Christian Mihr ist der Chef von »Reporter ohne Grenzen« in Deutschland. Im Kinder-Interview sagt er, in welchen Ländern die Arbeit für Reporter besonders gefährlich ist – und warum soziale Medien dort so wichtig sind.
Dein SPIEGEL: "Reporter ohne Grenzen" bewertet, wie frei Journalisten in jedem Land arbeiten können, und erstellt daraus eine Rangliste. Deutschland ist auf Platz 11. Warum haben wir es nicht auf den ersten Platz geschafft?
Mihr: In Deutschland läuft vieles schon sehr gut. Aber es gibt Länder, die einige Dinge besser machen. Ein Problem ist, dass in Deutschland die Gewalt gegen Journalisten zunimmt. Sie werden auf Demonstrationen immer öfter angegriffen. Ein zweiter Punkt ist, dass einige deutsche Gesetze es Behörden wie der Polizei einfach machen, Reporter zu überwachen.
Dein SPIEGEL: Wo ist die Arbeit für Journalisten am gefährlichsten?
Mihr: Auf dem letzten Platz unserer Rangliste liegt Nordkorea. Dort haben Journalisten gar keine Möglichkeit, frei zu berichten. Besonders gefährlich ist es in Syrien und Afghanistan, wo Krieg herrscht. Auch in Mexiko werden oft Journalisten umgebracht. Dort gibt es viele kriminelle Banden und Politiker, die verhindern wollen, dass über ihre Verbrechen berichtet wird.
Dein SPIEGEL: Wenn man über Nachrichten aus diesen Ländern spricht, heißt es: "Die Pressefreiheit ist eingeschränkt." Was ist das eigentlich genau: Pressefreiheit?
Mihr: Pressefreiheit ist das Versprechen, dass Menschen sich informieren können. Dafür braucht es Journalisten, die frei berichten. Pressefreiheit ist also nicht nur für die Journalisten wichtig, sondern für alle Menschen. Pressefreiheit ist ein Menschenrecht.
Dein SPIEGEL: Was machen die Mitarbeiter von "Reporter ohne Grenzen" dafür?
Mihr: Wir setzen uns dafür ein, dass Reporter überall sicher arbeiten können. Deshalb haben wir Mitarbeiter auf der ganzen Welt. Wenn irgendwo ein Reporter ermordet wurde oder ein Gesetz gegen Pressefreiheit beschlossen wird, sammeln wir alle wichtigen Informationen und berichten darüber. Einige Mitarbeiter kümmern sich auch direkt um Journalisten, die in Gefahr sind.
Dein SPIEGEL: Wie sieht diese Hilfe aus?
Mihr: Journalisten, die über einen Krieg berichten, sind in besonders großer Gefahr. Es kommt vor, dass sie angeschossen werden. Oft können sie vor Ort nicht medizinisch behandelt werden. Wir helfen ihnen dann dabei, ein Krankenhaus im Ausland zu finden. Manche Reporter werden so sehr bedroht, dass sie ihr Land verlassen müssen. Dann organisieren wir die Flucht und sorgen dafür, dass sie nach Deutschland kommen. Hier unterstützen wir sie dabei, sich ein neues Leben aufzubauen.
Die Kinderreporter
Amelie aus Berlin geht in die achte Klasse. Sie spielt Klavier und Handball, reitet, fährt viel Rennrad und fotografiert gern. Elias wohnt auch in Berlin und ist in der neunten Klasse. Er geht zu den Pfadfindern, spielt Gitarre und Computer und macht Crossfit.
Dein SPIEGEL: Ist die Arbeit auch für Mitarbeiter von "Reporter ohne Grenzen" gefährlich?
Mihr: In Deutschland nicht. Trotzdem soll niemand von außen erkennen können, wo unser Büro ist. Wir haben kein Logo an der Tür, und unser Name steht nicht auf dem Klingelschild. Wir machen das aber nicht unseretwegen, sondern wegen der ausländischen Journalisten, die wir unterstützen und die auch in unser Büro kommen. Einige von ihnen werden auch noch in Deutschland bedroht. In anderen Ländern ist die Arbeit für unsere Mitarbeiter gefährlicher. Einige von ihnen mussten fliehen oder saßen im Gefängnis, zum Beispiel in der Türkei. Ein Kollege, der in dem afrikanischen Land Gambia arbeitete, wurde sogar ermordet.
Dein SPIEGEL: In manchen Ländern kontrollieren Politiker die Medien. Wie machen sie das?
Mihr: Ganz unterschiedlich. Sie können Gesetze beschließen, die die Arbeit für Journalisten schwieriger machen. Oder sie lassen Reporter hart bestrafen. Das verunsichert andere Journalisten, die sich dann nicht mehr trauen zu berichten.
Dein SPIEGEL: Wie kommen die Nachrichten aus solchen Ländern an die Öffentlichkeit?
Mihr: Soziale Medien sind dabei extrem wichtig. Politiker können sie nicht so einfach kontrollieren. Sie gehören privaten Unternehmen. Die machen die Regeln, nicht die Politiker. In manchen Ländern sind die Plattformen daher verboten. Aber viele Politiker trauen sich nicht, zum Beispiel Instagram zu sperren. Sie wissen, dass zu viele Menschen Instagram nutzen und dann wütend auf die Regierung wären. Viele Redaktionen können ihre Berichte also nur auf den sozialen Medien teilen.
Dein SPIEGEL: Gemeinsam mit Ihrem deutschen Team haben Sie schon mehr als 700 Journalisten weltweit geholfen. Gibt es einen Fall, an den Sie sich besonders gut erinnern?
Mihr: Vor ein paar Tagen habe ich einen ausländischen Journalisten getroffen, der zehn Jahre lang im Gefängnis saß. Vor Kurzem wurde er freigelassen und konnte nach Deutschland kommen. Wir hatten uns die ganze Zeit für seine Freiheit eingesetzt. Er hat mir gesagt, dass ihm das viel Kraft gegeben hat. Das hat mich sehr berührt.
Redaktionelle Begleitung: Sophie Sommer
Dieses Interview erschien in "Dein SPIEGEL" 11/2020. Zum Original