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Paar aus NRW über Vanlife: So lebt es sich ohne feste Bleibe

Ob in Bayern, Griechenland oder Portugal: Mit ihrem Van sind Jessica und Markus aus NRW durch ganz Europa gereist. Foto: Jessi & Markus

Vanlife liegt im Trend. Auch Jessica und Markus haben im Transporter gelebt. Doch wie viel Realität steckt hinter den schönen Instagram-Fotos?

Für Jessica und Markus beginnt der Tag am Wasser. Sie haben am Ufer des breiten Fjords übernachtet, in dem sich nun die schneebedeckten Gipfel spiegeln. Gestern sind die beiden noch mitten im Wald unter Fichten und Kiefern aufgewacht. Mit welchem Panorama sie in den nächsten Tag starten werden? Ungewiss.

Markus (33) und Jessica (30) reisen zurzeit durch Norwegen – in einem umgebauten Fiat Ducato. Abgelegene Orte entdecken, alles hinter sich lassen, bleiben, wo immer es ihnen gefällt: Das ist es, was das Ehepaar aus Nordrhein-Westfalen – und etliche andere junge Menschen – am sogenannten Vanlife fasziniert.

Mit einem Transporter, Bulli oder Auto unterwegs zu sein, ist für viele längst mehr als bloß eine Möglichkeit, den Urlaub zu verbringen. Während anfangs nur Aussteigerinnen und Aussteiger ihre feste Bleibe aufgaben, ziehen mittlerweile immer mehr Menschen dauerhaft in ein Zuhause auf vier Rädern. Ausgestattet mit Smartphone und Laptop können sie als sogenannte digitale Nomadinnen und Nomaden von der ganzen Welt aus arbeiten.

Vanlife wird als Lebensmodell verkauft, das Nähe zur Natur, Freiheit und den Ausstieg aus dem Hamsterrad verspricht. So präsentieren es jedenfalls die knapp 13,5 Millionen Fotos, die unter dem gleichnamigen Hashtag bereits auf der Social-Media-Plattform Instagram geteilt wurden. Doch wie idyllisch ist das Leben und Arbeiten im Van tatsächlich?

März 2020: Während sich die meisten Menschen mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in ihre eigenen vier Wände zurückziehen, leben Jessica und Markus sich in ihrem neuen Zuhause ein. Sechs Meter lang, zwei Meter breit und 2,5 Meter hoch ist ihr „Vani“.

In einem Transporter zu leben, war für das Paar, das im Münsterland aufgewachsen ist, eine pragmatische Entscheidung. Die beiden hatten sich als Hochzeitsfotografen selbstständig gemacht, reisten für ihre Aufträge durch ganz Europa.

„Irgendwann haben wir im Kalender aufgeschrieben, wie viele Tage wir im Jahr unterwegs waren. Dann ist uns aufgefallen, dass wir weniger als ein halbes Jahr in unserer Wohnung in Neuss waren. Und wir haben festgestellt, dass wir noch viel mehr schöne Orte sehen könnten, wenn wir die Routen zu den Hochzeiten verbinden würden.“

2019 kauften sie sich einen Transporter, bauten ihn monatelange nach ihren eigenen Vorstellungen um. Im Februar 2020 sollte das Abenteuer beginnen. Über Frankreich und Spanien wollten sie zunächst nach Portugal fahren, von dort aus dann weiter von Auftrag zu Auftrag, von Hochzeit zu Hochzeit.

So zumindest der Plan. Dann brach die Pandemie aus. „Alles, was wir hatten, war von einem auf den anderen Tag weg. Alle Hochzeiten wurden abgesagt, wir hatten keine Einnahmequelle mehr, die Wohnung war weg“, sagt Jessica. „Unsere Eltern haben uns sowieso für bekloppt erklärt. Wir wollten aber nicht nach vier Wochen wiederkommen und sagen: Ihr hattet recht, wir können nicht im Van leben.“

So blieben sie in Portugal, verbrachten viele Wochen zusammen mit anderen Nomadinnen und Nomaden an einem Stellplatz am See. „Wir hatten glaube ich den schönsten Lockdown auf der ganzen Welt“, sagt Jessica im Rückblick. Eher aus Langeweile begannen die beiden, die in Mülheim und Duisburg studierten, ihren neuen, improvisierten Alltag auf der Social-Media-Plattform Instagram zu teilen.

Mittlerweile ist der Account @jessiandmarkusdiaries zu ihrer Haupteinnahmequelle geworden. Ob Polen, Estland, Bayern oder die Kanaren: Ihren mehr als 180.000 Followerinnen und Follower wollen sie das Gefühl geben, gemeinsam mit ihnen auf Reisen zu sein.

Sie posten Fotos vom Frühstück am See, vom Strand-Picknick im Kerzenschein und vom Sternenhimmel über ihrem Van. Idylle pur. Oder? „Wir hatten in Griechenland eine Woche Dauerregen. Wenn schönes Wetter ist und wir den ganzen Tag draußen sein können, ist der begrenzte Platz überhaupt kein Problem. Aber bei Regen ist es schon eine große Einschränkung“, gibt Jessica zu.

Es komme auch vor, dass sie nicht an einem einsamen Strand, sondern auf einem Supermarktparkplatz übernachten. Jessica ist es wichtig, auch diese weniger schönen Momente auf Instagram zu teilen. „Wir haben gerade erst einen Zeitraffer gepostet, in dem wir zeigen, wie wir das Chaos hier beseitigen“, sagt sie. „Aber trotzdem zeigen wir immer nur Ausschnitte unseres Lebens und in dem Sinne ist es schon inszeniert.“

Dem Vorwurf, nur die schönen Seiten des Vanlife zu zeigen, müssen sie sich häufig stellen, erzählt Markus: „Aber wenn wir richtig schönes Wetter haben, dann ist das Leben im Van halt wirklich genauso schön, wie es auf Instagram dargestellt wird. Ich finde nicht, dass Vanlife eine Fake-Welt ist.“

Doch so endlos der Sommer und so grenzenlos die Freiheit auch sein mag, nach 1,5 Jahren Leben im Van wurde bei Jessica und Markus die Sehnsucht nach einer festen Bleibe immer größer. „Weil wir so viel unterwegs waren, haben wir einen Ort nie wirklich lange sehen. Wir wollten so gerne an einem Ort sehen, wie sich die Jahreszeiten ändern“, sagt Jessica.

So fuhren sie im vergangenen Sommer mit ihrem alten Zuhause quer durch Schweden, um ein neues Zuhause zu finden. Eines Tages in einem roten Holzhäuschen mitten in der Natur zu leben, in einer Welt, wie Astrid Lindgren sie in ihren Büchern beschreibt: Davon träumt das Paar schon seit Jessicas Auslandssemester im skandinavischen Nachbarland.

Mittlerweile haben sie sich den Traum erfüllt. Auf dem großen Grundstück hat auch „Vani“ einen Stellplatz gefunden. Dauerhaft. „Das Gefühl zum Van hat sich total geändert“, sagt Jessica. „Früher war er für mich mein Zuhause. Jetzt fahren wir nur noch mit ihm los, wenn uns der Reisedurst überkommt.“

Dann packen sie ihre Sachen, füllen den Wassertank auf – und machen sich auf den Weg. Zum Beispiel, um die Fjorde, Wanderwege und Berggipfel Norwegens zu entdecken. Immer mit der Möglichkeit, in ihr rotes Schwedenhäuschen zurückzukehren.

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