Lilli* weint nicht mehr. Seit sie Single ist. Dabei waren ihre Ex-Freunde weder Psychopaten, noch Arschlochkerle, die Frauen absichtlich weh tun. Aber eben Jungs Anfang 20, die Dinge getan haben, die Lilli verletzt haben.
Viereinhalb Jahre dauerte ihre erste ernste Beziehung. Erster Sex, erste große Gefühle. Mit 15 kamen sie zusammen, als sie 20 war, machte er Schluss. Der Mensch, der immer ihr „Kerl" gewesen war, war weg. Lilli flüchtete sich in eine neue Beziehung, ein „Backup". Sechs Monate lang. Weil es sich weniger einsam anfühlte. Weil sie dachte, dass man mit Typen, die man gut findet, auch zusammen sein muss.
„Das ist aber nicht so", sagt Lilli. 22 Jahre alt, eine zierliche junge Frau mit Rehaugen und Kurzhaarschnitt. Sie sitzt entspannt in einer Münchner Kneipe: gedämpftes Licht, durchgesessene Möbel, Bier statt Sekt. Seit neun Monaten findet sie sich in der Welt der Singles zurecht. Einer Welt der Möglichkeiten und Fallstricke. „Manchmal fühle ich mich wie ein Kleinkind, das versucht, zu laufen und ständig hinfällt. Ich bin noch dabei, alles zu lernen." Sie lernt viel: Wie es ist, wenn Kumpels sich auf einmal in einen verlieben, wie scheiße es sich anfühlt, wenn Männer sich nach dem Sex nie mehr melden und wie einsam man alleine auf einer Party ist.
Schneller Sex, eine Affäre, eine Beziehung: Nachts beginnt in den Clubs und Kneipen die JagdBen, 27, kennt dieses Gefühl auch. Er mag es nicht. „Du bist auf einer Mainstream-Party und dann sind da ein paar Pärchen und dann spielen sie ein paar Schnulzen. Und du denkst dir: Kommt schon, Leute, what the fuck?" Wenn Ben spricht, wenn er lacht, dann klingt das immer ein bisschen nach What-the-Fuck. Who cares, Schulterzucken. „Gehst du eben in den nächsten Raum und tanzt weiter." Ben ist Single, seit anderthalb Jahren, in seiner Giesinger Wohnung lebt er allein. Er hat gelernt, ein What-the-Fuck-Single zu sein, der lieber vom Tanzen spricht als vom Einsamsein. Ben glaubt, dass man alles lernen kann. Wie eine Beziehung funktioniert, wie guter Sex. Und wie man beides bekommt. „Ich habe ein Ziel", das sagt er oft. Und legt dabei die Hand auf die Brust, dahin, wo das Herz schlägt.
Ein paar Kilometer westlich sitzen Felix und Lisa in ihrem Wohnzimmer. Er, 25, trägt ein schwarzes Hemd, einen Knopf zu weit offen. Die Jeans hält ein Gürtel mit Drachenschnalle, die, wie er findet, „geil aussieht". Ein unangenehm angenehmer Typ, sehr einnehmend, sehr von sich überzeugt. Daneben sie, 29, sehr schwanger. Am Wahlsonntag machen sie ihr Kreuz bei der CSU, jetzt sprechen sie über die Vorzüge einer offenen Ehe, ihrer offenen Ehe.
Es war Lisas Idee, nicht monogam zu leben. „Er ist ja jünger als ich und er geht gerne weg", sagt sie und wendet sich zu ihm: „Ich wollte, dass du erwachsen wirst." Sex mit Fremden bringe Spannung und Neues in die Beziehung. Hinterher erzählen sie sich immer alles, haarklein. Das ist die wichtigste Regel.
Sie hat ihm beigebracht, dass er die Frauen nicht zuquatschen soll, sondern zuhören. „Einfach mal die Fresse halten", sagt sie. Er soll gut ankommen, auch an diesem Abend, wenn er sich gleich aufmachen wird, eine Frau zum Vögeln zu finden, die nicht seine ist. „Ziehst du dein Jackett an?", fragt sie, „Dann muss ich das noch ausbürsten."
Sie schiebt ihren Schwangerschaftsbauch vom bequemen Sofa und bürstet los. „Das Hemd ist faltig", sagt sie.
„Es ist nicht gebügelt", sagt er.
„Deine Hemden sind alle gebügelt", sagt sie.
„Ich nehm' die manchmal vom Ständer", sagt er.
