Platzwunden, gebrochene Nasen, Alkoholvergiftungen: Für die Münchner Kliniken bedeutet Oktoberfest vor allem eins - Mehrarbeit. Ein nächtlicher Besuch in der Notaufnahme.
München (dpa) - An seinem Bein klafft ein offener Bruch, doch den alten Mann scheint nur eins zu interessieren: Alkohol. "Gibt's hier noch irgendwo Weißbier?", fragt er, als seine Liege in die chirurgische Notaufnahme geschoben wird. Bier gibt es nicht in der Universitätsklinik, dafür eine Girlande mit Brezn und Bierkrügen aus
Papier. Die Ärzte haben sich eingestellt auf die Patienten vom Oktoberfest. An einem Samstagabend wie diesem kommen besonders viele - die Klinik ist nur einen Kilometer von der Festwiese entfernt.
Wenn auf der Wiesn die Menschenmassen feiern, haben die Münchner Kliniken alle Hände voll zu tun: Platzwunden, Brüche, blutende Nasen - alle zehn bis zwanzig Minuten bringt der Sanitätsdienst einen neuen Patienten. Der Mann nach der Wiesn-Schlägerei ist an diesem Samstag um 23.00 Uhr die Haupt-Klientel in der Chirurgischen Klinik an der Nußbaumstraße. Ein paar Meter weiter in der internistischen Notaufnahme sind es die Betrunkenen: Etwa das rothaarige Mädchen Mitte 20, das nach drei Maß wie ein Sack Mehl auf die Liege gehievt werden musste. Neben seinem Bett steht eine Plastiktüte. Inhalt: eine Handtasche, die streng nach Erbrochenem riecht. Oder der 19-Jährige, der zwar mit wenig Promille, aber dafür mit heftigen Bauchschmerzen auf einer Liege liegt.
Vier Betten hat die internistische Notaufnahme, sechsmal pro Tag wechseln die Patienten. Wenn viel los ist, werden die Betrunkenen auf zwei Ausweichräume verlegt. In anderen Kliniken, etwa im Rotkreuz-Klinikum sind diese ständig belegt. Dort liegen die Matratzen sogar direkt auf dem Boden - damit die Betrunkenen nicht vom Bett fallen und sich verletzen.
In der Innenstadt herrscht etwas weniger Andrang. "Letzten Donnerstag haben wir die Räume zum letzten Mal gebraucht", sagt der Leiter der Notaufnahme Markus Wörnle. Das Erstversorgungszelt auf der Festwiese fängt viel ab. In die Klinik kommen nur die drastischen Fälle. Mit Alkohol allein bringt sich kaum ein Patient in Lebensgefahr. Sich mit Bier lebensgefährlich zu betrinken, sei schwierig, sagt Wörnle. In der Notaufnahme müssten sie eher aufpassen, dass bei den Patienten im Suff keine schwerere Erkrankung, wie etwa ein Herzinfarkt, übersehen wird.
Am Empfang hängt eine handgeschriebene Liste mit den Promille-Werten der Wiesn-Patienten. Die meisten liegen um die 2,5 - weniger als die Spitzenwerte zu Nicht-Oktoberfest-Zeiten. "Der normale Wiesn-Besucher ist mit zwei Promille ziemlich platt", sagt Wörnle. Alkoholiker hätten meist deutlich über drei, wenn sie in die
Klinik kommen.
Betrunkene sind nicht gern gesehen bei der Belegschaft. Nicht nur, weil sie sich oft übergeben und gerne mal in Schränke urinieren. Sondern, weil sie Betten blockieren, die dann für echte Notfälle fehlen. Kochsalz, Glukose und eine Spritze gegen die Übelkeit ist zur Wiesn-Saison die Standardversorgung. Zwei Ärzte und vier Pfleger kümmern sich darum - doppelt so viele, wie zu normalen Zeiten. Dazu kommen sechs Sicherheitsleute, die die Pflegekräfte vor ungemütlichen Patienten schützen. Vor allem auf der chirurgischen Station sei das ein Problem sagt Flo, der seit drei Jahren für den Sicherheitsdienst des Klinikums arbeitet und seinen Nachnamen nicht nennen will: "Die Leute sind dort aggressiver, weil sie schon einen auf den Deckel gekriegt haben."
Auf der internistischen Notaufnahme ist es vergleichsweise friedlich. Inzwischen ist es Mitternacht, die Patienten haben gewechselt. Auf Bett eins schnarcht ein braun gebrannter Schnurrbartträger im Trachtenjanker. Zwei Betten weiter lamentiert eine Diabetes-Patientin im rosa Dirndl. Ihr Mann redet ihr zu: "Geh Hasi, jetzt stell di ned so an. Mir san hier ja ned im Kasperltheater." In der Tat haben die Schwestern wenig zu lachen. Ihre Nacht ist noch lang: Die letzte Wiesn-Patientin kommt erst um 6.30 Uhr in der Früh.