SPIEGEL ONLINE: Wie sehen diese Angriffe auf Sie aus?
Schulze: Es ist alles dabei. Beleidigungen gegen mich und mein Aussehen. Es wurden Bilder von mir umgestaltet, damit es aussieht, als würde ich einen Hitlergruß zeigen, es wurden Anti-Schulze-Videos produziert. Und es wurde dazu aufgerufen, Dreck über mich herauszufinden und mich zu vergewaltigen.
SPIEGEL ONLINE: Wie geht es Ihnen, wenn Sie so etwas lesen müssen?
Schulze: Man muss sich das einfach mal vorstellen: Ich stehe morgens auf, frühstücke und gucke dabei in meine E-Mails. Das Erste, was ich sehe ist eine Nachricht, in der ein Typ mir schreibt, wie ich vergewaltigt werden soll. Natürlich geht es mir nicht gut, wenn ich ständig lese: Du bist zu hässlich, zu dick, du gehörst vergewaltigt. Das tut weh. Und es macht mich wütend. Niemand darf so mit mir oder mit jemand anderem umgehen. Ich habe als Frau genauso das Recht, Politik zu machen.
SPIEGEL ONLINE: Frauen sind überproportional häufig Ziel rechtsextremer Hassattacken im Internet. Warum?
Schulze: Ich glaube, es verträgt sich einfach nicht mit dem Weltbild der Rechten, dass es Frauen gibt, die klar und deutlich ihre Meinung vertreten. Und das Internet als teilanonymer Raum ist eine perfekte Gelegenheit für diese Leute, um andere ihren Chauvinismus, Hass und Sexismus spüren zu lassen. Leider geht es ja nicht nur Frauen so. Auch Migranten, Homosexuelle, transidente Personen oder Menschen mit Behinderung werden im Netz besonders häufig angegangen.
SPIEGEL ONLINE: Bemerken Sie Unterschiede bei der Art von Hasskommentaren, die Sie im Vergleich zu männlichen Kollegen bekommen?
Schulze: Ein männlicher Kollege und ich erlebten vor ein paar Jahren mal einen gemeinsamen Shitstorm. Wir haben für eine Aktion beide Hass von rechts bekommen und haben uns dann diese Kommentare gegenseitig vorgelesen. Es war wirklich auffällig, wie unterschiedlich die waren. Bei mir waren es sehr viele Beleidigungen und Bedrohungen, die sich auf mein Aussehen bezogen haben, auch sexualisierte Fantasien. Das gab es bei meinem Kollegen nicht. Er hat auch Nachrichten bekommen wie: "Hängt die Grünen auf". Aber diesen Fokus auf den Körper, auf eine Person als sexuelles Objekt, das gab es bei ihm nicht.
SPIEGEL ONLINE: Wie wirkt sich Online-Hass auf Ihre politische Arbeit aus?
Schulze: Der Kampf gegen rechts ist Teil meiner politischen DNA. Wenn ich jetzt so viel Hass von dieser Seite bekomme, hat das zwei Auswirkungen auf mich: Erstens lasse ich mich nicht einschüchtern. Es bestärkt mich vielmehr, den Kampf für Demokratie, Vielfalt und Toleranz zu intensivieren. Zweitens arbeite ich politisch an dem Thema weiter: Es kann doch nicht sein, dass wir als Gesellschaft erwarten, man müsse Hass und Hetze einfach aushalten. Das ist nicht mein politischer Handlungsanspruch.
SPIEGEL ONLINE: Welche Möglichkeiten sehen Sie denn, besser gegen Hate Speech vorzugehen?
Schulze: Wir brauchen Beratungsstellen für Opfer und müssen mehr darüber aufklären, wie Hasskommentare entstehen. Denn eigentlich sind die Urheber ja eine Minderheit, die im Internet aber besonders laut ist. Und in Polizei und Justiz muss es mehr entsprechend ausgebildete Leute geben, die Hate Speech konsequent und schnell nachgehen. In Bayern gibt es außerdem immer noch keine virtuelle Polizeiwache, bei der ich online Strafanzeige stellen kann. Das ist einfach peinlich. Wenn ich möchte, dass Leute Hasskommentare anzeigen, braucht es auch niedrigschwellige Angebote dafür.
SPIEGEL ONLINE: Zeigen Sie selbst Hasskommentare an?
Schulze: Inzwischen zeige ich alles an. Am Anfang habe ich viele Sachen einfach gelöscht, weil ich dachte, es ist egal oder zu aufwendig. Aber das ist es nicht. Erst wenn Hass in der Statistik sichtbar wird, wird das Problem auch als solches wahrgenommen. Viele Verfahren werden eingestellt. Aber immer mal wieder hat man Erfolg, dann bekommen die Verfasser eine Geldstrafe oder müssen sich entschuldigen. Ich finde das genau richtig, das Internet ist kein rechtsfreier Raum.
SPIEGEL ONLINE: Wie häufig sind Sie momentan mit Hasskommentaren konfrontiert?
Schulze: Oft. In den sozialen Medien ist es eigentlich egal, was ich poste: Darunter tauchen immer Hasskommentare auf. Ich bekomme auch jede Woche E-Mails, in denen ich beleidigt werde. Ich habe allerdings das große Glück, dass ich ein tolles Team habe. Das hilft mir, mit dieser Flut umzugehen. Deshalb muss ich auch nicht jede Nachricht selbst lesen. Mein Team unterstützt mich beim Sichten und Anzeige erstatten. Das alles allein machen zu müssen, wäre schmerzhaft.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, dass Ihr Job ohne soziale Medien angenehmer wäre?
Schulze: Er wäre anders. Aber ich habe mich bewusst dafür entschieden, soziale Medien zu nutzen. Mir ist es wichtig, die Leute mitzunehmen und transparent über meine Arbeit zu informieren. Das hat die negative Folge, dass mich Hass und Hetze leichter erreichen. Aber es gibt auch viele positive Rückmeldungen von Leuten, die sich für die Informationen bedanken oder mir sagen, dass sie meine Arbeit gut finden.
SPIEGEL ONLINE: Gab es schon mal Situationen, in denen Sie sich wirklich Sorgen gemacht haben?
Schulze: Klar. Ich bekomme auch Morddrohungen. Letzens war ein trauriger Rekord, da waren es zwei in einer Woche. Ich habe einen Antrag im Landtag gestellt zur Aufklärung über eine Todesliste aus dem rechtsextremen Nordkreuzchat. Am nächsten Tag hatte ich eine E-Mail vom sogenannten Staatsstreichorchester im Postfach, dass ich die Nächste auf der Todesliste bin. Dass die mich umbringen werden. Da wird einem schon anders zumute.