„Na toll", sagt sie, „das ziehst du jedenfalls nicht an. Sieht aus, als hättest du darin geschlafen."
Er geht ins Schlafzimmer, zieht ein anderes an, genauso schwarz, weniger faltig. Er kommt zurück in den Flur, mit ihm eine Parfumwolke. „Ring?", fragt er. „Ja, aber nicht den Ehering", sagt sie. Zum Abschied ein Küsschen.
Wenn das Licht erlischt, ist alles möglich. Für Felix und Ben, auch für Lilli. Die Stadt taucht ein in die Nacht. In den Clubs und Kneipen beginnt die Suche, die Jagd: nach schnellem Sex, einer Affäre, dem Partner fürs Leben. Oder einfach nur nach sich selbst. Was man sucht, ist unterschiedlich. Liebe im weitesten Sinne vielleicht, Bestätigung, Vervollkommnung. Wie man findet, auch. Alle haben das gleiche Ziel: glücklich sein. Aber den vorgezeichneten Liebesweg gibt es nicht mehr. Jeder darf alles, doch was will man eigentlich? Und ob man will oder nicht, man muss sich entscheiden.
Du hast jeden Tag ein neues Leben - Ben„Geile Musik, Tanzen, Quatschen, was auch immer", das sind Bens Nächte. Hier und da lernt er eine Frau kennen, ab und an nimmt er eine mit nach Hause. Nicht zu viel nachdenken über das Alleinsein, auch tagsüber. Rausgehen tut gut, sagt er, Sport. „Du hast jeden Tag ein neues Leben. Was gestern war, kannst du nicht ändern." Im Wohnzimmer steht die Hantelbank, er könnte sich sofort drauf legen und losstemmen. Daneben das Fahrrad, er könnte sofort drauf springen und losfahren. Er tut es nicht.
Er sitzt auf dem Sofa und spricht über seine Ex. Auf dem Tisch stehen Wasserpfeife und Alkohol, aus den Boxen wummern Elektro-Beats. Heute will Ben tanzen. Fünf Jahre waren sie zusammen, sie hat Schluss gemacht, „sie hat mir definitiv mehr bedeutet als ich ihr." Liebe, glaubt er, braucht Zeit. Liebe kommt, wenn man weiß, wie der andere tickt, wann er gestresst ist, wann sentimental. Zeit nimmt sich Ben nicht für jede. Von der einen oder anderen hier und da war keine dabei, für die es sich gelohnt hätte.
Ben könnte keine feste Beziehung haben mit einer, die er nicht heiraten würde. Mit seiner Ex hat er Arm in Arm Zähne geputzt, „du schläfst mit der Frau, du kennst ihren kompletten Körper - und dann sollst du sie aus dem Bad schicken?" Das Lied wechselt, keine Beats mehr, Rihanna singt vom Bleiben. „Ich lag auch schon nächtelang wach und hab ihr beim Schlafen zugeschaut", sagt Ben und geht ins Bad. Als er zurückkommt, trägt er Sakko und Gel im dunklen Haar. Der Beat setzt ein, Rihanna im Remix. „War damals, war schön", sagt Ben, „aber wer weiß, was morgen passiert? Oder heute?" Hinter ihm fällt die Haustür zu. Zurück bleibt: eine leere Männer-Wohnung, keine Deko. Nur ein Alpenpanorama an der Küchenwand. Bens Vater hat es aufgehängt. Ben hat es nicht abgenommen. Who cares? Die Nacht wartet.
Lilli ist keine Frau, die die Nacht zur Jagd macht. Was passiert, passiert. Vielleicht will sie lieber gefunden werden. „Ich bin ein Beziehungsmensch", sagt sie. Vor kurzem hat sie jemanden getroffen, bei dem diese Vertrautheit da war, die sie manchmal vermisst. „Aber da ging es nicht um den Kerl, sondern um das Gefühl." Sie hat gemerkt, dass sie viel zu geben hätte. Nur zur Zeit nicht. Lilli denkt in Abschnitten, und da gibt es solche, die für Beziehungen da sind und andere, in denen man alleine weiter kommt. Gerade hat sie ihren Bachelor gemacht, bald geht sie ins Ausland, erst USA, dann Dublin. Mit Freund hätte sie das nie gemacht. „Ich würde mir ins Knie schießen, wenn ich jetzt jemanden kennen lernen würde."
