondern auch ihre Angestellten in eine schwierige Lage bringt. „Wenn es schlecht läuft, kommen die Frauen in existenzbedrohende Situationen“, warnt auch Christine Trzaska, Vorsitzende des Verbandes deutscher Unternehmerinnen im Ruhrgebiet.

Außerdem hindere die aktuelle Regelung Frauen daran, überhaupt zu gründen. So liegt der Anteil der Gründerinnen in Deutschland laut Start-up-Verband derzeit bei lediglich 18 Prozent. Die Petition fordert neben mehr Aufklärung daher auch, dass der Staat im Falle einer Schwangerschaft in die Rolle des Arbeitgebers schlüpft – und Selbstständige finanziell bezuschusst oder ihnen eine Betriebshilfe finanziert.

Nach diesem „Luxus der Sicherheit“ hat sich Teichmann während ihrer Schwangerschaften gesehnt. Ihre ältesten Kinder bekam sie noch im Angestelltenverhältnis, „da war es sehr praktisch. Nach den Geburten habe ich nur langsam angefangen, wieder stundenweise zu arbeiten“.

Anstatt sich zu schonen, gab sie als Selbstständige hingegen so lange wie möglich Aqua-Kurse, um ihr Unternehmen finanzieren zu können. „Eine der verrücktesten Sachen, die ich erlebt habe, war, dass eine meiner Mitarbeiterinnen direkt mit einem positiven Schwangerschaftstest ein Beschäftigungsverbot bekam. Dann musste ich ihre Kurse auffangen“, erzählt Teichmann, die zu dem Zeitpunkt selbst in der 35 Schwangerschaftswoche war.

Körperlich sei sie „sehr ans Limit“ gegangen – was auch den Kursteilnehmenden aufgefallen sei. „Warum arbeitest du denn überhaupt noch? Du hast doch einen Mann! Warum suchst du dir nicht einfach eine Vertretung?“ Fragen wie diese seien ihr häufig gestellt worden. „In welcher Zeit leben wir denn, dass ich mich dafür rechtfertigen muss, als Frau für mich selbst sorgen zu wollen?“, sagt Teichmann.

Eine Vertretung einzustellen, das habe sie sich außerdem schlichtweg nicht leisten können. „Es sind so viele Falllöcher, auf die man als Selbstständige aufpassen muss“, hält sie fest. Von ähnlichen Herausforderungen berichten viele Gründerinnen und selbstständige Unternehmerinnen aus Nordrhein-Westfalen dieser Redaktion.

Eine von ihnen ist Lisa Matla aus Essen. Die Jüngste ihrer drei Töchter bekam die heute 29-Jährige 2020 – drei Jahre, nachdem sie ihre Werbeagentur gegründet hatte. „Ich habe meine ersten beiden Töchter in Anstellung bekommen. Da war es relativ einfach geregelt und ehrlich gesagt, habe ich mir auch nicht so viele Gedanken gemacht“, sagt Matla im Rückblick.

„Man geht davon aus, dass es schon passen wird. Aber es passte eben nicht.“ Bis eine Woche vor der Geburt arbeitete sie, bereits zwei Wochen danach stieg sie wieder ein. „Ich hatte das Glück, dass ich nur am Computer sitzen musste. Aber man stellt sich die Zeit natürlich anders vor“, sagt Matla.

Im Gegensatz zu ihr war ihr Mann angestellt – und konnte sich mehr Zeit für die Betreuung der Kinder nehmen, ohne um seine Existenz fürchten zu müssen. „Dann kamen ganz oft Kommentare, wie: Aber du bist doch die Mutter. Du musst das doch machen. Sonst hat dein Kind doch gar keine Mutter“, sagt Matla und kritisiert damit eine weitere Form der Ungleichbehandlung.

Trotz dieser Erfahrungen würde sie nie zurückkehren wollen in ein Angestelltenverhältnis. Ihrer Meinung nach bietet die Selbstständigkeit durchaus große Vorteile, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. „Ich habe mir meine Zeit von Anfang an frei eingeteilt. Ich arbeite zum Beispiel oft vormittags und abends, damit wir die Nachmittage gemeinsam als Familie haben“, sagt Matla.

Diesen Eindruck bestätigt auch Andrea Teichmann. Für sie haben letztendlich jedoch die Nachteile der Selbstständigkeit überwogen. Ganz aufgeben wolle sie ihr Unternehmen zwar nicht, ist jedoch in Teilzeit zurück in ein Angestelltenverhältnis gewechselt, erzählt sie: „Jetzt habe ich einfach wieder mehr Sicherheit.“

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