Nett war gestern: Endlich wurde die Büchse der Pandora der weiblichen Bösartigkeit auf den Bildschirmen geöffnet. Die Serienkolumne „Nächste Folge".
Die sogenannte „Goldene Ära" des Fernsehens könnte auch als das Zeitalter der bösen Männer bezeichnet werden. In den ersten 15 Jahren des neuen Jahrtausends dominierten verdorbene, gewalttätige Antihelden die prestigeträchtige TV-Landschaft: Tony Soprano, Don Draper, Walter White und eine Handvoll Nachahmer. Diese Charaktere dominierten, als Kabel noch König war. Aber König Kabel musste weichen. Und jetzt herrscht Königin Streaming. Und die schafft Raum für charismatische Schurkinnen, die faszinieren.
Lange waren weibliche Hauptcharaktere in Serien dadurch gekennzeichnet, dass sie der Moralkompass für das Gute waren. Auch wenn sie manchmal Umwege über den dunklen Pfad nahmen, fanden sie immer wieder ins Licht. Heilige Maria ist das langweilig.
Wir sind Frauen. Wir können verdorben sein. Wir lügen. Manchmal betrügen wir. Wir sind egoistisch. Alles Charakterzüge, die weder im Fiktionalen noch im realen Leben an Frauen auf besonders viel Akzeptanz oder Verständnis stoßen, oder gar, wie bei genannten männlichen TV-Antihelden, als die Eigenschaften eines „komplexen Charakters" gefeiert werden. Denn die Frau muss in erster Linie etwas grundsätzlich Versorgendes an sich haben, an Andere denken. Da bleibt kein Raum für die eigenen Abgründe.
Nun aber, endlich, wurde die Büchse der Pandora der weiblichen Bösartigkeit auf den Bildschirmen geöffnet. Frauen müssen nicht mehr sympathisch sein, sie müssen nicht die Gute sein. Ein starker Charakter und eine starke Geschichte. Das reicht.
Netflix: Beispiele wie „Fleabag", „Russian Doll" und „Killing Eve" zeigen, wie es gehtPhoebe Waller-Bridge spielt in „Fleabag " (auf Amazon Prime) die moderne, realistische Antiheldin dieses Jahrhunderts: Sie ist emotional undurchsichtig, unberechenbar und benutzt Sex, um ihren Durst nach irgendeiner Form von Verbindung zu stillen, egal mit wem. Und dann eben auch mit dem Verlobten der besten Freundin, die sich daher umbringt. Ist das nett? Nein. Ist das okay? Nein. Ist das ein Fehler? Ja. Ist es menschlich? Ja.
In „Russian Doll" (auf Netflix) interagiert Natasha Lyonne auf wundervolle Art schroff und abweisend mit ihrer Umwelt. Dafür alleine schon ist sie ein Vorbild für eine ganze Generation, denn es ist ihr herzlichst egal, dass sie keinerlei konservativ weibliche Attribute verkörpert. Sie macht ihr Ding. Ihr zynisches und apathisches Sein ist dabei kein Randcharakter, der die fiktive Welt der Serie ein bisschen dreidimensionaler macht. Sie ist die Hauptfigur. Und das ist revolutionär.
„Killing Eve" (auf Amazon Prime) zeigt gleich zwei starke, weibliche Charaktere die brutal, kalt und besessen sind. MI5-Agentin Eve Polastri kämpft gegen die soziopathische Auftragskillerin Oksana Astankova, Deckname Villanelle. Was als Killerin-Agentin-Thriller beginnt, führt zu einer Jagd zweier Menschen mit tiefen Abgründen, in der keine abmildernden Elemente verwendet werden, um einer verfehlten Vorstellung des angeblich Weiblichen zu entsprechen.
Der Archetyp der Antiheldin ist Cersei Lannister aus „Game of Thrones". Es gibt keine weibliche Serienfigur, die in den letzten Jahren besser gezeigt hat, was passiert, wenn eine Frau einfach nur das tut, was für sie am besten ist: Sie erntet Hass. Würde ein Mann so handeln wie Cersei es tut, bekäme er Bewunderung für Mut und Klugheit. Die Antipathie, die solchen Frauenrollen entgegenschlägt, ist ein eindeutiger Indikator dafür, dass die Figur einfach ein starker weiblicher Charakter ist.
Liz Lemon sagte in „30 Rock" einmal, dass es keine Gleichstellung von Frauen gibt, bis es so viele Serienmörderinnen wie Serienmörder gibt. Dass sich die Produktionsfirmen und Autor*innen von Serien mehr und mehr dafür begeistern können, kaputte, bösartige Frauenfiguren zu zeigen, ist doch schon Mal ein Anfang.
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