Es ging nicht um den Kerl, es ging um das Gefühl - LilliSie sucht nach einem leichteren Gefühl, einem „Crush". Sie mag das Wort, es klingt nach Knall, nach Anziehung. Lilli sieht sich um, nach „Crush" sieht es bei keinem der Männer aus. Ein ruhiger Abend. Dann vibriert ihr Handy.
Felix hat inzwischen eine Bar im Uni-Viertel erreicht. Keine zwölf Sekunden braucht er, schon redet er mit einer Frau. Es ist voll, es ist heiß. „Ganz schön eng hier", sagt er zur ersten Blonden, die im Weg steht. Ein bisschen Smalltalk, den er bald beendet. „Die hatte eine Freundin auf Krücken dabei, die werden sich den ganzen Abend nicht mehr trennen", sagt er, „bedenke die Konsequenzen." Innerhalb einer halben Stunde redet er mit fünf Frauen, alle blond. „Wie lange habt ihr auf ein Bier gewartet?", fragt er eine, als er ein Bier holen will.
Ein paar Minuten später steht eine Frau hinter ihm am Tresen. „Ganz schön heiß hier", spricht er sie an. „Ja, total heiß", sagt sie. „Und jetzt kommst du auch noch", sagt er. Sie schaut angewidert, der Zug ist abgefahren. Der nächste steht schon am Eingang: Paula. „Auf wen wartest du?" fragt Felix. Auf Bekannte, die sie alle nicht mag, sagt Paula. Felix hat sein Opfer gefunden. Ein Mädchen allein in einer Bar, der kann man gut zuhören. Paulas Pony ist akkurat geschnitten, natürlich blond. Um ihren Arm hängt ein Jutebeutel. „There is much love in this bag", steht darauf. Dieses Versprechen nimmt Felix ernst.
Er und Paula unterhalten sich stundenlang, am Tresen, auch draußen bei einer Zigarette. Als die Bekannten kommen, die Paula nicht mag, bleibt sie bei Felix. Sie hat viel zu erzählen, vor allem zu klagen: Über ihren Vater, Klausurstress, darüber, dass sie gerade gezwungen wurde, Sambuca zu trinken. Felix gibt ihr eine Cola aus, abfüllen muss er sie nicht mehr. Er hört zu. Einfach mal die Fresse halten. Sie jammert und jammert, er ist verständnisvoll. Als die Bekannten von Paula wieder gehen, sagt sie: „Ich bleibe noch." Irgendwann geht sie aufs Klo, Felix ist sicher, dass er mit ihr nach Hause gehen wird. Er hat seiner Frau schon eine SMS geschrieben. Sie kann besser schlafen, wenn sie weiß, wo er ist.
Felix hat seinen Hafen gefunden, sagt er. Obwohl er mit fremden Frauen schläft, hat er das, wonach andere suchen: Geborgenheit, das Gefühl, ein Zuhause zu haben. Dass daheim mehr wartet als ein Alpen-panorama, dass ein Mensch mehr auslöst als ein kurzes Herzklopfen. Egal, wie lange man sucht. Egal, wie oft man glaubt, gefunden zu haben. Egal, wie oft man scheitert: Man sucht immer weiter, nach der „besseren Hälfte", dem „Seelenverwandten", dem „Topf zum Deckel". Psychologen sagen, dass man in einer Beziehung eigene Schwächen ausblenden kann. Aber heißt das nicht, dass wir zu faul sind, an uns selbst zu arbeiten?
In der Eckkneipe tippt Lilli auf ihrem Handy herum. Sie hat eine SMS bekommen, von einem Typen, bei dem dieses Knall-Gefühl da war. Lilli hatte ihn vor ein paar Wochen auf einer Party kennen gelernt. Sie hatten geredet, geflirtet, dann ist sie mit ihm heimgegangen. Nichts Verbindliches, aber es war okay. „Weil wir cool waren." Wieder so eine Sache, die sie als Single gelernt hat: Ein One-Night-Stand muss sein wie ein Film. Mit stimmigem Vorspann, Dramaturgie und Soundtrack, der in der Nacht beginnt und am Morgen endet. Etwas Abgeschlossenes. Doch der „Kerl" meldet sich immer noch sporadisch, „wenn er blau ist". Obwohl nicht klar ist, was er sich davon erhofft. Lilli mag das nicht. Sie mag Männer, die wissen, was sie wollen. Weil sie es auch weiß. Sie hat viel nachgedacht nach ihrer Trennung. Davor musste sie das nicht. Da war ja ständig jemand da.
Lilli packt ihr Handy weg. Bislang ist noch niemand in der Kneipe interessant für sie. Außer dem DJ. DJs seien spannend, weil sie eine Leidenschaft für etwas hätten. Also schaut Lilli sich die DJs immer an. Von der anderen Seite der Kneipe schauen drei Jungs Lilli an. Lilli ist das egal, sie geht, sie interessiert sich jetzt erst einmal für sich selbst.
Ganz schön heiß hier und jetzt kommst du auch noch - Felix„Als Single", sagt Ben, „ist man nie nicht auf der Suche." Ein Club im Keller, stampfende Bässe, zu laut zum Unterhalten, zu schnell zum Engtanzen. Das Bier ist nicht teuer. Viel trinken will Ben nicht. „Ich mag Kontrolle, weil ich Kontrolle habe", sagt er. Im Job sorgt er dafür, dass die Meetings effizient sind. „Ich werde jetzt kein Mädel anquatschen, nur, weil ich sie anquatschen will. Da muss was sein, das mir sagt, es lohnt sich, es macht Sinn." Ein Lächeln, ein Blick. Er will sicher sein, dass egal ist, was er sagen wird. In zwei, drei Sekunden schätzt er ein, wie jemand fühlt. Und wer zu ihm passt. Schlank soll sie sein und kleiner als er, er muss sie ja tragen können. Kurze Haare darf sie nicht haben, er will ihre Haare im Nacken fühlen, wenn er sie küsst. Vergeben sollte sie auch nicht sein: „Da musst du ja besser sein als ihr Typ, das wäre viel zu viel Aufwand. Das wäre ineffizient." Ben ist kein Kämpfer.
Sich selbst hat er schon gefunden, glaubt er. Aber eigentlich würde er sich am liebsten verlieren, mit Haut und Haaren. Die Kontrolle aufgeben, sich voll und ganz einlassen auf eine Frau.
Hier ist keine, die ihn interessiert, die drei Sekunden sind um. Ben schließt die Augen. Wenn er tanzt, dann fühlt er. Würde es sich jetzt lohnen, würde er sie anlächeln. Er würde besonders oft blinzeln, er hat schöne Wimpern, das hat man ihm oft gesagt. Er würde Selbstbewusstsein ausstrahlen und sie wie zufällig berühren. Er würde keine Frage stellen, ohne zu wissen, welche Antwort er will. Er würde spüren, wenn es passt. Vielleicht will Ben nur überrascht werden. Aber nicht heute. Es ist zwanzig nach zwei, er geht nach Hause. Morgen ist ein neues Leben.
Auf Felix wartet eine Überraschung, jetzt, als Paula, die klagende Blonde, vom Klo kommt. Sie gehe nach Hause, sagt sie, in den nächsten Tagen stünden Klausuren an. Stundenlang haben sie geredet, für nix. Für Felix ist der Abend gelaufen.
Er macht sich auf den Weg zur U-Bahn. Auf der Anzeigetafel steht „30 Minuten", neben einer Wartebank Pia. Ihre Haarfarbe ist nach Felix' Geschmack. „Du musst bestimmt auch zum Stachus", sagt er. Sie nickt. „Dann willst du bestimmt dahin laufen." Die beiden gehen los. Sie läuft schnell, Felix redet sanft und viel, zu viel. Erzählt von seiner Ausbildung, von seinem Job. Nach zehn Minuten: Angriff. „Weißt du, wo es die beste Eisschokolade der Stadt gibt?" Weiß sie nicht. „Gleich hier hinten durch", sagt er.
Blöd, dass Nacht ist. Nach zwölf Minuten: „Hab ich deinen Namen schon erfahren?" Hat er, macht aber nix. „Ich bin auch endschlecht im Namenmerken", sagt sie. „Man hat herausgefunden, dass Menschen, die sich Namen beschissen merken können, wesentlich intelligenter sind als der Rest", behauptet Felix. Sie sind jetzt am Stachus angekommen, Pia verabschiedet sich. „Also du verwehrst mir, dass ich dich zu einer Eisschokolade einlade?", fragt Felix. „Ja", sagt Pia. „Gut", sagt Felix, „ist doch eine Ansage. Triff eine Entscheidung und leb' mit der Konsequenz." „Ok, wann?", fragt Pia. Sie gibt ihm ihre Handynummer. Er wird sich bei ihr melden, irgendwann. Es wird ihm nicht um kalten Kakao gehen.
*Alle Namen von der Redaktion geändert
Fotos. Martin Moser.